Manchmal muss man eben warten können. Sich durch nichts vom Weg abbringen lassen. Das Ziel immer fest vor Augen. Tim Bendzko, der soeben seine Debüt-Platte ‘Wenn Worte meine Sprache wären’ eindruckvoll nicht nur auf den Tisch gelegt hat, sondern geradezu krachend auf den Tisch geknallt hat. Nicht, weil die Musik so laut ist. eher das Gegenteil. Auch nicht, weil die Texte so lärmend sind. Eher die Antithese dazu. Doch Gegenteil und Antithese in ihrer Kombination sind so stark und unwiderstehlich, das es eben richtig kracht.
Der gerade Weg ist eine unebeneStraße
Der sympathische Lockenkopf Tim Bendzko ist waschechter Berliner. Was ja heute bei den vielen Zugezogenen, die beinhart behaupten Berliner zu sein, schon mal mehr als erwähnenswert ist. Von Kindesbeinen an schwebt über Tim Bendzko immer so etwas, wie ein heller Stern. Der Musikstern, der ihm, ähnlich, wie einst den drei Weisen aus dem Morgenlande leuchtend den Weg weist. Doch hat er mit Vielem nichts am Hut, was in einer Musikerbiografie über die ersten und weiteren Schritte oft zu lesen ist. Er hat als Kind nie eine Gitarre unterm Weihnachtsbaum vorgefunden. Er hat sich erst gar keine gewünscht. War als Jugendlicher nie glühender Verehrer eines Idols. In einer Schülerband hat Tim Bendzko auch niemals gespielt. Auch kaum Musik gemacht, abgesehen von seinem glockenhellen Geträller bei Schulfesten, Geburtstagen und Weihnachtsfeiern. Dafür hat Tim Bendzko unablässig Musik gedacht und so mit seinem Stern korrespondiert. In Zappas berühmter Pose sitzt er im Bad und sinniert: „Mensch, was mache ich denn so mit meinem Leben? Auf jeden Fall etwas, was mir Spaß macht. Und etwas, was ich richtig gut kann.“
Dieses Gedankenspiel lässt Tim Bendzko nicht mehr los. Dann blitzt es durch seinen Geist. Schlagartig herrscht Klarheit in seinem Kopf:
„Da bleibt nur eins: Singen und Songs schreiben. Aber nicht so nebenher. Das kann nur groß werden, weil es groß werden muss. Und weil ich es weiß.“
Der Stern aber sagt ihm auch, dass seine musikalische Zeit noch nicht gekommen ist. Als Frank Zappa sein bis heute bekanntes Foto schießen lässt, ist er 27 Jahre alt. Als Tim Bendzko ganz unbewusst diese Denkerpose wählt, ist er gerade mal elf.
Der Ball ist rund - eine CD auch
Um sich zwischendrin die Zeit zu vertreiben, nimmt es Tim Bendzko sportlich. Und spielt Fußball. Schließlich ist nicht nur eine CD rund, der Ball ist es bekanntermaßen auch. Was er macht, dass macht er richtig. Als ist es keine Frage, dass sein Kickerdasein beim 1. FC Union Berlin mit dem Sportgymnasium und allem, was sonst so dazu gehört gespickt ist. Doch was auch nie vergeht, sind die tanzenden Töne in seinem Hirn. Unablässig klingen sie. Werden stärker. Schieben sich vor den Ball.
„Mir wurde immer klarer, ich muss Musik machen“, bekräftigt er, „und ich war mir immer noch sicher, dass das dann alle ganz toll finden werden. Aber Gitarre lernen, das wär wichtig. Wie soll ich sonst Lieder schreiben.“
Gesagt, getan. Doch auch der Gitarrenlehrer, der zudem noch ein wenig schlunzig ist, ist nur Mittel zum Zweck.
„Ich wollte einfach nur die Grundlagen können, ich brauchte bestimmte Akkorde, um an meinen Liedern arbeiten zu können“, erklärt er sein eher kurzes Gitarrenlern-Gastspiel. Als dann die ersten Stücke aus Tim Bendzko herauspurzeln, sind sie gehaltvoll und fast lebensweise.
„Die Lieder waren richtig gut, doch so ausdrucksstark, dass sie nicht wirklich zu einem Sechzehnjährigen passen, man hätte sie mir einfach nicht abgenommen“, stellt er klar, „aber das bedeutet nur, meine Zeit ist immer noch nicht gekommen. Mehr nicht.“
Der Geist ist voller Unordnung
Das musikalische Ziel fest im Blick und die Denkwindungen voll von der Seele entsprungenen Wort- und Notenfetzen, ist Tim Bendzkos Geist in Unordnung. Das soll ein Studium ändern, Ein System muss her, mit dem sich alles erklären lässt und das seine Gedanken ordnet. Vielleicht sogar in sein Leben. Tim Bendzko studiert Evangelische Theologie und Nichtchristliche Religionen. Theologie?
„Die Noten- und Wortfetzen sollten sich blitzartig wie von selbst sortieren. Um Gott oder um Religion ging es dabei zu keiner Zeit“, stellt er klar, „ich wollte damit nichts machen. Es ging auch hier um nichts, als um Musik.“
Wieder entstehen Stücke. Und Tim Bendzko testet die Lieder erstmals live. Dabei trägt er Kopf und Seele gleichzeitig auf der Zunge. Und beides lässt er dort zergehen. Obwohl der Publikumszuspruch bereits immens ist, sieht Tim Bendzko noch Potential nach oben und entscheidet erneut:
„Es war noch zu früh um mit den Stücken groß anzutreten, ich wartete ganz bewusst noch ein wenig. Ganz automatisch werde ich den richtigen Moment erkennen.“
Doch das wilde Tier Gesang ist nicht weiter gezogen, es schläft nur. Aber nur kurzzeitig. So schreibt Tim Bendzko weiter Lieder. Sporadisch zwar. So zwischendurch. Seine Texte aber rücken dem Leben mehr und mehr auf die Pelle. Seine Musik verwandelt sich in eine Melange aus Melancholie und träumerischer Romantik, gesungen mit einer soulig umhüllten und jazzig angehauchten Stimme, die so ihresgleichen sucht. Seinem Zwischenzeit-Job als Auktionator für Autos hängt ohne zurückzublicken an den Nagel, als er es physisch spürt, dass die Zeit ist nun reif ist. Reif für seine Stücke. Reif für sein endgültiges musikalisches Coming-Out.
Wenn Worte meine Sprache wären
„Ich habe ihn genau gespürt, diesen magischen Moment“, erinnert sich Tim Bendzko und kriegt dabei eine Gänsehaut. Aus eher sportlichen Gründen und gar nicht mal nicht wegen eines möglichen Entdecktwerdens, stellt er sich der Herausforderung eines Wettbewerbs.
„Ich habe daran teilgenommen, weil ich das Ding gewinnen wollte und nicht um durch den Wettbewerb irgendetwas zu gewinnen“, lacht er. Tim Bendzko hat gut lachen. Er gewinnt. Und der Lohn? Dem Sieger winkt ein Supportkonzert auf der Berliner Waldbühne. Als er schließlich im Juli 2009 den Backstagebereich betritt und der Ruf erschallt, „Tim, dein Auftritt“, geht er ganz unaufgeregt raus, stellt sich vor fast 20.000 Zuschauer und singt. Und er weiß, dass es gut ist. Warum hätte er auch überrascht sein sollen? Tim Bendzko hat immer gewusst, dass seine Zeit kommt und wo sein Platz ist. Er ist angekommen. Wenn die Metapher der Künstlerkollegen von Wir sind Helden, „gekommen, um zu bleiben“ auf jemanden bestens zutrifft, dann auf Tim Bendzko. Jetzt hat er nur noch eine Wahl, die des endgültigen Einschwenkens auf den kreativen Weg. Denn sein Wegweisestern ist blinkend stehen geblieben. Alles stimmt. Zur richtigen Zeit mit den richtigen Liedern am richtigen Ort. Und die Prophezeiung, die sich aus der jugendlichen Such- und Findungsphase entspann, hat sich erfüllt. So verwundert es auch gar nicht, dass sein Album ‘Wenn Worte meine Sprache wären’ eine eigenartige Sogwirkung erzeugt. Man will mehr. Viel, viel mehr. Die melodischen Entführungen sind voller Überraschungsmomente, die genau so träumerisch wie dramatisch sind. Der Gesamtklang ist einfach und erdig gehalten, aber äußerst sensibel auf Gefühl gebettet. Die Akkorde perlen aus seinem Musikhimmel, wie Regentropfen. Wenn die Sonne sie heiß bestrahlt, werden sie warm und umhüllen die Haut. Auch wenn sie trotz ihres sonnigen Gemüts mitunter eine melancholische Stimmung verbreiten, beginnt dennoch keine triste Epoche, eher ködert eine süße Traurigkeit, die jedoch nie die Laune raubt. Die Musik bleibt dabei gehörig reduziert. Mehr wäre schon zu viel. Und weniger nicht genügend. Obwohl bei den schönen Klängen nur auf wenige und meist akustischen Mittel gesetzt wird, ist Tim Bendzkos Musik beatlastig und tanzbar. Die vergebene Taktzahl erhöht die eindringliche Stimmung. Die Musik ist nicht nur intim, sondern gleichzeitig auch rhythmisch äußerst intensiv. Man lauscht der Stimme des Sängers und der musikalischen Untermalung seiner Band so aufmerksam und voller Konzentration und ertappt sich dann beim wilden Kopfnicken, Fingerschnippen und Fußwippen. Jedes von Tim Bendzkos Stücken faltet den poetischen Fächer weit auf. Verführerisch locken die Zeilen voller verstecktem Humor. Sein Kopfkino ist nun klar, strukturiert und sortiert. Tim Bendzko hat nicht nur seinen Klang gefunden, sondern auch seine höchstpersönliche Sprachordnung. Einfach zwar, aber jedwedem komplexen Inhalt absolut gewachsen.
‘Wenn Worte meine Sprache wären’ ist ein zeitloses Entdeckungsparadies. Da kann man nur Tim Bendzkos eigene Aufforderung aus dem zweiten Stück der CD folgen: ‘Sag einfach ja für diese Reise mit mir.’ Ein Album für die Ewigkeit.
Aktuelles Album: Wenn Worte meine Sprache wären (Columbia/Sony Music) Vö: 17.06.
Foto: Alexander Gnädinger