Das letzte Album von Jess Williamson hieß „Sorceress“ - und das hatte sie 2020 ziemlich punktgenau in die Pandemie hineingezaubert. Damit nicht genug: Gerade als es los ging mit den Lockdowns verließ sie ihr langjähriger Partner, der sie auch musikalisch bis dahin stets unterstützt hatte. Es ist zwar nicht so, dass Jess aus dieser Not dann eine Tugend machte – aber im Lockdown auf sich selbst zurckgeworfen, begann sie dann an auf Wunsch ihres Labels an einem neuen Song namens „Pictures Of Flowers“ zu arbeiten, bei dem sie erstmals Computertechnik und über Zoom verwendete und dabei für sich neue Perspektiven erschloss. Das war dann die Initialzündung, die letztlich zu der nun vorliegenden neuen Songsammlung „Time Ain't Accidental“ führte – obwohl Jess zuvor mit ihrer Freundin Katie Crutchfield a.k.a. Waxahatchee noch das höchst erfolgreiche Country-Side-Projekt Plains gründete. „Time Ain't Accidental“ ist jedoch dann bewusst kein klassisches Country-Album geworden.
Denkt Jess Williamson überhaupt in Begriffen wie „Stil“ oder „Genre“ wenn sie Musik macht?„Für mich ist das Schreiben von Songs eher ein Handwerk“, überlegt sie, „mein größter Held in Sachen Songwriting ist Leonard Cohen. Ich denke also eher an das Songwriting und weniger an die Produktionsumstände, wenn ich schreibe; wenn das jetzt Sinn macht. Deswegen greife ich immer wieder die Storyteller-Elemente der Country-Musik auf, weil das total in mir verankert ist – aber dann trete ich einen Schritt zurück, schaue mir das Ganze an und frage mich: 'So – wo will das Ganze denn jetzt hin?'."
Na ja – das war eher eine konzeptionelle Frage. Country-Musiker aus Nashville sagen ja zum Beispiel, dass es für sie ungemein wichtig ist, ihre Musik dezidiert als „Country“ zu labeln, um Zugang zu bestimmten Formaten – etwa Radio, Publikationen oder bestimmten Charts bekommen zu können und sie so besser vermarkten zu können.
„Oh ja – ich weiß, was Du meinst“, pflichtet Jess bei, „Mein Projekt 'Plains' war in dieser Hinsicht eher ein Experiment für das bestimmte Genre. Und es war cool zu erfahren, wie das ist – besonders aus dem Gesichtspunkt des Marketing, wie Du sagst. Es war sehr interessant zu beobachten, wie das ein sehr spezifisches Ding war. Aber Du hast schon recht, dass ich das nicht gerne auf diese Weise sehe. Ich denke, die Leute wissen manchmal nicht so recht, was sie mit mir anfangen sollen. Ich bin nicht Indie, ich bin nicht Country und ich bin nicht Pop – und ich bin schon gar nicht einfach nur eine Singer/Songwriterin mit einer akustischen Gitarre. Und dann ist auch noch jede Scheibe, die ich gemacht habe, anders. Ich denke also, dass sie Leute sich manchmal fragen, was ich im Schilde führe. Das ist aber für mich in Ordnung, weil ich denke, dass sie das mit der Zeit schon mitbekommen werden."
Nervt das denn nicht – dieses Bedürfnis Künstler immer in Schubladen stecken zu müssen?
„Nein – ich verstehe das ja“, meint Jess, „ich wünschte nur manchmal, es gäbe eine Schublade für mich, weißt Du? Ich weiß auch nicht so recht, wo ich die neue Scheibe einsortieren soll – und versuche es auf verschiedene Arten. Ich liebe Americana Musik – und einige Songs passen in diese Richtung. Dann liebe ich aber auch Indie- und Folk- und Pop-Musik – und einige Songs passen dazu. Im Moment kann ich noch nicht sagen, wie die Scheibe aufgenommen werden wird, weil die ersten Songs erst vor kurzem rausgekommen sind. Ich habe gerade gehört, dass ein Americana-Sender in Nashville 'Hunter' gespielt hat. Da kannst Du mal sehen ..."
In der Tat, denn der besagte Track ist ein Pop-Song mit einem starken Refrain, der zwar mit einer akustischen Folk-Gitarre unterlegt ist und Slide-Gitarren zu bieten hat - aber auch eine pulsierenden Synth-Basslinie und Synthie-Klangflächen.
„Ja – ich fand das auch cool, weil ich gar nicht gedacht hätte, dass der Song dahin passt“, freut sich Jess, „ich denke also, dass das, was ich mache also was für jedermann sein könnte."
Die Songs auf „Time Ain't Accidental“ scheinen inhaltlich ja zusammenzufassen, was Jess zwischen der letzten Scheibe „Sorceress“ und dem neuen Album widerfahren ist, oder?
„Ja, es ist meine Geschichte der letzten paar Jahre“, bestätigt sie, „und natürlich vom Lockdown. Den letzten Song, den ich für die Scheibe geschrieben habe - 'Rose' - stammt vom Sommer 2021. Es geht also um meine Erlebnisse im Lockdown, wie ich alleine war und wie ich einige Veränderungen durchmachte."
Damit ist auch gemeint, dass Jess von ihrem damaligen Partner kurz nach Ausbruch der Pandemie verlassen wurde und sie sich erst mal einen neuen suchen musste. Ein Umzug nach L.A. funktionierte in dieser Hinsicht aber nicht so gut. „Ich bin in dieser Zeit auch auf Dates gegangen“, gesteht Jess, „dabei habe ich aber festgestellt, dass die Typen, die ich da traf, mir wie aus einer anderen Welt erschienen. Die waren alle reich und hatten ganz andere Vorstellungen als ich."
Welche Vorstellungen hatte Jess denn? Hat das vielleicht etwas mit dem Titel des Albums „Time Ain't Accidental“ zu tun? Was bedeutet dieser für Jess?
„Nun ich denke einfach, dass alles aus einem bestimmten Grund passiert“, meint Jess, „besonders was das Timing angeht. Wenn ich daran zurück denke, was ich früher alles wollte, wann ich es wollte und wie ich es wollte, dann bin ich heute dankbar dafür, dass sich die Dinge damals nicht so entwickelt haben, wie ich es mir vorgestellt hatte. Ich bin hingegen dankbar für die Zeit als solche und wie sie sich entwickelt hat. Ich habe nämlich festgestellt, dass - wenn ich nicht versuchte, etwas zu erzwingen, sondern akzeptierte wie sich Dinge entwickelten - das zu meinem höchsten Wohl war. Der Titeltrack erzählt von der Beziehung in der ich mich jetzt befinde und wie sich diese entwickelt hat. Ich traf nämlich auf einem Besuch in Marfa, Texas, einen alten Freund zu einer Zeit wieder, in der wir beide reif und geerdet genug waren, in diese Beziehung einzutreten. Wir kannten uns zuvor schon eine ganze Weile – und wäre das früher passiert, dann wäre das nicht richtige gewesen."
Wenn es keine Zufälle gibt – und die Zeit als solche das Maß aller Dinge ist – heißt das dann, dass es wo etwas wie eine Vorhersehung gibt?
„Also ich bin gerade in dieser Zone in der ich akzeptiere, dass was immer wie und wann passiert, das auch so passieren sollte“, meint Jess zu diesem Thema, „ich weiß ja auch nicht was passieren wird – aber ich will dankbar sein für das, was passiert."
Aktuelles Album: Time Ain't Accidental (Mexican Summer)
Weitere Infos: http://www.jesswilliamson.com/ Foto: Jackie Lee Young