Möchte man einen Artikel über die Liars schreiben, macht man sich über so Einiges Gedanken. Immerhin gibt es kaum eine andere Band, die ein derartiges Veränderungspotential in sich birgt. 2002 noch als New York Hype vom US Indielabel Gern Blandsten weg zu Blast First / Mute gesignt, war zwei Jahre später mit „They Were Wrong, So We Drowned“ schon nichts mehr so wie vorher. Album Nummer 3 „Drum’s Not Dead“ markiert erneut einen völligen Bruch. Aber all diese Überlegungen waren in dem Moment hinfällig, in dem ich den drei jungen Herren gegenüber saß.
Denn Angus Andrew, Aaron Hemphill und Julian Gross sind voll süß. Angus kultiviert schon seit Jahren stetig wechselnde Gesichtsbehaarungsprojekte, die aber nie den Blick verlegen für seine immer wachen Augen und die warme begeisterungsfähige Stimme. Aarons Geheimwaffe ist sein unglaublicher Silberblick. Und, meine Damen, letztendlich natürlich Julian Gross. Der zarte Typ mit dem schmalen Gesicht trägt seine schwarzen Haare wie Robert Smith 1982. Sollten die Liars also bei Euch in der Nähe sein, heißt es auf jeden Fall hingehen: this is for the ladies.Julian ist der Einzige in der Band, der noch in Los Angeles lebt. Angus kam vor zwei Jahren von New York nach Berlin und Aaron folgte ihm ein halbes Jahr später. Ihr drittes Album ist also eine Hauptstadtproduktion.
„Für uns war es ursprünglich eine finanzielle und rein praktische Entscheidung, nach Berlin zu ziehen. Die Mieten sind einfach so viel niedriger, als in New York. In New York mussten wir unser zweites Album im Keller eines Hauses aufnehmen, hier in Berlin haben wir die Möglichkeit, immer in einem richtigen Studio zu arbeiten. Mittlerweile haben wir natürlich hier viel mehr gefunden, als nur günstige Wohn- und Arbeitsbedingungen. Wir wohnen beide in der Nähe des Mauerstreifens und denken oft, wenn wir z. B. zum Bäcker gehen: wow, was ist hier eigentlich vor 15 Jahren alles Unglaubliches passiert. Diese Gefühl für Geschichte kannten wir als Amerikaner bisher nicht, die deutsche Geschichte ist nun mal viel älter als unsere.“
Wenn eine derart experimentelle Rockband wie die Liars von NYC nach Berlin zieht, ist der nahe liegende Gedanke, dass sich der Sound der Band durch den Technopuls der Stadt verändert. Doch davon ist auf „Drum’s Not Dead“ nichts zu hören.
„Natürlich sind wir in Kontakt mit der Berliner Techno- und Elektronikszene. Wir gehen aus, kennen eine Menge Leute und unser Label ist hier sehr aktiv. Wir mögen Bands wie Pan Sonic und die Arbeit von Richie Hawtin, aber für uns macht die Idee einer Band ohne Schlagzeuger keinen Sinn. Daher kam es für uns auch nicht in Frage, ein komplett elektronisches Album aufzunehmen. Mit zwei Schlagzeugern haben wir uns sozusagen für das genaue Gegenteil entschieden.“
In jedem Titel des Albums taucht entweder der Name Drum oder Mt. Heart Attack auf. Es handelt sich offenbar um zwei unterschiedliche Charaktere, über die eine Geschichte erzählt werden soll. Ein Musical also?
„Es stimmt, Drum und Mt. Heart Attack sind zwei verschiedene Figuren. Keine konkreten Figuren, eher Symbole für zwei unterschiedliche Prinzipien. Drum verkörpert eine energische Produktivität und Mt. Heart Attack die Selbstzweifel. Sie stehen für die Art, wie wir zusammen arbeiten. Es ist nicht so, dass immer einer Drum ist und der andere Mt. Heart Attack, sondern eher jeder Anteile von beiden in den gemeinsamen Prozess einbringt. Trotzdem ist das neue Album kein Musical. Die einzelnen Stücke erzählen keine zusammenhängende Geschichte. Die beiden Figuren haben wir uns erst ausgedacht, nachdem die Songs alle schon fertig waren. Wir haben überlegt: wie könnten diese Stücke nun alle zusammenhängen? Und sind dann auf dieses Yin Yang Ding gestoßen.“
Da sind die Liars offensichtlich noch mal haarscharf am Konzeptalbum vorbeigerutscht. Vielleicht könnte das eine Idee für den nächsten Schritt sein. Denn nach „They Were Wrong, So We Drowned“, einem Album, das selbst die Band für komplett unvermarktbar hielt und nun dem sperrigen „Drum’s Not Dead“, das mit 36 selbst gemachten Videos wie ein Medienmonster rüberkommt, kann Mute wahrscheinlich nichts mehr schocken.
„Das ist wirklich unser großes Glück, dass Mute uns kreativ auf jeden Fall immer unterstützt. Sie wussten von Anfang an, dass wir eine Band sind, die sich schnell entwickeln will. Sie waren nie an einer oberflächlichen Band interessiert, die sich einfach vermarkten lässt. Darum haben sie auch ein Interesse daran, dass sich Bands für relativ lange Zeit an sie binden.“
Aktuelles Album: Drum’s Not Dead (Mute/EMI)