Der kleine und mit System unaufgeräumte Raum ist weder Aufenthaltsraum noch Abstellkammer. Dieser Platz im Hinterhof des Kreuzberger Zwielichts ist schlicht und einfach nur eines: ein sympathisches Loch. Wenn die Herren Beatsteaks darin herumwuseln, wird dort alles kurzzeitig zum geschäftlichen Headquarter der Band. Aber was heißt hier eigentlich Geschäft? Zweifelsohne sind die Beatsteaks ein Unternehmen, eine angesagte Hausmarke und ein derb florierender Haufen im dahinfaulenden Musikbusiness. Aber das Quintett ist noch etwas mehr als ein auf Zahlen und Scheine schielendes Start-Up, das nur darauf achtet, dass die Musik am Zahn der Zeit klebt, damit sich die eigenen Aktien über Wasser halten und der Lebensabend in trockene Tücher plumpst. Die Berliner sind zu allererst mal fünf Kerle, die ziemlich dicke miteinander sind. Alles andere ergab sich dann von selbst.
Während Bassist Torsten und Gitarrist Peter ihre Zeit, Geduld und ihr Interesse dem Frage-Antwort-Spielchen widmen, muss Gitarrist Bernd fleißig schreiben. Keinen Roman und auch keine Emails, sondern zigmal nur seinen eigenen Namen. Auch wenn das Gekritzel mit der Zeit natürlich etwas eintönig bis einschläfernd wird, ist es doch nötig und auch nur fair den Leuten gegenüber, denen solch unterschriebene Karten etwas bedeuten. Das Gute an der aktuellen Beschäftigung von Bernd ist aber auch, dass man sich während dieses Arbeitsprozesse herrlich unterhalten kann. Zum Beispiel über Filme: „Ich hab gestern den geilsten Science Fiction-Film aller Zeiten dummerweise verpasst. ‚Dark Star’ auf 3Sat von John Carpenter,“ lässt Bernd seine Bandkollegen wissen und wird sofort von Torsten unterbrochen:„Dark Star? Science Fiction? Auf 3Sat? Fein, fein, mein liebes Professorchen... Ich hab ja neulich „2001“ von Kubrick gesehen. Mann, die ersten eineinhalb Stunden waren so spannend wie ein beschissener Diavortrag. Und irgendwann kommt der größte Schnitt des Jahrtausends: ein Ureinwohner schmeißt nen Stock hoch, dann kommt DIE Blende und plötzlich fliegt dies Raumschiff rein. Alter, bitte...!?“
Ein unterhaltsamer Disput über cineastische Geschmäcker war im Anmarsch, aber das heutige Thema sollte ein anderes sein. Bernd widmet sich also ruhig und gewissenhaft seinen Autogrammkarten, und Torsten und Peter switchten das Programm. Im Öffentlich-Rechtlichen lief am Vorabend nämlich passenderweise eine halbstündige Dokumentation mit dem Namen „Unterwegs mit den Beatsteaks“. Torsten konnte sich das Ganze nicht anschauen, fehlt im daheim doch das TV-Gerät, aber „meine Mutter schrieb mir danach in einer SMS, dass sie es total großartig fand. Mit Gänsehauteffekt, schrieb sie. Süß, oder!?“
Was sich nach Klamauk und Unernsthaftigkeiten anhört, wird in diesem Hause aber durchaus professionell gehandhabt. Man weiß ja schließlich, wie der Hase durch die Medien- und Musiklandschaft hoppelt und dass man ihn auch nicht immer allzu ernst nehmen sollte.
„Speziell deshalb nicht,“ so Peter, „weil man sich sonst nur wieder drei Tage und Nächte lang aufregt, wenn irgendein Quatschkram darin erzählt wurde.“
Um solche Tage und Nächte zu vermeiden, schielen die Beatsteaks niemals nur kurz über eingegangene Promo- oder Medienanfragen, sondern machen sich stets so umfassend wie möglich ein Bild von dem, was damit zusammenhängt. Im Vorfeld wägt man gemeinsam und demokratisch ab, kümmert sich und diskutiert, ob bestimmte Aktionen gemacht werden können oder eben einfach nicht in die Tüte kommen. Klar war in diesem Zusammenhang auch schnell, dass man sich am 3. Oktober von den Feierlichkeiten am Brandenburger Tor fernhalten und die wedelnden Euroscheine gerne anderen Bands überlassen wollte: „Wir wussten nicht, was wir mit dem Geld hätten anfangen sollen“, prustet Torsten in den Raum.
„Nee, ganz im Ernst: Coca Cola hat das ganze Einheitstamtam gesponsert. Das können die schön ohne uns veranstalten. Wir gehören da nicht hin.“
Was dies politisch korrekte Getue und Geziere noch soll, fragt sich so manch ein alter und abgewichster Kenner der Branche. Schließlich müsse in diesen Zeiten doch auch ein Musiker schauen, dass man in der kurzen Zeit, die einem bleibt, ein wenig auf die Seite schafft. Aber die Beatsteaks kommen von der anderen Seite. Sie denken anders und handeln so, wie sie sich das gedacht haben – und zwar gemeinsam:
„Wir wollen eben alles sehen, alles absegnen, alles entscheiden. Ohne, dass wir nicht alle unser Okay abgegeben haben, gibt es keinen Aufkleber und keinen Button von uns. Natürlich sind wir in diesem Sinne eine schwierige Band“, gibt Peter zu, „aber viel Abquatschen und viel Demokratie kostet nun mal etwas mehr Zeit und Geduld – aber das am Ende lohnt sich eigentlich immer.“
Die Beatsteaks, eine waschechte Diskutierband also: Fünf befreundete Autodidakten, die seit vielen Jahren all das aufsaugen, was sie erleben und immer auch hinterfragen, wie sie damit weiterhin umgehen sollen. Nur so versumpft man nicht in der Beliebigkeit. Nur so ist auch die aktuelle Veröffentlichung, die „Demons Galore“-EP, zu verstehen.
„Wir wollten damit mal wieder alle Fünfe grade sein lassen und kurz aus den regulären Bahnen ausbrechen, indem wir das auspacken, was wir noch in der Schublade haben. Die Songs waren uns aber einfach auch zu schade, als dass wir sie nur auf eine schnöde Single pressen lassen wollten.“
Es geht auch hier wieder um dies kleine Quäntchen mehr Bedeutung. Ganz ähnlich wie damals, als sie das Konzert in der Columbiahalle spielten und die „Wohnzimmer“-EP veröffentlichten. All das war besonders, bedeutsam und weniger ein Geschäftsding für sie. Und nun schon wieder. Es sind die kleinen persönlichen, biografischen oder auch zufälligen Bedeutsamkeiten, die die Jungs mit den auf der „Demons Galore“-EP enthaltenen Joy Division-, Beastie Boys- oder Supersuckers-Stücken zum Beispiel verbinden. Auch die gemeinsame Sache mit Dendemann ist auf keinem Promo-Weitblick-Mist, sondern ist plötzlich und persönlich gewachsen.
„Wir hatten Dendemann erst kurz vorher kennen gelernt, aber sofort gemerkt, dass wir ganz ähnlich ticken, trotz der unterschiedlichen Musik.“
Jeder Song trägt sein kleines Quäntchen Bedeutsamkeit in sich und verknüpft sich so mit der Geschichte der Beatsteaks.
Diese zog bekanntermaßen vom VW-Bulli in den zweistöckigen Nightliner und verlief sich aus dem Juze in die großen Hallen. Kurz nach der Jahrtausendwende wurde es zunehmend ernster für die Jungs. Alles lief gut, ja fast zu gut. Die Anfragen konnten nicht bewältigt werden, weil der Job keine weiteren Urlaubstage mehr hergab. Man musste sich also entscheiden: sollte es ein Leben voll spaßiger, passionierter Unsicherheiten oder eines der ernsten, gesicherten Leidenschaftslosigkeit im geregelten Arbeitsalltag sein? Peter erinnert sich, dass „dann ein paar ernste Gespräche geführt werden mussten. Unter uns, mit den Eltern und der Freundin. Aber dann war es schnell klar und ich kündigte meinen Job. Ich wollte mir später nicht vorwerfen müssen, es nicht versucht zu haben.“
Wem nun ausschließlich Bilder von Rockstars im Halligalli-Taumel vor Augen herumschwirren, der irrt, denn das große Zurücklehnen und Füßehochlegen gehört weniger zum Tagesrhythmus eines Beatsteaks. Tagtäglich kann und muss man sich nämlich um diese Band und ihre Angelegenheiten kümmern: Merchandise, Internetseite, Interviews, Organisatorisches und Grundsätzliches. Eine gewisse Form von Kontinuität ist in diesem unsteten Musiker-Lotterleben also doch zu finden, auch wenn jene nicht für ein beruhigendes Gefühl der Sicherheit sorgt:
„Diese Panikattacken ähnlichen Zustände hat, glaube ich, jeder von uns mal. Vor allem nachts, wenn du denkst: ‚Au Backe, was machst du eigentlich in zehn, fünfzehn Jahren?’“ weiß Torsten aus eigener Erfahrung zu berichten. Einen Plan B gibt es deshalb aber trotzdem nicht. Dafür ist weder Platz im Terminplan, noch im Herzen. Denn das Unternehmen Beatsteaks ist ein demokratisch geführter Laden unter Freunden. Das ist nicht normal für eine Band im deutschen Alternativ-Bereich, die mit ihrer Musik Hallen füllt. Das ist aber stinknormal für eine Band, die seit Jahren mit Visionen, aber auch Regeln, mit viel Freude aber auch Prinzipien unterwegs ist. Ihr Geschäft ist die eigene Freude an ihrer gemeinsamen Zeit. Und so lange sie diese haben, werden wir sie haben.
Die Beatsteaks live am 09.12. in der Westfallenhalle, Dortmund.
Aktuelles Album: Demons Galore EP (XNO Records / Alive)
Foto: Sven Sindt