Die Welt hat er bereits vor fünf Jahren musikalisch kurz mal gerettet. Nun ist Tim Bendzko erneut auf dem Wege, zumindest die Musikwelt des Herbstes 2016 zu retten. Doch der 31jährige gebürtige Ost-Berliner ist nicht nur Texter, Komponist und Produzent eines eigenen neuen Werkes! Als Juror möchte er zudem helfen, beim Casting zum Eurovision Song Contest ´Unser Song 2017´ einen erfolgversprechenden Titel zu finden, der Deutschland beim ESC in Kiew würdig vertritt...
Am Abend soll das Fußball-Bundesliga-Spiel zwischen den noch verlustpunkfreien Teams von Bayern München und Hertha BSC Berlin stattfinden. Doch der Bayern-Fan (war 2013 Teil der Initiative ´Liadl fürs Leiberl´ des FC B.) und Ex-Fußballer Tim Bendzko (1.FC Union Berlin) ist weder in München, noch in Berlin. Denn Bendzko ist derzeit unentwegt unterwegs. Egal, ob er gerade für das SWR3 New Pop Festival oder für das NDR2 Soundcheck Festival auf der Bühne steht – seine Fans feiern ihn. Nun sitzt er in einem Hotelzimmer in Köln, macht eine kleine Pause zwischen zwei TV-Sendungen. Fußball ist schon lange nicht mehr sein Leben. Ihn bringt die Musik zum Leben. Bendzko ist halt ein Mensch aus Fleisch und Blut, „Keine Maschine“! Die so betitelte neue Single läuft auf den Spielfeldern der Hörfunksender auf und ab. Nehmen wir den Ball auf, und fragen den Sänger, wie er die Kontrolle über seine Musik, sein Leben bekommt?Tim Bendzko: „Ich glaube, dass es nahezu aussichtslos ist, wirklich ernsthafte Kontrolle über sein Leben zu haben. Aber zumindest die eine oder andere Entscheidung halbwegs bewusst zu treffen, wäre doch ganz schön.“
Eine Maschine kann man reparieren. Gefühle nur bedingt. Ein neuer Song heißt ´Reparieren´. Glaubt Bendzko, dass man wirklich all das reparieren kann, was irgendwann einmal zerbrochen ist?
„Zumindest hoffe ich das. Manchmal muss man vielleicht einfach mal über seinen Schatten springen, stumpf die vermeintlichen Fehler des anderen wegignorieren und sich ausschließlich auf die positiven Eigenschaften des Gegenübers konzentrieren. Ich glaube, dass dann scheinbar unüberbrückbare Probleme auch irgendwann verblassen können.“ Sollte man, wie in ´Wie wir sind´ thematisiert, stets alles hinterfragen? Oder auch mal Fünf gerade sein lassen?
„Ja, das glaube ich. Die Frage ist natürlich, ob man dann jede Antwort auf die Goldwaage legen muss.“
Seine bisherigen Studioalben wurden mehrfach in Gold aufgewogen – ´Wenn Worte meine Sprache wären´ erhielt 5x Gold. Der Nachfolger ´Am seidenen Faden“ wurde gar mit Doppelplatin ausgezeichnet. War es da nicht ´Leichtsinn´ -um es mit dem Titel des heimlichen Hits des neuen Albums zu sagen-, nach dem Hit-Debut ´Wenn Worte meine Sprache wären´ relativ schnell den Nachfolger zu präsentieren? Hingen die Erfolgschancen so nicht ´am seidenen Faden´?
„Nein, das war alles andere als Leichtsinn. Mir war es wichtig, relativ schnell klarzumachen, dass das erste Album kein Zufallsprodukt war. Und der Erfolg des zweiten Albums hat das, glaube ich, bestätigt.“
Nun kommt das dritte Epos, ´Immer noch Mensch´. Das große Thema des Werkes scheint subjektiv die dunkle Jahreszeit, Herbst / Winter zu sein. Piano-Töne, Moll-Akkorde. Was heißt Mensch-Sein derzeit für Dich?
„Der Mensch an sich glaubt ja anderen Lebewesen deshalb überlegen zu sein, weil er vernünftige Entscheidungen treffen kann. Das ist natürlich einfach, wenn man alles hat und scheinbar alles seinen Gang geht. Entscheidend wird es für mich dann, wenn alles aus den Fugen zu geraten scheint. Wenn ich mir ansehe, was in den letzten eineinhalb bis zwei Jahren in Deutschland passiert ist, wird mir Angst und Bange. Wir leben in einem der reichsten Länder der Welt. Im Vergleich zu vielen unserer Nachbarn geht es uns wirklich sehr gut. Kaum kommen Menschen zu uns, die offensichtlich unsere Hilfe brauchen, bekommt eine erschreckend große Zahl der Menschen in unserem Land Angst, dass man Ihnen was wegnehmen will. Es scheint, als hätte jemand die Zeit zurückgedreht. Das finde ich erschreckend. Vor allem, weil ich es für unmöglich gehalten habe, dass so etwas noch einmal in unserem Land passiert.“
Menschlichkeit gewinnt immer! Thematisch dazu passt, dass „Immer noch Mensch“ nicht nur lyrisch die menschliche Seite zeigt, sondern dass der neue Longplayer mehr Nachdenklichkeit, mehr Melancholie in sich trägt, als die beiden Vorgänger.
„Es ist auf jeden Fall nachdenklich, aber im Vergleich zu den Vorgängern weniger verkopft. Ich habe bei den ersten beiden Alben nicht so viel Wert darauf gelegt, dass man zwangsläufig verstehen muss, was ich da sage. Bei diesem Album wollte ich das ändern, irgendwie klarer werden, in dem, was ich da versuche mitzuteilen. Melancholisch finde ich es auch, aber es ist gleichzeitig deutlich weniger schwer als das Zweite. Ich versuche ja stets eine Emotion mit einem Song zu vermitteln. Aber mir ist gleichzeitig wichtig, dass man nach dem Hören eines Albums eher ermutigt als traurig ist.“
Die Songs müssen immer auch A-Capella spielbar sein. Wirst Du diese Philosophie als Juror von ´Unser Song 2017´ (ESC-Casting) einfließen lassen? War es einmal ein Traum, selbst beim ESC zu starten (wie Kollegin Lena)?
„Auf jeden Fall. Ich mag Songs, die mit sehr wenigen Mitteln auskommen, die eher reduziert denn überladen daherkommen. Beim ESC selbst zu starten, ist eigentlich nie ein Traum von mir gewesen, weil meine eigene Musik da subjektiv nicht wirklich hinpasst.“
Zum Bundesvision Song Contest scheinen besagte Lieder jedoch zu passen. Sonst hätte der Sänger diesen Wettbewerb im Jahre 2011 kaum gewinnen können. 2014 verneigte sich Bendzko mit der deutschen Interpretation der ´Geschichte Isaaks´ zum 80.Geburtstag vor dem großen Poeten Leonard Cohen bzw. vor dessen Original „Story of Isaac“. David Bowie durfte dieses gesegnete Alter leider nicht erreichen, er starb am 10.01.2016 in New York. Natürlich sind Bendzko und die beiden o.g. Musiker irgendwie „vom selben Stern“. Jeder Mensch besteht schließlich überwiegendwiegend aus Wasser, Eiweißen, Fetten und Mineralstoffen. Diese Dinge wiederum setzen sich aus verschiedenen Elementen zusammen. Sauerstoff macht z.B. den größten Teil unseres Gewichts aus, etc pp. Aus ´Sternenstaub´ besteht natürlich kein Mensch, auch wenn es ohne die Sterne all die o.g. Elemente nicht gäbe. Bendzkos „Sternenstaub“ ist einer der melancholischen, neuen Songs. Und sicher kein bisschen von David Bowies „Ziggy Stardust“ beeinflusst, oder?
„Man könnte jetzt natürlich meinen, dass der Song nach Bowies Tod eine kleine Hommage an Ihn sein könnte. Ich hab den Song aber schon ein paar Monate vorher geschrieben, und wirklich keine Sekunde dabei an David Bowie gedacht.“
Das hört man. Nicht nur an der unterschiedlichen Herangehensweise der Vocals. Der letzte Song des Albums heißt ´Warum ich Lieder singe´. Singt Tim Bendzko zuhause, oder Freunden etwas vor? Sieht er sich ein wenig in der Tradition der Singer-Songwriter?
„Überhaupt nicht. Das wäre wirklich mein Allerschlimmstes. Ich habe das große Glück, auf Bühnen Musik machen zu dürfen. Und für mich gehört Musik auch genau dahin. Meine Freunde lasse ich damit lieber in Frieden. Ein Singer-Songwriter bin ich ja schon allein dadurch, dass ich meine Songs selber schreibe und singe. Aber das Klischee vom weinenden Jungen mit der Gitarre am Lagerfeuer passt kein bisschen zu mir.“
Was macht ´Immer noch Mensch´ denn nun zu einem ganz besonderem Tim Bendzko-Werk?
„Spannend an diesem Album ist in meinen Augen tatsächlich die Art und Weise, wie es entstanden ist. Ich habe fast eineinhalb Jahre damit in meinem Keller zugebracht, hatte überdurchschnittlich viel Zeit, an den Texten und Songs zu feilen. Und jeder Ton auf diesem Album ist von einem echten Menschen an einem echten Instrument eingespielt worden. Nichts an diesem Album ist gemauschelt oder irgendwie hingebogen. Ich finde, das hört man auch und es tut den Songs extrem gut.“
Menschlich, eben.
Aktuelles Album: Immer noch Mensch (Sony Music) VÖ: 21.10.
Weitere Infos: www.timbendzko.de Foto: Christoph Köstlin