QUICKSILVER
Willkomen im Reich des Überflüssigen, dessen König uns auch in diesem Monat unaufgefordert reich beschenkt:Ganz besonders schlimm ist der "Acoustic Rock" der schon qua Herkunft eigentlich genug gestraften A KEW'S TAG. Die Hannoveraner hätten bei "Double-Check When You Leave"(Kew's Rec./Finetunes) lieber zweimal prüfen sollen, ob derlei altbackene Brötchen wirklich nochmal aufgewärmt werden mussten. 1
JUNIOR HIGH orientieren sich ganz ironiefrei an jenen Dingen aus den 80ern, die wir eigentlich vergessen wollten. Ihr gleichnamiges Debut(Tapete/Indigo) erinnert an seinen besten Stellen an die späten Human League, meistens aber an den mittleren Michael Jackson und ähnlich Schreckliches. 2
Auch auf Deutsch kann man Mittelmaß verzapfen, wie SIMON & JAN trotz angeblich bester Publikumsresonanz auf dem ebenfalls gleichnamigen Album(Ahuga!/Al!ve) mit vorhersehbarer Kleinkünstlichkeit beweisen. Reimkraft ist da, Innovation nicht. Die (zu) billige Bohlen-/Hilton-Disse z.B. kommt live vielleicht ganz gut, aber konserviert? Dieses Liedermaching ist einfach nicht böse genug. 2
Wer prüfen zu müssen glaubt, ob auch Österreicher miesen DeutschPop herstellen können, der höre "Scheitern als Show"(Las Vegas Rec./Broken Silence) von KOMMANDO ELEFANT. Nomen est omen. Gilt für Band wie CD. 2
Etwas, bei genauerem Hinhören aber wirklich nur etwas besser sind HASENSCHEISSE auf "a-Moll"(K.Rotten/Soulfood). LiedermacherPunk im groovenden WeltmusikHopPop-Gewand mit Potsdamer Schnauze. 3
Das Info zu "Rollerchain"(Tru Thoughts/Groove Attack) von den Briten BELLERUCHE zitiert die Times mit dem völlig verkehrten Vergleich "Portishead trifft Blondie". Dabei entwickelt Kathrin deBoers Stimme in den ElektronikBassTurntableGitarren-getriebenen Songs durchaus eigenen Charme. Und wie z.B. beim nur 2:28 kurzen "Stormbird" zum Ende hin das Tempo gepitcht wird, ist schon ganz OK. 4
Noch dreister lügt der Waschzettel, der die Amis ELIKA in die Shoegaze-Ecke schieben will. "Always The Light"(Saint Marie/Broken Silence) ist aber einfach nur die gut getarnte neue Madonna-Platte. 3
Der Erfolg von AUSTRAs Debut "Feel It Break" veranlasste Domino/Goodtogo eine um 9 tracks (B-Seiten und Neues sowie ein wundervoller "Beat And The Pulse"-Remix von Shawn Crahan (Slipknot), dem ich soviel feines Beatgefühl gar nicht zugetraut hätte) erweiterte Deluxe-Edition nachzuschieben. Schräger Pop, bezaubernder Gesang voller Hall, dunkel-schöne Elektrozutaten - ist das dancable Esoterik? 4
Anders verwirrt und manchmal an die furchtbaren Gnarls Barkley erinnernd verspricht uns der Franzose GUTS das "Paradise For All"(Heavenly Sweetness/Broken Silence). Die HipHop-roots spürt man noch heute, auch wenn inzwischen funkiger LoungeClubSound regiert. 2
Zurück in die Clubs möchten ORBITAL. Mit "Wonky"(ADA/Warner) könnte das durchaus gelingen, denn dank Flood an den Reglern und Zola Jesus als Gastsängerin gelang ein sowohl geschichtsbewusstes wie gegenwärtiges Stück AmbientTechStep. 3
Bruder im (Klang)Geist ist DVA, der für "Pretty Ugly"(Hyperdub/Cargo) ebenfalls diverse Damen an's Mikro bat und sie seine von komplex gebrochenen Rhythmen und seltsamen Synths geprägten Soundcollagen mit kleinen Sahnehäubchen versehen ließ. 3
TORO Y MOI kämpfen sich auf "June 2009"(Carpark/Indigo) durch animal-kollektivistischen Pop mit sparsamen Arrangements, die dennoch voller Überraschungen stecken. 3
Mit mehr sleazyness in der Rille tritt BOBBY CONN aus Chicago an. "Long Distance"(Fire/Cargo) trägt über selbige aber nicht ganz. 3
Vor 25 Jahren entwickelte John Oswald das Konzept "Plunderphonics", das inzwischen auch erfolgreich auf dem Tanzboden angekommen ist. Eine Spielart davon kann man auf "Time Team"(Ninja Tune/Rough Trade) vom jungen Briten SLUGABED hören: Rückwärts-Rhythmen, Strubbeltronic und andere seltsame Unterhaltungsformen. 3
Auch der Hamburger Perkussionist SVEN KACIREK frönt auf "Scarlet Pitch Dreams"(Pingipung/Kompakt) der KlipperKlapperKunst, hinter der jedoch trotzdem immer wieder sowas wie Struktur steckt. Einige tracks, wie z.B. "Cars & Nightingales" sind sogar wirklich überzeugend. 3
Ganz anders treibt der angolanisch-portugiesische DJ Mpula seine Fans auf die Tanzflächen. Projekt- und Plattenname sind bei BATIDA(Soundway Rec./Indigo) eins und das Feuerwerk aus verzerrten TribalBeats, obskuren Sampeleien und FreeStyling entzündet sich (beinahe) selbst. 4
Der inzwischen 76jährige Highlife-Held EBO TAYLOR ist da zwangsläufig oldschool, auch wenn die mit der Berliner Afrobeat Academy eingespielte CD "Appia Kwa Bridge"(Strut/Al!ve) durchaus den Schritt in's Heute Schafft. 3
In einer ähnlichen Altersliga spielt SLOW JOE, der, begleitet von the THE GINGER ACCIDENT, mit "Sunny Side Up"(Néance/Believe/Indigo) klarstellt, wer in Sachen BluesCrooning und HeavySoul ganz vorn dabei ist. Schnell und sanft in gleichermaßen cooler Form. 4
Völlig anders, aber auch prima ist VINICIO CAPOSSELAs "Marinai, Profeti e Balene"(Ponderosa/edel Kultur). Der "Tom Waits Italiens", den kein Geringerer als Marc Ribot gitarrentechnisch unterstützt, vereint auf 2CDs klassischen Cantautori-Stil, mönchischen Chorgesang und sparsam-druckvolle FolkJazzRock-Begleitung zu einem hörenswerten Ganzen. 4
Und wer aktuell noch eine Fado-CD braucht, kann bedenkenlos zu MÍSIAs "Senhora da noite"(Pinorekk/Edel Kultur) greifen, denn hier kehrt sie vollends zurück in den sicheren Hafen der traditionellen Spielarten des musikalischen Nationalheiligtums Portugals. Das Extravaganteste an dieser Platte ist noch die Tatsache, dass die Texte ausschließlich von Frauen stammen - rein musikalisch warten weder innovative noch irritierende Überraschungen. 3
Rock & Pop
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