Paul Wallfisch ist ein echter Weltenbummler. Geboren in Basel, aufgewachsen in Massachusetts und schon als Kind mit seinen Eltern, dem berühmten Viola-Piano-Duo Ernst und Lory Wallfisch, in der ganzen Welt unterwegs, war er lange Jahre in Paris heimisch, arbeitete in Berlin, lebt derzeit in New York, könnte sich aber durchaus eine Übersiedlung nach Italien vorstellen. Dieses Vagabundenhafte spiegelt sich nicht nur im aktuellen Botanica-Album „The Magnetic Waltz“ wider, sondern auch in Pauls Musikgeschmack.
„Ich habe viele Künstler sehr, sehr gern, sei es Ray Davies, Aretha Franklin, Lou Reed, The Jazz Butcher oder Nick Cave“, sagt er bei unserem Treffen vor dem Botanica-Konzert Mitte Mai im Kölner Gebäude 9 in charmantem Deutsch.„Trotzdem gibt es für mich nur ein Genie, und das ist Bob Dylan. Er macht vielleicht nicht immer das, was ich hören will, aber in dieser Art von Kunst, der modernen Popmusik, ist er wirklich das einzige wahre Genie. Er ist der größte Dichter im Amerika des 20. Jahrhunderts.“
Nicht ohne Stolz erwähnt Paul, dass er sich Dylan mit „The Magnetic Waltz“ näher fühlt als je zuvor. Überhaupt ist er heute viel ausgeglichener als noch zu Anfang seiner Karriere.
„Ich fühle mich insgesamt wohler in meiner Haut. Die Musik, die ich alleine und mit der Gruppe mache, hat mich wesentlich weitergebracht. Fortschritt ist ein großes Wort, aber verglichen mit der ersten Botanica-Platte weiß ich heute viel besser, was ich tue.“
Dieses Wissen und diese Ausgeglichenheit schlagen sich nicht nur beim Songwriting, sondern auch beim Sound in den neuen Songs nieder. Erstmals taucht ein Kontrabass auf und übernimmt gleich mehrfach eine zentrale Rolle. So beginnt das Album weicher, als man es erwarten würde, fast sanft, bevor dann doch der Sturm losbricht, für den Botanica bekannt sind und den das renommierte New Yorker Kultmagazin Village Voice einst treffend als „cabaret circus music for urban bohemians“ beschrieb.
„Weich nicht, aber einfach und leicht, nicht ganz so seriös und heftig“, stellt Paul klar. „Das liegt daran, dass die Platte sehr einfach zu machen war. Die Texte zu schreiben, kann fünf Minuten oder auch zwei Jahre dauern, aber um das Album aufzunehmen, haben wir nur vier Wochen benötigt – vom ersten eingespielten Takt bis zur letzten Sekunde des Masterings. Deshalb klingt es vielleicht beim ersten Hören etwas weniger schwer als die anderen Platten.“
Trotzdem offeriert auch "The Magnetic Waltz" eine Mischung diverser Stilarten, die auf den ersten Blick nicht unbedingt zusammenzupassen scheinen.
„Die meisten Platten, auf denen die Lieder alle gleich klingen, langweilen mich und auch die anderen drei in der Gruppe“, sagt Paul bestimmt. „Es gibt immer ein weinendes und ein lachendes Auge, deshalb versuchen wir stets, einfach alles auf einer Platte unterzubringen, vielleicht sogar in jedem einzelnen Lied oder jeder einzelnen Strophe! Das ist vielleicht manchmal ein Fehler.“
Ein Fehler, dessen Bereinigung die Band mit ihrem aktuellen fünften Album näher kommt als je zuvor, glaubt Paul:
„Auf der neuen Platte haben wir es geschafft, alles geordnet unterzubringen. Es ist eine reifere Platte. Sie ist ein besserer Ausdruck der Explosion des Eklektizismus als zuvor.“
Auf ihrer von Westzeit präsentierten Deutschland-Tournee im September und Oktober will die Band nun genau diese neue Ordnung auch auf die Bühne tragen. Intelligent, abwechslungsreich, gerne etwas verschroben – typisch Botanica eben.
Aktuelles Album: The Magnetic Waltz (Rent A Dog / Alive)
Foto: Anne de Wolff