Die Liars sind Weltenbummler, Zeitreisende und Nomaden wider Willen. Nach drei Ortswechsel in zehn Jahren hat sich das Trio in Los Angeles niedergelassen und was niemand im Vorfeld ahnte: Die Stadt mit Hollywood-Flair und Armutsvierteln übte massiven Einfluss auf das neue Studioalbum „Sisterworld“ aus und lässt das Machwerk zu einem düsteren Broken bestehend aus dissonantem Rock und leichtfüßigem Pop mutieren – so zerschossen wie die Heimat der Band selbst.
Angus Andrew ist ein Querkopf, dem wirklich nichts heilig ist. Mit seiner Band Liars verstößt er regelmäßig gegen alle Gesetze des Musikbusiness und fühlt sich dabei pudelwohl: „Ich mag lineare Entwick-lungen durchaus, doch wenn diese künstlerisch einengen, gehen mit mir regelmäßig die Pferde durch“, versucht sich der Frontmann an eine Antwort auf die Frage, ob die vielen musikalischen Richtungswechsel der letzten Jahre wirklich nötig waren.Angefangen hatte alles 2001 in New York City, als die Liars von Null auf Hundert zum heißesten Newcomer der heimlichen Hauptstadt Amerikas avancierten und mit dem Debüt „They Threw Us All In A Trench And Stuck A Monument On Top“ avantgardistischen Indierock spielten und alles dafür sprach, dass sie sich demnächst in einer Liga mit den White Stripes tummeln.
Doch im Anschluss geschah die erste Transformation von vielen: Plötzlich schoben die Drei wilden Musiker zwei zerschossene Konzeptalben nach und verwirrten Presse wie Anhänger mit wilden Sounds.
„Es erschien mir langweilig den ersten Longplayer ein zweites Mal aufzunehmen und ich versuchte die Dinge aus einem anderen Blick-winkel zu sehen.“
Dies vergraulte eine Reihe von Protegés und doch schienen die Macher glück-lich darüber. Dank mehrerer Ortswechsel, angefangen beim Umzug von New York City nach Sydney und dem vorletzten Halt in Berlin, holte sich Andrew Inspirationen wo nur möglich – obschon die Alben selbst keinerlei ortsbezogene Referenzen zuließen.
„Neue Städte, neue Menschen, neue Erfahrungen. Es ist ganz simpel“, philosophiert der niemals ankommende Chef einer Combo die mitziehen muss, egal ob sie will oder nicht. Zuletzt stand den wilden Rockern der Sinn nach Simplizität und mit Album Nummer drei nach dem Debüt präsentierte man sich 2007 als geläuterte Indiehelden, die genau da weitermachten, wo sie Jahre zuvor aufgehört hatten.
Warum diese Vorgeschichte? Weil sie wichtig zum Verständnis der Arbeitsweise der Liars ist und prinzipiell dort mündet, wo Hollywood und Filmindustrie anfangen: in Los Angeles. 2008 verschlug es Andrew hier her und was er am wenigsten ahnte – zum ersten Mal diente eine Stadt nicht nur als Inspirationsquelle, sondern ist selbst das Thema eines ganzen Albums mit dem irreführenden Namen „Sisterworld“.
Die Krux an der Sache: Genau so zerschossen wie der Entstehungsort sind auch die Songs der Platte. Keine Minute vergeht, in dem sie nicht auf Anschlag läuft, Krautrock mit Pop kombiniert und wie das vorläufige Ergebnis aller bis dato veröffentlichten Liars-Alben klingt.
„Gute Umschreibung, denn L.A. ist wirklich Himmel und Hölle zugleich. Zum einen bis du vollkommen geblendet von den Möglichkeiten, die dir die Stadt bietet und andererseits permanenter Desillusion ausgesetzt. Es ist verhext: Auf jeden glücklichen Menschen kommen hier zwei Unglücksraben.“
Mit der Rezeption von „Sisterworld“ sei Andrew bislang zufrieden, weil die Journalisten stets die zwei Gesichter des neuen, fünften Liars-Werks betonen und der Schöpfer genau diese Dualität vor Augen hatte.
„Ich bin am meisten überrascht, dass ein einzelner Ort auf dieser Welt eine ganze Songsammlung beeinflussen kann“, wundert sich der Weltreisende und kann darüber eigentlich nur schmunzeln.
Es sei ihm vergönnt, denn „Sisterworld“ ist ein Schuss aus der Hüfte, eine In-your-Face-Platte, die niemand so erwartet hätte und deswegen überrascht. Mag sein, dass Angus Andrew demnächst wieder umzieht und seine x-te Bleibe findet.
Egal wo auf der Welt, seinen Songs tut dies keinen Abriss.
Aktuelles Album: Sisterworld(Mute)
Foto: Joe Dilworth