London im Mai 2011, im legendären Roundhouse in Camden feiert das nicht minder legendäre Label Mute Geburtstag. London im Jahr 1978, der Kunststudent Daniel Miller nimmt in seinem Wohnzimmer mit einem KORG 700s Analog-Synthesizer und einer Revox B-77 Band-Maschine die Titel „T.V.O.D.“ und „Warm Leatherette“ auf.
Mute fängt anUnter dem Namen The Normal sollen die Daniel Miller-Stücke auf den Markt kommen. Keins der damaligen Label beißt an. So muss eine eigenes her: Mute Records. Gesagt, getan. Daniel Miller schleppt ein erstes Kistchen Vinyl-Singles in den RoughTrade-Laden in Notting Hill; denn irgendjemand muss sie ja verkaufen. Dort trifft er auf den inzwischen verstorbenen Frank Tovey, besser bekannt als Fad Gadget der hat ein Demo in der Hand. Beide tauschen. Single gegen Demo. Daniel Miller gefällt das Demo und Frank Tovey mag „Warm Leatherette.“ 1979 erscheint Fad Gadgets „Back to Nature“ auf Mute Records. Fad Gadget war damit der erste Künstler des von Daniel Miller neu gegründeten Labels. Der Rest ist Geschichte. In den dazugehörigen Annalen tauchen Künstler, wie Depeche Mode, Erasure, Yazoo, Throbbing Gristle, Moby, Nick Cave and the Bad Seeds, Goldfrapp, Wire oder Richard Hawley auf. Inzwischen sind mehr als 30 Jahre ins Land gezogen und Mute Records feiern Jubiläum. Schlappe drei Jahre zu spät. Aber ist nicht 33 eine magische Zahl, die für den Abschluss einer Generation steht?
Mute und drumrum
Keine Frage, das muss gefeiert werden. Und da lässt sich Daniel Miller nicht lumpen und stellt ein zweitägiges Festival der Superlative auf die Beine, das sich gewaschen hat. Dabei geht es nicht nur um Musik, sondern um eine ganze Szene. Es gibt Installationen, etwa die vom Berliner Händler für echte analoge Musikinstrumente, Schneiders Büro. In einer Art begehbaren Instrumentensammlung kann jeder seine individuellen Neigungen im elektronischen Musizieren erproben. Es gibt Workshops, so gibt der Produzent Flood, der etwa Depeche Mode, Nick Cave oder Erasure produziert, Einblick in seine Art und Weise des Arbeitens. Es werden Filme gezeigt, so „ON/OFF: Mark Stewart From Pop Group To Mafia - A documentary directed by Toni Schiffer. Für die Musik sind zwei Tage und Nächte reserviert. Und Daniel Miller kann alle locken: Depeche Mode sind durch Andy Fletcher und Martin L. Gore vertreten, die als DJs loslegen. Während Letzterer weiß, was er tut, scheitert Andy Fletcher mit seinen beiden Sets vor und nach Erasure, der Band des ehemaligen Depeche Mode-Hitschreibers Vince Clark, an der Technik und an sich selbst. Erasure füllt als einzige Band das große Rund des Roundhouses auf allen Etagen restlos. Der Refrain ihres Hits „Sometimes“ schallt den Künstlern aus mehr als 3.000 Kehlen zurück. Der Boden für diesen Triumph wird von einem Duo-Auftritt von Vince Clark und Alison Moyet alias Yazoo bereitet, die „Don’t Go“ nicht nur spielten, sondern zelebrierten. Weitere Highlights sind Mobys introvertiertes DJ-Set, der Auftritt von The Residents, der den jungen Besuchern unverständlich bleibt und den älteren das Gefühl einer Fahrt mit der Zeitmaschine auslöst. Irmin Schmidt von Can stellt mit seinem Schwiegersohn Kumo restaurierte Titel der Can-Filmmusiken vor, die Herbst auch als Box erscheinen sollen.
Mute und die neue Unabhängigkeit
Natürlich lässt es sich Daniel Miller nicht nehmen, auch selbst hinter den Plattentellern zu stehen.
„Ich bin ja kein DJ, aber ich spiele mal meine Lieblingstitel des MUTE-Katalogs“, lässt er verlauten, bevor er spätabends loslegt. Das der Mann Spaß und Freude an seinem Lebenswerk hat und im Zweifelsfall dafür auch kämpft, zeigt die teilweise Rückübernahme seines Kataloges von EMI im Jahr 2010. „Ich musste das tun“, erklärt Daniel Miller, „nachdem ich MUTE 2002 an EMI verkauft hatte, musste ich feststellen, dass durch die komplette Veränderung bei EMI über die Jahre alle Leute verschwunden waren, die mich kannten und meine Idee unterstützt hatten.“
So sind inzwischen Künstler, wie Nick Cave And The Bad Seeds, Grinderman, Yeasayer, Erasure, Andy Bell, Liars, Polly Scattergood und A Place To Bury Strangers wieder unter den Fittichen von Daniel Miller. Die restlichen MUTE-Bands wie Depeche Mode, Goldfrapp und White Rabbits verbleiben bei EMI. Das Daniel Miller seinen visionäres Gehör nicht verloren hat, zeigt unter anderem die Neuveröffentlichung von Josh T. Pearson und der Ausblick auf die Sommer- und Herbstkollektion, darunter die Debütalben von S.C.U.M., Big Deal oder Beth Jeans Houghton. Auch werden Apparat mit „The Devil's Walk“ ein neues Album vorlegen. Da bleibt nur noch ein Prosit auf die nächsten 30 MUTE-Jahre auszurufen. Dann wäre Daniel Miller knapp über 90 Jahre alte. Ein Kraftpaket, wie er, der schafft das.