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QUICKSILVER

V.A.

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Gerade bei französischen Sängerinnen besteht die Gefahr, dass ihre Selbstbeobachtung und -reflektion zu leicht übertriebener Innerlichkeit führt, dass sie ihre zerbrechliche Mädchenhaftigkeit über Gebühr strapazieren (um nicht "zelebrieren" zu sagen), meine Liebste tut das – oft (aber beileibe nicht immer!) zu unrecht – als "Genymphe" ab. Dieser Falle entgeht FREDDA auf "Phosphène" (Le Pop) geschickter als bisher, was nicht zuletzt daran liegen könnte, dass sie – die Zufälligkeit des Zusammentreffens zu erklären, führt hier zu weit – dieses Mal eine "richtige" Band an ihrer Seite hat. Eine Band, die Freddas schmeichelnder Stimme ein kontrastreiches Bett aufzuschütteln vermag und die doch niemals zu dominant wird. Gerade up-tempo-Nummern wie "Vent diable" oder "Dorveille" begeistern mich hier schon sehr. 4
Auch aus Frankreich kommen LES YEUX D’LA TETE, doch die bearbeiten weiß Gott ein ganz anderes Feld als Fredda. "Paris Berlin" (Fais&Ris) heißt das aktuelle LiveAlbum der BalkanSwingChansonniers, aufgenommen allerdings weder in Paris noch in Berlin, sondern in Jena. Und nicht am 14. Juli 2023, wie uns das booklet weismachen will, sondern im Rahmen der 2022er Ausgabe der großartigen Kulturarena-Konzertreihe (ich kann einen Besuch dort nur wärmstens empfehlen!). "Ensemble" spielen sie ihren schwungvoll-ungeraden Beat, lassen das Akkordeon jubeln und frischen unser eingerostetes Französisch auf. Das Publikum hatte sichtlich Spaß, die Fotos im artwork beweisen das Erwartete und auch wir KonservenHörer wippen mit deutlich mehr als einem großen Zeh! 4
Zumindest auf der Hälfte der Songs ihrer "Le Bouquet"-EP (Phantom Island) singt auch die Schweizerin GINA ÉTÉ "Nonchalant" auf Französisch zu den klappernden ElektroBeats aus TILLMANN OSTENDARPs Maschinen. Letzterer ist gelernter Schlagzeuger, bedient hier aber auch diverse andere, vorzugsweise elektronische Instrumente durchaus souverän, so daß sich der Sängerin Stimme voll auf ihren brüchigen Ausdruck konzentrieren kann. 4
Der TIN MAN, hinter dem wir weiterhin den oft als "Acid Kosmologe" titulierten Kalifornier Johannes Auvinen vermuten dürfen, inszeniert seine verträumten, semi-ambienten PlickerPlackerPluckerSequenzerTunes auf "Arles" in Album-Länge. Das untermalt sicher so manchen SofaKuschelAbend recht angenehm, hat mit ernsthafter Musik aber nur am Rande zu tun. 3
Ähnlich enttäuscht war ich von CELs "Gegenwelt" (beide Bureau B), denn von Felix Kubin & Hubert Zemler darf man doch schon ein wenig mehr erwarten als nicht übermäßig einfallsreiche, mit überdeutlichen Plan- und DAF-Referenzen und überhaupt sehr starken Parallelen zum frühen bis mittleren Atatak-Sound versehene ElektroBasteleien. Und doch dröhnt & droht hier manches schon recht angenehm; gerade, wenn es zwischen all den MS-20- und oldschool-drummachine-sounds in ambient-industriellem SubRauschen versinken will (wie vielleicht im SchlußStein mit dem schönen Titel "Transformator Matki Polki"). Schließlich hat Kubin extra für diese Platte ein neues Instrument erfunden und von einem "Hamburger Ingenieuer" bauen lassen. Es lebe das "Mechatronikon"! 3
Auch bei hÄK/DANZEISEN könnte man die ÜberHelden von DAF als Vorbild vermuten, verlässt sich das Duo instrumental doch ebenfalls auf die Kombination von Schlagzeug und Synthie. Das Klangergebnis auf ihrer namenlosen LP/MC (Karlrecords) entlarvt diese naive Annahme aber schnell als grundfalsch, denn in den vier langen Stücken werden zwar auch Rhythmus & Lärm, Motorik & Chaos, NoiseSpitzen & ZappelDrums verheiratet, aber doch auf ganz andere, weniger brachiale, dafür strukturell freiere Weise. Das von ihm bediente ElektroInstrument nennt B. Norbert Würtz aka. hÄK (hinter)sinnig "Molekular Synthesizer", die diesem entlockten Klänge dröhnen, fiepen und zwitschern zwischen die mal streng monotonen, mal sehr freien Schläge, die der dank seiner Mitarbeit bei Einar Schleef- und Jan Fabre-Stücken auch in den besonders anstrengenden Bereichen der KörperertüchtigungsKunst entsprechend trainierte drummer Philipp Danzeisen seinem mit diversen Sensoren und EffektTriggern versehenen Kit versetzt. 5
"Look At That Table And Make It Spin In Your Head" fordern uns LYNX gleich zu Beginn ihres schon anno 2000 erschienen, nun aber erstmal auf Vinyl verfügbaren und offenbar auch einem Remix unterzogenen s/t-Debutalbums auf. Zeitgleich zu dieser re-issue (naja!) erscheint die neue EP "Human Speech" (beide Computer Students™), die im Vergleich zu "Lynx" ein wenig(!) heftiger, metallischer daher kommt. Beiden releases entströmt jedoch ein strenger Schweißgeruch: the taste of Proberaum. Denn der vertrackte, break-lastige, dabei durchaus auch Melodie-orientierte und hoch virtuose PostRockMathCore, den die Jungs aus Boston hier betreiben, ist schon sehr übungsintensiv. Außerdem ist unbedingt bemerkenswert, welche Mühe Lynx-Chef Dave Konopka und sein Label selbst bei der Gestaltung und Verpackung des PromoMaterials an den Tag legen. 4
Kann man eigentlich so klingen, als würden The Swans sich an Dead Can Dance-Stücken versuchen? Oder als ob This Mortal Coil was von Sunn O))) spielten? Solche Fragen könnten sich die Broken Social Scene-Sängerin Ariel Engle und Godspeed You! Black Emperor-Mitgründer Efrim Menuck bei einer feinen Tasse Tee gestellt haben um danach zu beschließen: wir probieren das einfach mal aus! Das Ergebnis wurde zu einem "richtigen" Projekt. Mit einem schönen Projektnamen und einem sehr beachtlichen Projektergebnis: ALL HANDS_MAKE LIGHT - "Darling The Dawn" (Constellation). We Live On A Fucking Planet And Baby That’s The Sun. Wohl wahr! 5
In den GrenzBereich hochabstrakter elektronica begeben wir uns dann mit JAN JELINEKs soundtrack zu einer auf John Hustons ikonische Moby-Dick-Verfilmung basierenden A/V-Software namens "Seascape-polyptych" (faitiche): submarin dunkles, ja düsteres, meist auch irgendwie verwischtes Rauschen, Brummen und Klicken in sehr konzentrierter Ordnung. 4
Thematisch passen dazu die "Songs for Broken Ships" (Pingipung) von MD PALLAVI & ANDI OTTO ja nun wirklich. Nur ist die Musik eine gänzlich andere, treffen hier doch die indischen GesangsTraditionen (insbes. jene der Karnatischen Musik Südindiens), denen sich die faszinierende Sängerin MD Pallavi aus Bangalore verpflichtet sieht, auf den kühl-elektrischen HanseatenGroove von Andi Otto. 5
Straighter wird’s mit einem weiteren Schub in der rein digitalen Crammed Discs-re-release-Reihe. Ich persönlich finde ja die Bezeichnung der Compilation als "Rare SSR Electronica 1994-01
(Crammed Archives 3)" etwas verwirrend, weil doch schon die Ende März erschienenen "Snooze – Remixes" den gleichen Untertitel trugen, aber egal. Das tönende Ergebnis zählt und das ist hier mit tracks von Tek 9 (was fand ich damals, also 1996, deren "It’s Not What You Think It Is !?!!"-Kopplung geil! Kein Wunder, steckte doch Godo von 4Hero hinter dem Projekt), Juryman (ebenfalls sehr deep: "Escape To Where" von 2002), DJ Morpheus (kein geringerer als Samy Birnbach von Minimal Compact und seinerzeit zuständig für die legendären "Freezone"-Sampler auf SSR) oder Remixen aus den Händen von Matthew Herbert, Luke Vibert, Carl Craig, DJ Spinna, Stacey Pullen und vielen anderen. Wir hören vieles von dem, was Mitte/Ende der 90er die Clubs spannend machte, also alles mögliche von Downtempo, House und ElectroJazz bis Jungle und drum’n’bass. Wer das seinerzeit nicht mitbekommen oder – warum auch immer – inzwischen schon wieder vergessen hat, sollte, ja muss hier zugreifen. Allein die Wiederbegegnung mit den oben Genannten oder der düster-jungle-ige Funki-Porcini-Mix von "Cradle Your Soul" (das Original stammt von der famosen "Made On Earth"-CD, die Hector Zazou 1997 mit Barbara Gogan eingespielt hatte) beschwört sicher nicht nur bei mir Erinnerungen an wilde Nächte herauf. Oder der versöhnliche "Eight Miles High rework" von Meira Ashers wütender AIDS-Klage "Sida" (das Original auf "Dissected", auch von 1997). Oder oder oder – eine sehr feine Zusammenstellung! 5
Als Anhängsel dazu gibt’s noch zwei digitale EPs, nämlich GEMINIs knarzende ProtoTechno-Maxi "Pieces Of Euphoria" (1996 als SSR155 erschienen) und die "Stars-EP" (alle Crammed Discs) vom 4Hero-sideproject NU ERA, auf dem die d’n’b-Götter ihrem Detroit-Affen Zucker geben. 5/4
Zuviel nostalgisch verklärter Rückblick trübt jedoch die Sinne, weshalb wir – obwohl die gerade besprochenen re-editionen einmal mehr den Beweis antreten, dass sich die Musik zwischen 1980 und 2000 wesentlich schneller, vielfältiger und differenzierter entwickelt hat, als in den letzten 20 Jahren – jetzt nochmal zu aktuellem IndiePop kommen. Wobei: wirklich neu ist der Sound von LAWN CHAIR auch nicht. Aber das von der Kölner Kapelle selbst verlegte Werk "Eat The Beans And Wear The Jeans!" beweist, dass sie die wesentlichen Grundlagen drauf haben. Nämlich: 1. Erstmal mit kurzen Platten starten ("ETBAWTJ!" ist ihre 2. EP), 2. Ein Mix aus (Post)Punk-Verzweiflung und Indie(Pop)-Happiness ist nie verkehrt, 3. Eine gute Sängerin ist die halbe Miete und schließlich 4. "I would start a punk rock band that everyone will love" ist immer ein guter Plan. 4
Etwas(!) mehr (Vintage)Elektronik-gestützt, in ihrer Grundeinstellung aber gleichfalls einer hehren Indie-DIY-Haltung verpflichtet sind die-Songs von LAEL NEALE. Wirklich grandios ist "Must Be Tears", die balladeske, von einer zischenden drum-machine und faserigen MellotronKlängen dominierte erste Single aus dem Album "Star Eaters Delight" (Sub Pop). Doch auch die übrigen, mal von einer dezent verzerrten Gitarre ("No Holds Barred"), mal von einer seltsamen (Anti)CountryOrgel ("Return To Me Now") geprägten Songs sind einfach nur super und decken (fast) alles zwischen nervösem Kitchen(Power)Pop ("I Am The River") und ausgiebig zelebrierter LowFi-Elektro-Verzweiflung ("In Verona") ab. 5
Und ganz zum Schluss haben wir noch die zweite BLOND-Platte. Kein Wort zum familiären background der ChemnitzerInnen, der sowieso nur alte Säcke wie mich interessiert. Und eben solche (Säcke) sind ganz sicher nicht die Zielgruppe dieser frisch-frech-fröhlichen, dabei aber sehr bestimmten, ganz klar positionierten und sehr sehr heutigen PopMusik. Man muss weder wissen, dass Inga Humpe zu Neonbabies-Zeiten ganz ähnliche (nicht nur musikalische) Ideen verfolgte (bitte beachten Sie die zeitliche Distanz, bevor sie ob dieses gewagten ParallelenZiehens zu schimpfen anfangen!), noch die Sister-Sledge-Persiflage in "Männer (ft. addeN)" erkennen – nein hier fühlen sich mit Sicherheit ganz viele im Grunde doch sehr coole, aber zwischen charme-freien KlassenKameraden und Influencer-verfallenen KosmetikOpfern von allgegenwärtigen dummen Sprüchen und plumper Anmache genervte Provinz-Mädchen (und bestimmt auch so manche in der Großstadt) extrem verstanden. Und das bemerken dann vielleicht auch alte Säcke, genau wie den Umstand, dass das sowohl musikalisch wie textlich sehr solide gemacht ist. Ich jedenfalls finde "Perlen" (Beton Klunker) prima. 5


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