Tim Burgess ist nicht nur der Sänger der Charlatans. Er ist eines der Gesichter von Englands chemischer Generation, die durch Acid House und Manchester-Rave musikalisch und betäubungsmitteltechnisch sozialisiert worden ist. "I Believe" heißt sein erstes Solo-Album und es ist eine akustische Soul-Platte mit jeder Menge Groove.
Die Charlatans waren mittendrin, als Großbritannien im kollektiven Rave-Taumel steckte. 1990, das Jahr als Rockmusik auf der Insel tanzen lernte. Während die Happy Mondays, Stone Roses oder Inspiral Carpets sich längst aufgelöst haben, machen die von ihren Fans liebevoll ‚Charlies‘ genannten Mancunians noch immer von sich reden und waren bei Erscheinen ihres letzten Albums "Wonderland" sogar für eine Titelgeschichte in der Style-Bibel "The Face" gut. Schließlich sind sie "teilweise dafür verantwortlich, dass Männer ihre Hemden nicht mehr in die Hosen stecken", gab Sänger Tim Burgess einst grinsend zu Protokoll.Burgess hat vor vier Jahren seine amerikanische Frau Michelle geheiratet und ist nach L.A. übergesiedelt. Während der letzten Charlatans-Tour saß er hinten im Bus und schrieb einige Songs, die er als zu privat für die Band ansah. Ein Solo-Album mußte her. Das Ergebnis ist "I Believe", eine entspannte Rock’n’Soul Platte, auf der Burgess sein bereits auf "Wonderland" entdecktes Falsett etliche Male zu voller Funkiness entfaltet.
Das Album trägt den Titel "I Believe". Woran glaubst du?
"Ich glaube an mich. Ich glaube, dass ich gute Arbeit abgeliefert habe und so ist auch mein Selbstvertrauen mit diesem Album gewachsen. Und wenn ich eine Liste der Dinge anfertigen müßte, an die ich glaube, dann ständen darauf: Black Rebel Motorcycle Club, Punkrock, Würstchen mit Baked Beans, Mazzy Star, Jack Daniels, das San Francisco der späten 60er, Gram Parsons und noch vieles mehr."
Du eröffnest das Album mit dem Song "I Believe In The Spirit". Kann man das Stück als eine Art Liebeserklärung an deine neue Heimat Kalifornien verstehen?
"Die meisten Songs sind in meinem Haus in L.A. geschrieben. Meine Frau war in der ersten Etage, während ich im Erdgeschoß mit meiner Akustikgitarre und einigen Bieren saß. Ich fühle mich einfach sehr wohl in der neuen Umgebung. Es gab eine Zeit, da war ich ein ‚angry young man‘. Jetzt bin ich viel zufriedener mit mir und meinem Leben hier. Das spiegelt sich wahrscheinlich in meiner Musik wider."
Wie empfindest du als Europäer die vermeintliche Künstlichkeit Hollywoods?
"Es gibt sicherlich viele Freaks in L.A. Aber da schließe ich mich ein. Vieles mag künstlich und oberflächlich sein. Doch es gibt hier auch sehr viel reale Dinge wie den wunderschönen Pazifischen Ozean oder meinen engen Freundeskreis. Ich empfinde London mittlerweile als künstlicher und trügerischer."
Warum hast du diesen großen Schritt über den Atlantik gewagt?
"Wegen meiner Frau. Die Kurzform der Geschichte ist: Sie kommt aus Atlanta/Georgia. Ich traf sie in England. Sie ging genau wie ich gerne auf Raves und kannte die Chemical Brothers. Über die lernte ich sie dann kennen. Wir gingen drei Jahre lang miteinander aus, wollten schließlich heiraten und sie hatte Heimweh nach Amerika."
Wer ist dein neuer Co-Autor und Produzent Linus?
"Er ist ein cooler Typ. Er hat z.B. für Puff Daddy gearbeitet. Aber vor allem ist er Beach Boys- und Paul McCartney-Fan. Er hat sofort verstanden, worum es mir mit meinen Songs geht. Wir haben viele einzelne Teile von Stücken aufgenommen und sie später wie ein Puzzle zusammengesetzt. Die Streicher und Bläser hätte ich so mit den Charlatans nicht verwirklichen können."
Es ist offensichtlich, dass Tim Burgess zur Ruhe gekommen ist, mit 36 Jahren seinen Mittelpunkt gefunden hat. Er gibt mir mit auf den Weg, unbedingt seine neue Band zu sehen: Tim Burgess & The Californian Angels. "It’s brilliant, man", sagt er lachend. Und ist auf sympathische Weise mehr denn je von sich überzeugt.
Aktuelles Album: I Believe (Pias/Zomba)