Eine Verbindung zwischen Island und prallen Sommergefühlen zu knüpfen fällt schon schwer genug. Daran, eine derartige Verbindung zwischen der Insel im Nordmeer und beschwingten, sonnendurchfluteten Klängen zu knoten, daran hat noch niemand gedacht. Also mussten eine Handvoll isländischer Musiker nicht nur dieses Denken übernehmen, sondern entsprechende Noten gleich mitliefern. „Kimbabwe“ heißt die jüngst vorgelegte Platte, die genau dies tut. Ein Märchen aus 1001 Nacht? Mitnichten! Und hier kommt die ganze Geschichte.
Freibeuter der KlangmeereHandelnde Personen sind derer sieben. Drei davon tragen den Nachnamen Stefansson. Was den Bandnamen Retro Stefson nur bedingt erklärt. Und was ist mit Retro?
„Keine Ahnung. Einfach so“, erklärt Gitarrist bórdur Jörundsson unbekümmert. Aber es geht ja auch nicht um den Bandnamen. Es geht um Musik. Dazu haben Retro Stefson weitaus mehr zu sagen. Zunächst sticht ihre gute Laune hervor, die sie in die Stücke gegossen haben. Und gleichzeitig die große Klammer; denn dann beginnt die Vielfalt. Die mannigfache. Da wird es südamerikanisch, afrikanisch, amerikanisch und sonstwie europäisch. Doch so vielfältig? Schmeckt verdammt nach Weltmusik. Nein, nein und nochmals nein. Und das nicht ohne Grund.
„Die Möglichkeiten in Island sind beschränkt, da kannst du nicht mit vielen anderen Bands zusammen in die gleiche Kerbe hauen“, sagt Frontmann und ebenfalls Gitarrist Unnsteinn Manuel Stefánsson, „denn wenn eine Band einen Klangsektor abdeckt, macht es nicht so viel Sinn, dies auch noch zu versuchen. Deshalb haben wir uns für das Quäntchen Überraschung in unserer Musik entschieden. Doch als Weltmusik bezeichnen es immer nur die Anderen. Aber nur die, die kein echtes Ohr zum Hören haben.“
Das angesprochene Quantum zeitigt fröhlich-exotische Stilbrüche en masse und par excellence. Der irre Mix der Freibeuter der Klangmeere lässt hier ein Spielzeugkeyboard pluckern, dort schneidet die Ahnung einer Metalgitarre einem bunt blühenden Strauss karibischer Noten die Köpfe ab und streut Balsam in Form von bei Paul Simon’s „Graceland“ geklauter und getunter afrikanischer Kuvertüre darüber. Jedes einzelne Stück ist melodisch verführend. Hellste musikalische Lichttherapie. Auf der gesamten Platte gibt es keinen einzigen dunklen Moment.
Babylonische Sprachverwirrung
Retro Stefson jonglieren jedoch nicht nur schneller mit Noten, als Ohren zu hören vermögen. Sprachlich lassen sie es auch wild aus sich heraus sprudeln und produzieren eine kleine babylonische Sprachverwirrung: Isländisch, Englisch, Portugiesisch, Spanisch und Nonsensgesabbel. „Die meisten unserer Texte haben keinen Sinn“, erläutert bórdur Jörundsson, „zumindest nicht durchgängig. Um echte Herzschmerz-Hymnen zu schreiben, sind wir zu jung. Aber durch die Tatsache, dass zwei unserer Musiker angolanische Wurzeln haben, sind wir sprachlich breit aufgestellt. Aber dennoch sind viele Zeilen nichts als Fake. Die pure Lautmalerei. Die Stimme nutzen wir her als zusätzliches Instrument, als dass sie wohlgeformte Texte vorträgt.“
Unnsteinn Manuel Stefánsson ergänzt lachend: „Richtig lustig wird es dann, wenn Leute aus dem Publikum nach dem Konzert zu uns kommen und mit uns inhaltsschwanger die Textstellen diskutieren, wo wirklich nichts ausgesagt wurde. So sind die Lautmalereien letztlich nichts anders als abstrakte Bilder, die auch viel an Deutung zulassen.“
Vielleicht ist es das Sehnen der beiden angolanisch stämmigen Bandmitgliedern, das unbewusste Sehnen. Das nach Wärme, nach Sonne, das in der Musik von Retro Stefson zur Sucht wird. Zur Sehnsucht. Die dem Hörer ein beatlastiges Auf und Ab einer respektlos-kreativen Mixtur aus Soul und Tanzmusik, Glamrock und Folklore von einer fröhlichen, ausgelassenen und lebendigen Einfachheit beschert. Oder auf den Punkt gebracht: einfach nur Glücklichwerdmusik.
Aktuelles Album: Kimbabwe (Vertigo / Universal)