Vier Frauen, eine Meinung. Warpaint suchen auf ihrem neuen Album das Glück über den Umweg der Melancholie und lassen das vier Jahre zurückliegende Debüt ´The Fool´ fast vollkommen vergessen – „ich kann nur für mich sprechen“, erklärt Frontfrau und Teilzeitschauspielerin Theresa Wayman, „die Zeit war reif für etwas Neues; mit mehr Sex-Appeal, mehr Dunkelheit und mehr Film-Noir-Charakter – denn dieser ist es, der die Songs am besten umschreibt.“ Womit sie nicht allein auf weiter Flur steht, denn tatsächlich ist das zweite Album des in Los Angeles beheimateten Quartetts mit dem schlichten Titel ´Warpaint´ ein Neuanfang wider Willen. Über dessen großes Risiko sich all Beteiligten bewusst sind.
Die Geschmäcker gehen gern mal auseinander. Der eine findet diese oder jene Band gut, der andere kann gar nichts damit anfangen. 2010 fiel der Name Warpaint erstaunlich oft, als es darum ging, das beste Release des Jahres zu küren und so landete ´The Fool´ fast flächendeckend und überall auf den vorderen Rängen der Kritikerlisten.„Worüber wir uns heute noch sehr freuen und Warpaint in dem bestätigt sehen, was wir damals ausdrücken wollten“, erinnert sich Drummerin Stella Mozgawa und wird von ihrer Kollegin Wayman sofort ergänzt, „man darf aber nicht alles glauben, was irgendwo geschrieben steht und nur deswegen auf Nummer sicher zu gehen und ein zweites ‚The Fool‘ zu veröffentlichen, wäre der vollkommen falsche Schritt gewesen.“
In einer sterilen Hotelbar in Berlin Mitte sitzend, wirken die beiden während ihrer Ausführungen selten motiviert und oft beschleicht einem das Gefühl, Warpaint hätten auf den derzeit großen Medienrummel überhaupt keinen Bock – „ganz so ist es nicht, wir kennen die Regeln und spielen sie gerne mit.“
Beruhigt Wayman sofort und reißt die Augen dabei derart weit auf, als würde sie nichts mehr als die nächste Frage erwarten. Bitteschön: Habe sich an der sehr freundschaftlichen Basis durch den Erfolg irgendetwas geändert, fragt man – spüren Warpaint den Druck heute deutlicher, gerade weil die Berufung zum Beruf geworden ist?
„Nein“, schüttelt Mozgawa den Kopf, stock einen Moment und gibt dann doch zu, dass die Vorstellung, die Band sei nicht mehr nur ein Freizeitprojekt von vier Freundinnen, in manchen Situationen beängstigend war: „Auch wenn jede von uns weiß, dass der Druck oder sonstiges nichts am Status Quo – dem Schreiben guter Songs – ändert, kann einen das verunsichern.“
Schaut man drei Jahre zurück und denkt an den drängenden Postrock, die wabernden Gitarren, das omnipräsente Schlagzeug und die Grazie der vier Damen, dann ist es eigentlich schön anzusehen, dass sie beim Pressetag nicht die Abgezocktheit an den Tag legen und stur in die Kameras lächeln – sondern ihre übermüdete Grundeinstellung stoisch ausleben.
Immerhin absolvierten sie in den vergangenen Jahren mehr Konzerte als man in der Lage ist, nachzuzählen und warteten mit komplett fertigen Songs fast ein Jahr auf ihren Stammproduzenten Flood. Der durch seine Arbeiten mit u.a. U2 oder Depeche Mode zweifellos zu den Größen des Business gehört und schon beim Erstling seine Finger zeitweise im Spiel hatte.
„Das war uns sehr wichtig: Ihn als Ratgeber an unserer Seite zu haben“, berichtet Wayman, „Flood weiß einfach, was uns damals wichtig war und fügte durch die Position des Außenstehenden die einzelnen Teile sehr gut zusammen: Unseren Ursprung und das Neue, was wir mit ‚Warpaint‘ verfolgen.“
Musikalisch bedeutet „das Neue“ eine Mischung aus pumpenden Bässen, hingebungsvollen Gitarrenläufen und einem Geflecht aus stockdüsteren Groove und zweistimmigen Gesängen: Es ist daher nicht unverblümt zu behaupten, dass Warpaint eines der ersten musikalischen Highlights des Jahres setzen.
Zwar protestieren die beiden gegen solche Äußerungen gerne, fühlen sich aber ebenso geschmeichelt und in ihrem Schaffen bestätigt. „Du kannst nicht beeinflussen, was die Leute schreiben – manchmal ist das gut, manchmal ist das schlecht. Ich lese es inzwischen gar nicht mehr“, betont Wayman mit überraschendem Nachdruck.
Was wäre denn das bislang schlimmste gewesen, was sie über ihre Band gelesen haben, will man wissen. „Es gab irgendwann mal eine Konzertkritik und dort stand, wir seien umwerfend und total toll, allerdings erwähnte der Typ nicht mit einer Zeile die Musik, sondern nur unser Aussehen. Das nervt, gerade weil wir vier Frauen sind. Über Bon Jovi würde er das sicher nicht schrieben.“
Das anschließende Gelächter zeigt, dass ihre dunklen, oft unheilvollen Lieder nur die halbe Wahrheit sind und sich das Risiko vollends gelohnt hat, mit ´Warpaint´ die Karrierepläne zumindest für ein Release außer Acht zu lassen.
Aktuelles Album: Warpaint (Rough Trade / Beggars / Indigo)
Foto: R. Laananen