Grenzen sind dazu da, überschritten zu werden – dass wissen Kellermensch und wagen im Zuge der Kreativität einen ungewöhnlichen Spagat zwischen den Welten: Harter Metal-Gesang und melancholisch weiche Nick Cave Streicher feiern bei ihnen eine harmonische Genrehochzeit. Müssen nicht zwangläufig getrennt voneinander stattfinden, wie das Debüt der dänischen Newcomer beweist: Gleichnamig betitelt, will ´Kellermensch´ Barrieren einrennen, wo es nur geht – ein Gelingen ist nebensächlich, was zählt, ist allein das Projekt.
Ruhig, aber sympathisch geben sich die Abgesandten der Band Kellermensch an diesem Tag. Rauchen vor dem Interview noch genüsslich eine Zigarette und schämen sich bei der Begrüßung sogleich ein wenig dafür: „Schlechte Angewohnheit, sorry!“, räuspert sich Frontmann Sebastian Wolff.Kein Problem, beruhigt der Mitarbeiter der Plattenfirma, es liefe ja alles planmäßig und kurze Pausen seien durchaus erlaubt. Wie recht er damit im Bezug auf seine Schützlinge hat, ist ihm in diesem Moment wohl nicht bewusst: Seit 2006 haben Kellermensch in ihrer Heimat Dänemark eine Bilderbuchkarriere hingelegt und wollen nun auch außerhalb der Landesgrenzen durchstarten.
Angefangen habe alles im verschlafenen Esbjerg – welches an der westlichen Küste gelegen, so gar nicht wie eine Rock’n’roll-Hochburg wirkt, sondern mit gut 71.000 Einwohnern eher die Ruhe vor dem Sturm kommen lässt. Und doch verbindet die Jungs von Kellermensch viel mit ihrem Heimatort:
„Musikalisch ist es nicht weiter wichtig für uns, wo wir wohnen – aber dieses Gefühl von ‚Nachhause kommen’ und ‚Abschalten zu können‘, war gerade in den Anfangstagen wichtig. Schließlich kannte niemand von uns die Situation wochenlang auf Tour zu sein und dann plötzlich nicht mehr Abend für Abend auf der Bühne zu stehen, sondern entspannen zu dürfen.“
Das Publikum hart erspielt, haben sich Kellermensch ohne Frage: Mehr als 100 Konzerte absolvierten sie und füllten damit im Handumdrehen eine beachtliche Fankurve. Entschieden sich bewusst gegen das Internet als Mittel zur Steigerung des eigenen Bekanntheitsgrads und setzten lieber auf traditionelle Promotion - soll heißen: Einzig und allein auf die Bretter, die die Welt bedeuten.
„Du musst direkt vor den Leuten stehen und sie sollten in diesem Moment nicht anderes zu tun haben, als dir zuzuhören – dann bekommt man als Musiker ein Gefühl für die eigenen Songs: Was funktioniert und was geht überhaupt nicht“, erklärt Gitarrist Jan Laursen und freut sich, dass der Plan am Ende aufging.
Wohl wahr, denn nun starten die Dänen auch hierzulande durch und sorgen mit den ersten Songs bereits für Aufsehen: Neben dem kryptischen Namen, der auf Fjodor Dostojewskis Roman „Aufzeichnungen Aus Dem Kellerloch“ zurückgeht, sind es vor allem die verschiedenen Stilmittel, bei denen sich die Jungs bedienen – freilich stets ungewöhnlich und doch faszinierend harmonisch.
„Ich bin mit klassischen Neunziger Jahre Alternative-Acts wie Rage Against The Machine groß geworden und bewundere deren Erfolg noch immer: Schließlich war das nicht wirklich Radio-tauglich, was die im Studio aufnahmen und trotzdem erreichten sie ein großes Publikum, wurden zu Idolen einer ganzen Generation“, erinnert sich Sebastian Wolff und nimmt einen kräftigen Schluck aus der Wasserflasche neben ihm.
Den hat er sich auch verdient, denn gerade der gesangliche Part auf dem Debüt ´Kellermensch´ wirkt wie ein echter Kraftakt: Immer wieder steuert er von sanften Tönen ins tiefe Moll und mahnt an Metalcombos wie Dimmu Borgir - ein Spagat, der alles andere als handelsüblich daherkommt.
Mal sind es Nick Cave-ähnliche Düsterpop-Elemente und dann ziehen nur Augenblicke später wuchtige Gitarrenwände auf – kommerziell wirksam ist das sicher nicht, aber damit haben Kellermensch kein Problem und halten es lieber wie ihre Landsleute von Volbeat, die mit vergleichbar Massen-unkompatiblem Sound jüngst den Durchbruch schafften.
„Da passiert aktuell einiges in Dänemark und man wird das Gefühl nicht los, dass nach Jahren der Funkstille endlich wieder Bands dafür sorgen, dass wir nicht nur ein kleines Land im Norden Europas sind, sondern mit einer eigenen Musikszene angeben können. Das ist toll und wir wollen unser Bestes geben, damit die Sache so weiter geht.“
Ein wenig Lokalpatriotismus sei ihnen gestattet, so ausführlich, wie Kellermensch über ihre Erwartungen und Ansprüche philosophieren. Auch im selbsternannten Mutterland der Popmusik habe man zuletzt eine kleine Tour absolviert und sah dies als Herausforderung an, weil Kellermensch eben keine Native Speaker-Band sind und deswegen etwas Muffensausen bekamen.
„England ist für jede europäische Band eine wichtige Station, weil dort ein Großteil der Vorbilder herkommt, wegen denen man einst mit der Musik begann“, blickt Jan zurück und erklärt sogleich die Probleme, mit denen man laut einschlägigen Berichten klarkommen musste.
„Wir sind halt nicht besonders dazu geeignet, der Presse knackige Überschriften zu liefern: Weil es eher unser Ding ist, ruhig und zurückhaltend in der Öffentlichkeit aufzutreten – was prinzipiell auch okay ist, finde ich.“
„Schon“, vergewissert Sebastian, „Kollegen-Bashing hat niemand von uns im Sinn, aber in England scheint das zum Beispiel wichtig zu sein: Auszuteilen und damit den eigenen Status festigen. Wir lassen lieber unsere Musik für die Band sprechen.“
Am Ende interessiert sie eben nur das gemeinsame Projekt und das lautet: Mit dem Debüt ´Kellermensch´ in Europa ähnlich durchzustarten, wie dies bereits in Dänemark gelang. Und bitte, lieber Leser, der unbeholfen wirkende Bandname wird umso lustiger, je länger man darüber nachdenkt. Die Musik ist eh ein Ereignis.
Aktuelles Album:Kellermensch (Vertigo / Universal)
Foto: Ole Joern