Kreative Pausen haben sich Blixa Bargeld und Band schon immer gern gegönnt. Aber viele, die den Weg der Band etwas intensiver verfolgten, wähnten die Herren versunken in den Tiefen des Netzes. Und so kam die Ankündigung der CD "Perpetuum Mobile" auf Mute recht überraschend. Oder doch nicht? Denn das Web ist (auch) eine große Gerüchteküche.
WESTZEIT sprach mit Blixa Bargeld in Berlin, kurz nach der Ankunft aus Hamburg, kurz vor dem Abflug nach Stockholm: - ist Berlin inzwischen weniger wichtig für euch?Für mich, und ich glaube auch für andere Bandmitglieder, ist Berlin nicht mehr der Lebensmittelpunkt. Ich bin natürlich gebürtiger Berliner und habe auch noch immer eine Wohnung hier, verbringe aber eben immer mehr Zeit außerhalb Berlins, außerhalb Europas. Die Neubauten waren immer eine Westberliner Band und Westberlin gibt es nun ja offensichtlich schon lange nicht mehr. Ich habe im Moment zum ersten mal in meinem Leben einen Blickwinkel von außerhalb auf Berlin.
Es steckt also kein bewusster Rückzug ins Exil, kein Eremitentum dahinter?
Nein. Mein Eremitentum war in Berlin schon genauso. Ich begreife das nicht als Flucht. Ich hatte das Gefühl, ich bräuchte eine Luftveränderung. Das war dann auch einer der Arbeitstitel für das neue Album. Niemand von uns war mit „Perpetuum Mobile" glücklich, aber„Luftveränderung" war dann schon wieder zu schwierig zu übersetzen. Obwohl der Titel sehr schön zu dem ganzen Spiel mit Wind und Luftkompressoren, Ortswechseln und Bewegungen passt. Die letzte Platte hängt ja eher mit dem Verdeckten, mit Abwesenheit, einer leeren Mitte, einer Leerstelle zusammen, während es hier um Migration und Transgression geht.
Was war der Reiz am "Perpetuum Mobile"?
Ich würde an dem Titel gar nichts aufhängen. Ich mochte einfach das Wort sagen, hauptsächlich wegen dem Doppel-U. Das ist sehr angenehm auf der Zunge. Man kann ein Perpetuum Mobile sicherlich als eine äusserst langweilige Maschine beschreiben, die in alle Ewigkeit immer wieder die gleiche Bewegung vollführt. Oder als thermodynamisches Modell, da gibt es ja den „Maxwellschen Dämon". Das ist eine ziemlich lustige Geschichte.
Bei „Der Weg ins Freie" werden zwei Geschichten parallel erzählt: Kann man dieses Stück jemals live spielen?
Darüber habe ich mir auch schon Gedanken gemacht, ich glaube nicht. Ich würde es gern noch weiter treiben und mit drei oder vier Stimmen arbeiten. Es ist einfach ein interessanter psychologischer Effekt, rechts und links jeweils eine Stimme zu haben. Zwei Stimmen, die sich nur in einzelnen Sätzen treffen, wo man sich nie wirklich konzentrieren kann.
Vögel sind wieder ein Fixpunkt in den Texten. Hängt das auch mit dem Thema Wind zusammen?
Als Bewohner der Lüfte? Ich glaube eher, es ist dieses utopische Moment des Fliegenkönnens. Natürlich auch die Vögel als Erfinder des Gesangs – vorausgesetzt, dass der Gesang etwas bedeuten könnte.
Ihr habt die Fans sehr intensiv am Entstehungsprozess des Albums teilhaben lassen.
Die Unterstützer haben 35 Dollar bezahlt und dafür das Unterstützer-Album No 1 bekommen, das es niemals im Laden geben wird. Gleichzeitig waren sie in der Lage, mittels der im Studio installierten Kameras wirklich an den Aufnahmen (von uns Broadcasten genannt) teilzunehmen und sich kommentarisch einzumischen. Das hat die beiden Platten finanziert. Die beiden Platten deswegen, weil in der Mitte dieser Arbeitsperiode klar wurde, dass wir keine Tour spielen könnten - es sei denn, wir bringen auch wieder eine Platte in die Läden. Das machte es dann für uns notwendig, wieder mit Plattenfirmen zu reden, was den Erfolg unserer Unabhängigkeitsstrategie etwas relativiert. Aber wir hätten einfach keinen internationalen Vertrieb selbst organisieren können. Also haben wir mit Mute gearbeitet, sozusagen als plattenmässig kleinstes Übel. Aber: Das Standbein ist neubauten.org, das Spielbein ist Mute. Wir haben das ganze Projekt jetzt noch etwas erweitert: Arbeitstitel "Grundstück". Wir arbeiten auf eine Performance im Herbst 2004 hin, für die Unterstützer, mit den Unterstützern, als Aufnahme für das nächste Album. Wenn wir jetzt umziehen und diese Arbeitsweise als Plattform ausbauen, dann haben wir den revolutionären Grundstock, den wir brauchen.
Karsten Zimalla
PS: Dank an Christoph Kutzer, der dank kältefester Batterien eine vernüftige Textdokumentation anfertigen konnte.
Weitere Infos: www.neubauten.org