Wenn man auf dem Sprung ist, vom heiß gehandelten Geheimtipp zum international gefeierten Indie-Star zu werden, muss man sich um so Manches Gedanken machen. Wenn man Anthony Gonzalez heißt, keine 30 Jahre alt ist und in Antibes an der französischen Riviera wohnt, gibt es daran nichts auszusetzen. Wenn dein Schulfreund und Mitmusiker aber Nicolas Fromageau heißt, zaubert das schnell ein amüsiertes Lächeln ins Gesicht. Gesagt getan, man trennte sich einvernehmlich, Nicolas kümmert sich jetzt um seine eigenen Projekte. Das dritte Album von M83, „Before The Dawn Heals Us“, ist also durch und durch Gonzalez’ eigene Vision.
Schon die ersten Minuten des neuen Werkes vermitteln den Eindruck, dass dieser Alleingang ungeahnte Kräfte in Anthony Gonzalez freigesetzt hat. Es ist, als ob er durch nichts mehr an der Verwirklichung seiner eigenen Vorstellung von M83 gehindert wurde. Niemand konnte ihn bremsen, jede Idee konnte ohne Rücksicht auf eine andere Meinung umgesetzt werden. So ist der typische M83-Wall-of-sound 2005 auch unüberwindbarer als je zuvor. Man hört förmlich Fromageau sagen: „Klar, das klingt cool, aber es ist eigentlich zu kitschig, so was können wir wirklich nicht machen.“ Genau diesen entscheidenden Schritt ist Gonzalez nun alleine gegangen. Die Sounds bestehen immer noch aus bis zu 20 Keyboard-Spuren pro Track. Aber keine Angst, das Ergebnis ist keine ziellose Materialschlacht wie bei den mittlerweile disqualifizierten Garbage, sondern das fast schon hysterische Ausleben der eigenen Vision.Diese eigene Vision entwickelte sich im sonnigen Süden Frankreichs quasi aus der Not heraus. Denn außer Sonne und Meer gibt es für einen Heranwachsenden dort nicht viel. Den eigenen Musikkonsum zum Gefährt der Rebellion gegen die Eltern zu machen, liegt somit nahe. Iron Maiden, Black Sabbath und Judas Priest bildeten den Anfang von Anthonys musikalischer Sozialisation. Mit zunehmender Reife differenzierte sich sein Interesse dann in Richtung elektronischer Musik aus Deutschland, wie z. B. Can. Und es sind Bands wie die frühen Tangerine Dream und Kraftwerk, die auch heute noch einen wiedererkennbaren Anteil an der Welt von M83 haben. „Für mich ist es wichtig, eine große Vielfalt von Musik zu kennen. Ich lade ständig Musik runter und kaufe Platten. Es ist eine großartige Möglichkeit, verschiedene Kulturen und Einflüsse in dich aufzunehmen. Im Grunde bin ich meine Plattensammlung.“
M83 ist ursprünglich der Name einer fernen Galaxie, die in feurigem rot leuchtet. Und genau so way out ist das musikalische Universum, das Anthony Gonzalez auf „Before The Dawn Heals Us“ erschaffen hat. Grundsätzlich ist er ein moderner Shoegazer und Kevin Shields ist bestimmt einer seiner Helden. Doch M83 ist mehr als Gitarren-Krach in der Tradition von Sonic Youth oder Mogwai. Da ist stets diese symphonische Größe eines Modest Mussorgsky und – vor allem 2005 – der 70er Art Rock von Pink Floyd, der M83 zu dem macht, was er wirklich ist: ein Hippie.
Aktuelles Album: Before The Dawn Heals Us (Gooom/Labels/EMI)
Weitere Infos: www.ilovem83.com