Ein Pfund, ein Brett, ein Meilenstein: Mit ihrem Zweitling ´Everlasting´ macht die deutsche Metalhoffnung Any Given Day einen riesengroßen Schritt nach vorne. Nach dem beachtenswerten Debüt ´My Longest Way Home´ folgt nun ein Album, das die ohnehin schon konsequent vorgehende Band noch raffinierter präsentiert. Dabei ist eigentlich nichts weiter passiert, außer, dass sie hart gearbeitet haben. Ein klarer Fall von „alles richtig gemacht“? Die beiden Gitarristen Andy und Midge standen gerne Rede und Antwort.
Das Ruhrgebiet – nicht nur eine der bevölkerungsreichsten ´Städte´ Europas, sondern auch Keimzelle und Zentrum einer seit jeher sehr lebendigen Metal-Szene. Nicht nur die große Garde des deutschen Thrash-Metals ist hier zuhause – auch eine rege Live-Clubszene und viele Möglichkeiten für Musiker. Und vor allem: Jede Menge Musiker! So kam es dann auch, dass die fünf aus dem Raum Gelsenkirchen/Essen, die heute Any Given Day sind, zuvor schon zumindest teilweise in anderen Bands zusammen gespielt haben. Also eine glückliche Fügung oder gar – um den Bandnamen mal frei zu übersetzen – ein echtes Geschenk wie jeder Tag, den diese Band wieder ein Stück nach vorne kommt?„Auf jeden Fall, aber als wir die Band gegründet haben, war uns das noch nicht bewusst“, erzählt Gitarrist und Hauptsongwriter Andy Posdziech. „Wir haben ja früher schon verschiedenen Konstellationen zusammen Musik gemacht und sind so schon jahrelang miteinander befreundet – und wenn eine Freundschaft so lange hält, über Höhen und Tiefen hinweg, dann ist das schon ein Geschenk.“
So kamen dann die richtigen Leute zum richtigen Zeitpunkt wieder zusammen – und zwar genau dann, als es in den bisherigen Bands nicht mehr so richtig lief.
„Wir hatten alle wieder die richtige Motivation in uns entdeckt und wussten, dass es nur so mit uns Fünfen weitergehen kann.“
„Wir haben uns auch von Anfang an überhaupt keinen Druck gemacht und z. B. auf Teufel komm raus versucht, Shows zu spielen oder ein Album rauszubringen“, ergänzt Dennis ´Midge´ ter Schmitten. „Vielmehr haben wir uns ganz entspannt jede Woche im Proberaum getroffen, an den Songs gearbeitet und hatten einfach richtig Spaß, miteinander Musik zu machen.“
Irgendwann wurde dann aus Spaß weniger Ernst, sondern noch mehr Spaß. Die Möglichkeiten, live zu spielen und mehr Leute zu erreichen, vervielfachten sich auf einmal. Ursache war ein im Gegensatz zur klassischen Ochsentour über die Bühnen des Landes sehr moderner Ansatz, um Aufmerksamkeit zu erzeugen. Und siehe da, er war auch noch wesentlich effektiver: Das noch vor dem ersten Album per YouTube veröffentlichte Video des Rihanna-Covers ´Diamonds´ erfreute sich innerhalb kürzester Zeit zehntausender Klicks und hat die Band quasi über Nacht bekannt gemacht.
„Von da an ging es wirklich ab und wir haben realisiert, dass da auch mehr geht, als nur im Proberaum an Songs zu schrauben. Wir hatten eigentlich auch gar keine Wahl gehabt als den Schritt nach vorne, denn die Leute haben ihn ja gefordert, waren neugierig, wollten mehr von uns hören und sehen.“
Tatsächlich gab es zu dem Zeitpunkt schon ein paar Demosongs der Band, aber bei weitem nicht so viele Reaktionen darauf.
„Wahrscheinlich wäre unsere Geschichte ohne dieses Cover ein bisschen anders verlaufen, das war schon unser Sprungbrett. Aber wir sind glück-lich über diese Entwicklung und nach wie vor überwältigt, in welch kurzer Zeit sich all das ergeben hat, was wir jetzt schon erleben durften.“
Will heißen: Ein Debütalbum, das auf Platz 28 in die deutschen Albumcharts startet, Hauptbühnenslots beim Summer Breeze, With Full Force und Co., was lange Wunschträume erfüllte. Die Möglichkeiten werden größer, der Druck bleibt aber überschaubar – denn „mit eisernem Willen und der nötigen Disziplin bleibt auch der Spaß erhalten“, wie Midge betont. Die Entwick-lung der Band ist auf der kürzlich erschienenen DVD sehr charmant und detailliert von Mirko Witzki, der auch für die Videoclips der Band verantwortlich ist, erzählt. Wurde hier von Anfang an vorsätzlich auf diese Dokumentation hingearbeitet?
„Anfänglich hat der Mirko für unseren YouTube-Kanal kleine Episoden von unseren Gigs geschnitten, also war er da öfters dabei. Als sich immer mehr Material ansammelte, das auch noch hochwertig genug war, hatte er die Idee, daraus seine Bachelorarbeit zu machen – für die er natürlich eine glatte 1 kassiert hat, während die anderen Kollegen ihre Schmetterlingsbildchen präsentierten. Und da die viele Arbeit, die da drin steckt, und das Ergebnis einfach viel zu schade ist, um ungesehen zu bleiben, ist diese Doku jetzt auch als DVD erschienen.“
Zudem ist dadurch ein authentischer und schöner Einblick in das Bandleben entstanden, der außerdem die verschiedenen Charaktere zeigt und den Spaß, den sie an der Sache haben. Eine Menge Spielspaß hört man auch dem neuen Album merklich an – vor allem aber auch die Detailarbeit, die dahinter steckt. Das Grundgerüst erarbeitet Mastermind Andy zuhause, bevor die Band gemeinsam jeden Track veredelt.
„Knapp die Hälfte der Songs stammt tatsächlich aus der Zeit vorm ersten Album“, verrät Andy. „Ein Song muss sich für mich halt erst komplett richtig anfühlen, bevor er die nächste Hürde nimmt. Und in dieser Hinsicht hatte ich zuletzt einige gute Songwriting-Phasen, wo tatsächlich fertige Stücke bei rauskamen. Als dann genug für ein zweites Album inklusive Texten geschrieben war, haben wir uns erst einmal ausführlich mit dem Gesang beschäftigt. Später dann ist all das sphärische Beiwerk hinzugekommen, dahingehend haben wir wirklich eine Liebe zum Detail entwickelt. Sicherlich muss man darauf achten, sich nicht zu sehr in irgendetwas zu verrennen. Wenn der Impuls, den man ausprobiert nicht zündet, dann ist er womöglich nicht der richtige.“
Wenn man einer Metalband das Attribut „gefühlvoll“ verleihen kann, dann wohl Any Given Day. Denn in einer Szene, in denen immer neue Härtegrade und Extreme gesucht werden, ist die gesunde und eben auch sich richtig anfühlende Mischung, für die die Band am Ende steht, ein Stück Uniqueness.
„Natürlich ist es heute schwer, das Rad neu zu erfinden. Vieles wurde ja auch tatsächlich schon perfekt gesagt und gespielt, da muss man nicht drum herumreden. Es ist viel wichtiger, dass eine Band Wiedererkennungswert und Charakter hat, ob nun soundmäßig oder vom Songwriting her. Wir versuchen, eine gute Balance aus all unseren Stilmitteln zu finden. Bei uns ist sicherlich auch die Stimme von Dennis eines davon, weil er einfach alles kann, was mit Gesang möglich ist.“
Tatsächlich wirkt der Gesang von Kraftpaket Dennis Diehl noch um einiges vielseitiger als je zuvor. So fällt dann ein Song wie ´Farewell´, der gänzlich ohne Growls und Screams auskommt und trotzdem klingt wie Any Given Day, noch einmal extra auf.
„Hier haben wir uns ganz bewusst dafür entschieden, nur cleanen Gesang zu benutzen. Da haben wir uns einfach mal getraut... Bei ´Levels´ dagegen haben wir im Endeffekt mehr Clean-Gesang eingesetzt, als ursprünglich geplant. Wir verlassen uns da einfach immer auf unser Gefühl.“
Ein gutes Händchen besaß die Band auch bei der Auswahl eines Gesangspartners für ein kleines Feature: Matt Heafy von Trivium ließ sich tatsächlich nicht lange bitten, ein paar Zeilen zu ´Arise´ beizusteuern.
„Nachdem wir im letzten Jahr das Summer Breeze vor knapp 10.000 Mann eröffnet haben, was sich auf dem Festival auch unter den anderen Bands schnell herumgesprochen hat, lernten wir Backstage die Jungs von Trivium kennen, die später auch dort auftraten – ein echter Fanboy-Traum. Als wir uns dann entschieden hatten, dass dieser Part in ´Arise´ für einen kleinen Gastauftritt perfekt wäre, sind wir auch auf Matt Heafy gekommen. Also haben wir es probiert, ihn dafür zu gewinnen – und er war sofort dabei. Später haben die Jungs uns noch als Support für ihre kleine Deutschlandtour eingeladen – einfach fantastisch.“
Und vor allem der gerechte Lohn für ehrliche Arbeit. Die nächsten Highlights der noch jungen Karriere von Any Given Day folgen sicher in Kürze. Dafür, dass dies auch genug Leute mitbekommen, werden die Jungs schon beizeiten sorgen. Der Rest ergibt sich von ganz allein.
Aktuelles Album: Everlasting (Redfield Records / Alive)
Foto: Christian Ripkens