Dave Parsons, Kult-Gitarrist und Songschreiber der englischen Punk-Originale von Sham 69, ist scheinbar ein Komiker. Nachdem er fast 30 Minuten den Ur-Sänger Jimmy Pursey gedisst und kaum über eine andere Thematik gesprochen hatte, mutierten seine Vorwürfe plötzlich zu Lobeshymnen. Die Westzeit dokumentiert nachfolgend einige Ungereimtheiten...
In der Bericherstattung über die Punkszene der 70er Jahre in England fallen permanent die Namen Sex Pistols, The Clash, The Jam, The Damned. Anschließend werden zumeist Sham 69 benannt. Sie holten sich circa 1977 einen Plattendeal beim Polydor-Label, als sie auf einem Londoner Dach performten. Später waren sie die Kultband der Skinheads, die durch ihre teilweise rechten Parolen die Band zum Split bewegten. Bis dahin waren (inkl. „Best of) fünf epochale Alben entstanden. Diverse Reunions folgten, in den 80ern trat die Formation gar zeitweise mit Saxophonisten auf (ich erinnere ein Gastspiel in der Hamburger Markthalle im April 1988). Sänger Jimmy Pursey und Gitarrist Dave Parsons waren, bis zum letzten Jahr, stets in der Band. Sie stellten soetwas wie die Jagger/ Richards der Punkszene dar. 10 Tracks der neuen CD „Western Culture“ komponierten sie gemeinsam. Dann der Split. Parsons:„`Western Culture´ist unser erstes Album, dass mit dem neuem LineUp eingespielt wurde. Das wirft nun natürlich die Frage auf, warum Jimmy Pursey aus der Band geflogen ist. Nun, Jimmy wollte keine Gigs spielen! Auch 20 Jahre nach der Neugründung der Band in 1986 spielten wir lediglich 5 oder 6 Shows pro Jahr. Jimmy versprach permanent, `Im nächsten Jahr werden wir mehr spielen´. 20 Jahre habe darauf gewartet, dass es endlich passiert, aber es passierte nichts! Außerdem belastete uns Jimmys Ego. Er benahm sich immer wie ein Diktator in der Band, duldete keinen Input von anderen. Er schadete jedoch nicht nur der Band, sondern auch den Fans und Promotern. Z.B. akzeptierte er eine Tour durch Japan, Amerika, Skandinavien, wofür Promoter ihm einige tausend Pfund im voraus auszahlten. Er steckte die Kohle in die Tasche, cancelte aber 2-3 Tage vor dem geplanten Beginn die Tour. Wir kamen in die Verlegenheit, dass der Name Sham 69 `schmutzig´wurde. So war es uns unmöglich geworden, weiterzuarbeiten. Nun, mit dem neuen Sänger Scazz und dem neuen Bassisten Rob Jefferson haben wir das beste LineUp, dass Sham 69 je hatte!“
Vervollständigt durch Drummer Ian Whitewood, der bereits seit der 1986er Reunion hinter der Schießbude sitzt, entstand zwar ein gutes, punkinspiriertes Album mit aktuellen Einflüssen.
Aber hat diese Musik etwas mit den Sham 69 gemein, die mit ihren hymnenhaften Parolen wie „If The Kids Are United“ oder „Angels With Dirty Faces“ gar die englischen Charts eroberte? Wohl kaum. Darauf angesprochen, beleuchtete Parsons plötzlich die andere Seite des Ex-Kollegen:
„Jimmy ist eine sehr freundliche Person. Wäre es nicht so, hätte ich wohl kaum mein gesamtes Leben damit verbracht, mit ihm zusammen zu arbeiten. Er ist ein Charmeur! Was ich sage, ist die Wahrheit. Allerdings hat Jimmy dennoch diverse Promoter ruiniert!“
Abschließend kommen doch noch einige Statements zur neuen CD, wenngleich es sich um die branchenüblichen Werbesprüche handelt.
„Das neue Album ist anders. Wir entwickeln uns weiter. Viele Leute, mit denen wir über die neuen Songs diskutierten, meinten, es wäre eine Rückkehr zu unseren Wurzeln. ‘Western Culture´ sei das beste Album von Sham 69 seit den ersten vier Alben!“
Na, ja, man darf skeptisch sein. Die 90er Jahre-Epen „Kings & Queens“ oder „Soapy Water And Mister Marmalade“ waren nicht eben schlechter. Wer sich nun wirklich in die Geschichte von Sham 69 hineinhören möchte, dem sei „The Complete Story“ (Sanctuary Records, 2004) sehr ans Herz gelegt. Es lohnt sich - schließlich enthält die Compilation all jene Titel, durch die Sham 69 eine Lieblingsband meiner Jugendjahre geworden waren!
Aktuelles Album: Western Culture (Bad Dog / Rough Trade)
Weitere Infos: www.sham69online.co.uk