Es ist der erste wirkliche Schmuddeltag in Berlin. Vor einer unscheinbaren Clubtür frieren ein Dutzend Leute, um sicherzugehen, dass sie keine Sekunde vom Auftritt einer Band verpassen, deren Mitglieder um 50 sind und die doch alles andere als nostalgisch-verklärte AltHerrenMusik macht. Manche sind weit gereist, andere erwarten einmal mehr die Helden ihrer wilden Tage. Einige Zeit später durchstreift den 103er nicht nur dieser harte Kern, sondern auch eine bunte Mischung aus Connaisseurs und in die Jahre gekommenem Szenepublikum: Männer in zu knappen Lederjacken und Frauen mit Budjonny-Mützen (der Berliner legt in dieser Saison großen Wert auf eine gepflegte Kopfbedeckung jenseits der Basecap!).
Sie erleben dann eine post-nationale Band, die jenseits von geografischen oder gar staatlichen Konventionen für jedes Mitglied die jeweils optimalen Lebensumstände fixiert hat. Als ich am nächsten Morgen Peter Principle beim Kofferpacken im Hotel frage, wie man (unstrittig erstklassige) Platten macht, wenn die einzelnen Domizile in Mexiko, New York, Athen und Brüssel liegen und dabei auf intensiven Internet-Verkehr tippe, verblüfft er mich:„Nein, wir nutzen das Netz nur sehr wenig. Wir sind keine großen Web-Kommunikatoren. Wir sind nur Menschen, die gerne Tuxedomoon-Musik hören. Und weil kein anderer welche macht, tun wir es immer wieder selbst. Schon unsere frühen Platten wie Desire oder Holy Wars basieren ganz wesentlich auf Improvisationen, Stücken, die sich aus Jams entwickelten und dann aber so lange verbessert wurden, bis es „richtige" Songs waren. Inzwischen sind wir älter und haben mehr Erfahrungen. Die letzten Platten wurden im Grunde ohne große Nachbearbeitung direkt aus den Mitschnitten unserer seltenen Studio-Zusammenkünfte gebastelt. Allerdings sind nicht alle in der Band so glücklich mit dieser Form, einige vermissen das „refinement". Wir werden wohl wirklich mal unsere Ideen vorher über's Netz austauschen müssen. Aber ich passe auf, dass der Tuxedomoon-Geist nicht im Kabel stecken bleibt."
Nach einem Konzert 5 Uhr morgens in Riga aufstehen um den Flieger nach Berlin zu erwischen, abends wieder spielen, nach wenig Schlaf ein Schreibergespräch und dann für 7 Stunden in den Bus nach Wroclaw – ist das das Leben, von dem PP immer geträumt hat?
„Wenn es 365 Tage im Jahr so zuginge, sicher nicht. Aber wir haben natürlich auch ruhigere Zeiten. Und es gibt sehr viel Abwechslung, man trifft immer neue interessante Menschen oder alte Bekannte. We're born to travel - ich kann mir nichts schöneres vorstellen."
Riga scheint ein interessanter Ort zu sein, aber die Zeit war zu knapp, um außer ein paar Architekturfotos intensivere Eindrücke zu sammeln. Allerdings stellt PP auch skeptisch fest:
„Mir kam das ein wenig vor wie die Schweiz. Alles sehr stylisch und beflissen, aber vielleicht täusche ich mich auch. Und es hat furchtbar geregnet."
Selbst im Baltikum sangen die Fans die Songs mit - fühlt man sich da nicht wie eine lebende Legende? PP lacht, überlegt und sagt:
„Lebend ganz sicher, Legende wohl eher nicht."
Dennoch hat Tuxedomoon viele Musiker beeinflusst, DJ Hell z.B. tat 2000 einiges dafür, die Band wieder zusammen und auf die Bühne zu bringen. Wirkt aus der aktuellen Musikszene etwas auf die Band zurück?
„Ich hoffe, es klingt nicht zu überheblich, wenn ich sage: Nicht wirklich. Wir kümmern uns nicht so sehr um die gerade angesagten Sachen. Vielleicht, weil wir schon immer sehr eklektisch, postmodern und in ständiger Verwandlung waren. Wir haben Schubladen wie Punk oder New Wave stets gemieden und waren so immer eher Teil des Zeitgeists und wohl auch eine Art Barometer."
Das neue Material knüpft an ruhigere Platten wie „Ship Of Fools" an, ist weniger nervös als "No Tears", eher melodisch-entspannt, ohne auch nur eine Sekunde zu langweilen. Gerade live hat die Band gegenüber der 2000er Triobesetzung durch Luc van Lieshouts Hörner und die wahrhaft unglaubliche LiveVideoPerformance von Bruce Geduldig einen gehörigen Sprung nach vorn gemacht. In den lakonischen linernotes zu „Vapour Trails" weist die Band auf die Nähe des Studios, in dem man die CD einspielte, zur Akropolis hin und zu Eleusis, wo im Tempel die Seherinnen weissagten. Bei deren Ritualen waren bekanntlich viele Kräuter im Spiel – was bedeuten Drogen heute für Tuxedomoon?
„Wir nehmen wesentlich weniger Zeug zu uns als früher. Wir sind älter geworden, da braucht man diese(!) Stimulans nicht mehr. Wir sind uns unserer Sache sicherer und weniger verzweifelt."
Zur Verzweiflung haben also weder Band noch Publikum Anlass. Und Musik ist (hier) Droge genug!
Aktuelles Album: Vapour Trails (Crammed Disc / Indigo)