Es sollte ein normales Interview werden. Alan Sparhawk war stellvertretend für seine Band nach Berlin gereist und bereit für die Gespräche anlässlich des neuen Albums ´Ones And Sixes´. Jedoch nimmt die Kommunikation manchmal eine Wendung, ganz anders als erwartet. Etwas sehr Persönliches kommt zwischen Albuminfos und Produktionsprozessen zutage: „Vielleicht liegt es daran, dass ich dieses Thema bislang mied, mir innerlich aber klar war: So privat das sein mag, man wird es nicht ewig hinter verschlossenen Türen versteckt halten können“, stellt ein erstaunter Frontmann klar und erkennt im Zuge dessen: Nicht alles hat er aufgrund seiner jahrelangen Erfahrungen im Business unter Kontrolle.
Im Ramones Museum am Hackeschen Markt im Zentrum Berlins herrscht Betrieb. Leute gehen ein und aus, die Kaffeemaschine surrt und zwischen all dem Trubel sitzt Alan Sparhawk fast unbemerkt. Man geht auf ihn zu, fragt nach dem Wohlbefinden und erkennt sofort: Hier will niemand um den heißen Brei reden.„Was möchtest du wissen?“, schießt es aus ihm heraus und obschon er an diesem warmen Sommerabend fast alle Gespräche hinter sich hat, scheint er immer noch Spaß daran zu haben, über das neue Low-Album zu sprechen. Das wiederum wenig gute Laune transportiert, eher einen melancholischen Eindruck vermittelt.
Nickend bestätigt Sparhawk dies sogleich. Obschon es immer im Auge des Betrachters läge, fügt er hinzu, wie das Ganze schlussendlich ankommt:
„Sicherlich waren die Vorgängerplatten beschwingter und ausgelassener – das ergibt sich eben und wird nicht von langer Hand geplant.“
Stundenlang könnte er so über „Ones And Sixes“ sprechen, käme nicht plötzlich die Frage auf, ob der für das Gesamtverständnis des Albums zentral geparkte Track ´Kid In The Corner´ etwas mit seinen Kindern zu tun habe und weswegen in den Zeilen aber augenscheinlich nur eines von beiden erwähnt wird?
„Wenn du als Vater mit deiner Ehefrau und gleichzeitig Mutter zweier Kids eine Band betreibst, ist das kein ganz normaler Job. Wir arbeiten mit den Erfahrungen, die der Alltag bereithält und dazu gehört das gemeinsame Familienleben eben auch.“
Gemeint ist mit „wir“ das Kern-Duo von Low, dass seit der Gründung von vor über 20 Jahren fest zusammensteht: Sparhawk und seine bessere Hälfte Mimi Parker.
„Ich sage es frei heraus, auch wenn dieses Thema nicht in die Öffentlichkeit gehört: Vor einiger Zeit habe ich meinen Vater verloren und deswegen bin ich das beschriebene ‚Kid In The Corner’ mehr oder weniger selbst.“
Sparhawk ist mit über 45 Lebensjahren alt genug, um zu wissen, dass der Tod zwangsläufig zum Leben dazugehört - trotzdem fühlte er sich mit der Situation überfordert, benötige im Anschluss einige Zeit zur persönlichen Therapie und veränderte den Blick auf die Welt nachhaltig.
„Du bist plötzlich wieder das Kind, dass hilflos die Mutter oder den Vater sucht, um sich zurechtzufinden. Dann schaust du aber auf deine eigenen Kinder und genießt es, dass sie dich jetzt brauchen. Erkennst dadurch, dass du die Stütze in ihrem Leben bist.“
So schlimm der Verlust seines Vaters für ihn auch war, er hat Sparhawk stärker gemacht: Als Mensch und Chef einer Band, die sich durch nichts und niemanden unterkriegen lässt. Ein Beruf aus tiefster Berufung heraus und genau dieses Gefühl bringt ´Ones And Sixes´ zum Ausdruck.
Als ´Slowcore´ Helden in den 1990ern gefeiert, sind Low mehrere Schritt in ihrer Karriere zurückgegangen ohne sich zu wiederholen – was abgedroschen klingen mag, aber allein die schonungslose Offenheit, die sie autobiographisch vollziehen, erinnert an frühe Alben und überrascht bis zum letzten Track.
„Die Band ist für Mimi und mich ein Zuhause, in dem wir uns wohlfühlen“, erklärt der zweifache Familienvater aus Duluth/Minnesota zum Abschied und schwingt seine Mineralwasserflasche, als könne sie die Zukunft voraussagen.
Was sie nicht tun wird und doch: Anhand eines abermals durchweg gelungenen Albums wie ´Ones And Sixes´ scheint eines klar – dass Low auch in den nächsten Jahren wohl kaum eine schlechte Veröffentlichung hinlegen werden.
Fast ein Happy End: Back to Normal.
Aktuelles Album: Ones And Sixes (Sub Pop / Cargo)
Foto: Zoran Orlic