Katie Crutchfield wagt den viel beschworenen Blick zurück nach vorn. Mit ´St. Cloud´, dem famosen neuen Album ihrer Band Waxahatchee, besinnt sich die 31-jährige Amerikanerin auf ihre Wurzeln und wagt gleichzeitig einen Neuanfang. Die Wut auf die Welt und die lauten Alternative-Rock-Song des Vorgängers ´Out In The Storm´ sind verschwunden, an ihre Stelle treten wunderbar introspektive Alt-Country-Songs, mit denen uns Crutchfield an ihrer emotionalen Reise zurück ins Licht teilhaben lässt.
Vor zwei Jahren war Katie Crutchfield physisch und psychisch am Boden. Die Monate nach dem Ende der ´Out In The Storm´- Tournee nutzte sie, um Kräfte zu sammeln und sich selbst zu finden. An eigene Musik dachte sie dabei nicht, gleichzeitig war der Soundtrack für ihre tägliche Routine ein spürbar anderer als zuvor. „Ich hörte viel Country, viel Lucinda Williams und solche Sachen. Alles was danach kam, passierte vollkommen natürlich“, sagt sie im Westzeit-Interview über ihre Hinwendung zum Americana-Sound, der ´St. Cloud´ bestimmt. Überraschend kam die Neuausrichtung nicht. Bereits seit dem Waxahatchee-Debüt vor rund zehn Jahren hüpft Crutchfield mit beeindruckender Leichtigkeit im Indie-Dunstkreis von Genre zu Genre. ´St. Cloud´ führt sie nun gewissermaßen zurück zum Ursprung. „Ich bin mit Country-Musik aufgewachsen“, sagt die aus Alabama stammende Musikerin bei unserem Gespräch Mitte Februar.„Auf den bisherigen Waxahatchee-Platten und ganz sicher bei meiner Punk-Band davor habe ich das stets verleugnet und auch sonst gegen meine Identität als Südstaatlerin rebelliert.“
Dass sie diese rebellische Ader inzwischen ein Stück weit abgelegt hat, liegt nicht zuletzt an wachsender Erfahrung.
„Je älter ich werde, desto bewusster werde ich mir meiner Stärken, meiner Stimme als Songwriterin und meiner tatsächlichen Singstimme“, ist sie überzeugt. „Letztlich folge ich einfach meinen Stärken, und damit habe ich bisher noch nie falsch gelegen. Ich schätze mich glücklich, dass ich mich im Kleinen stets neu erfinden kann, ohne dabei meine natürlichen Talente aufs Spiel zu setzen. In einem anderen Interview wurde ich gefragt, ob ich Angst hatte, diese neue Richtung einzuschlagen, und die Antwort ist: Nein, ich hatte überhaupt keine Angst! Im Gegenteil, ich war überzeugt davon, dass sich mir ganz neue Welten eröffnen würden, wenn ich mich wirklich in die Musik des ´Goldenen Zeitalters´ hineinknien würde.“
Trotz eines vergleichsweise traditionellen Grundgerüsts ist ´St. Cloud´ allerdings kein gewöhnliches Back-to-the-roots-Album. Mit Songs wie der Single ´Fire´ oder ´Ruby Falls´ offenbart Crutchfield ein bislang stets gut verstecktes Faible für popmusikalische Eingängigkeit, achtet dabei aber zum Glück sehr genau auf die richtige Dosierung.
„Es stimmt, viele der neuen Songs haben Pop-Element und natürlich hätte ich noch stärker forcieren können, aber dann wäre ich an den Punkt gekommen, an dem sie sich eben nicht mehr echt angefühlt hätten“, ist sie überzeugt. „Es hätte wie ein Produkt geklungen. Ich denke, letztlich hat es besser funktioniert, die Pop-Elemente nicht zu verstecken und sie atmen zu lassen, sie gleichzeitig aber in die Ästhetik des Gesamtalbums einzubinden."
Doch nicht nur klanglich macht Crutchfield inzwischen einiges anders. Vor rund zwei Jahren schwor sie dem Alkohol ab und lebt seitdem insgesamt deutlich gesünder – wissend, dass es in der Musikhistorie zahllose Beispiele dafür gibt, dass Künstler „under the influence“ ihre besten Werke abgeliefert haben.
„Die Vorstellung des geschundenen Künstlers und dass man am leichtesten eine Verbindung zum Publikum aufbaut, wenn man selbst unter chaotischen Umständen lebt – das war zuvor ganz ohne Frage ein großer Teil meiner künstlerischen Identität“, bestätigt sie. „Alle meine bisherigen Platten widmen sich genau diesem Thema. Natürlich hatte ich Angst, aber gleichzeitig wollte ich mir und allen anderen auch beweisen, dass ich gut auf mich aufpassen kann und trotzdem noch etwas zu sagen habe."
Die neue Platte unterstreicht das eindrucksvoll, denn nach dem betont nach außen gerichteten Vorgängeralbum liegt der Fokus nun wieder allein auf Crutchfield selbst.
„Der Sweetspot für mich als Schreiberin ist seit jeher, wenn ich auf mein Innerstes schaue und selbstkritisch bin“, sagt sie. „Die neue Platte fühlt sich wie eine Rückkehr zur Selbstreflexion an.“
All das macht aus ´St. Cloud´ das schonungslose Selbstportrait einer Künstlerin, die zurück zu sich selbst gefunden hat, sich ihre Fehler eingesteht und langsam lernt, mit ihnen zu leben: ein kleines Meisterwerk!
Aktuelles Album: Saint Cloud (Merge / Cargo)
Weitere Infos: www.waxahatchee.com Foto: Christopher Good