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STIFTUNG HUMBOLDT FORUM (HG.)

Hin und weg – Der Palast der Republik ist Gegenwart

(E. A. Seemann, 248 S., 36,00 Euro)

Ein guter Freund von mir ist Architekt. Mit ihm saß ich letztens im Biergarten am Friedrichshain und wir redeten u.a. auch über die ästhetische und städtebauliche (Nicht)Qualität des Berliner Humboldt Forums aka. Stadtschloß. Wir waren uns durchaus einig darin, dass es auch für "nachgebaute" Historie durchaus gelungene Beispiele gibt (z.B. den Dresdener Neumarkt, mein Freund verteidigte auch das Dom-Römer-Viertel in Frankfurt/M.). Genauso einig waren wir uns aber darin, dass das einfallslose Humboldt Forum keineswegs eine Zierde der Berliner Mitte ist. Seit Mitte Mai gibt es dort aber eine nun wiederum sehr sehenswerte Ausstellung zum Vorgängerbau zu sehen. Denn zwischen 1976 und 1990 stand an diesem Ort der Palast der Republik, sicher das Bauwerk, bei dem sich die Honecker-DDR am weitesten aus dem berühmten Fenster gelehnt hat. Geld spielte bei der Errichtung eher eine Nebenrolle, Devisen und sonst kaum verfügbare Baumaterialien und -kapazitäten wurden locker gemacht und die konzeptionelle, architektonische und künstlerische Gestaltung ganz im sozialistischen Sinne an so engagierte wie fähige Kollektive beauftragt. In einer erstaunlich differenzierten und oftmals auch sehr kritischen Auseinandersetzung mit dem Palast kommen im Begleitband zur o.g. Ausstellung nun uva. die Historiker Hanno Hochmuth und Ilko-Sascha Kowalczuk, die Künstlerin Victoria Helene Bergemann (mit dem die zuweilen dann doch etwas theoretisch-feuilletonistisch daherkommenden Texte wunderbar auflockernden Einwurf "berauschend") oder die Stadtplanerin Gülşah Stapel (mit einem ebenfalls sehr kontrastreichen Blick der "Auswärtigen" auf den Palast) zu Wort. Schon im Anfangskapitel findet sich dieser ehrliche, schlimm-schöne Satz: "Der Abriss machte den Palast der Republik zum Symbol des Umgangs der neuen Bundesrepublik mit der DDR." Das macht Lust auf's Weiterlesen – auch für Leute, die vielleicht (wie ich zumindest in den 80ern) ganz bewusst niemals einen Fuß in dieses ambivalente Statussymbol des StaatsSozialismus setzten. Neben der (Bau)Geschichte und Analysen zur (dann politisch als "Basta"-Argument für die Abrissentscheidung missbrauchten) Asbestbelastung, zur (bau)künstlerischen Innenausstattung und den "Designobjekte(n)" gibt es auch grundsätzliche Überlegungen zum auf Ansätze aus dem späten 19. Jahrhundert (Volkshäuser) zurück greifenden Konzept "Kulturpalast" und Untersuchungen zur kurativen Programmatik der tatsächlich vielfältigen Veranstaltungen. Interessanterweise stand der PdR ja länger leer, als er genutzt wurde, denn zwischen der Hals-über-Kopf-Schließung 1990 und dem endgültigen Verschwinden seiner letzten Bestandteile 2008 lagen reichlich 18 Jahre (mit sehr interessanten und beispielgebenden Zwischennutzungen) – regulär bespielt wurde er nur gut 14, nämlich vom 23.04.76 bis zum 19.09.90. Das alles macht dieses Buch auch für "Nicht-Berliner", "Nicht-Ostler" und "Nicht-Architekten" sehr gut nachvollziehbar, sowohl textlich wie auch gestalterisch. Im Einband/Vorsatz finden sich z.B. vorn die Fotos vom Aufbau, hinten die Bilderstrecken vom Abriss. Es gibt jede Menge Aufnahmen vom PdR, seinen Reliquien und Kunstwerken, seinem Personal und den Künstlern, die dort auftraten; es gibt Auszüge aus Interviews mit Menschen, die so oder so mit dem Palast in Verbindung standen und es gibt auch eine Menge Zahlen und Fakten. Der Palast selbst ist aber verschwunden. Nach dem Abriss baute man etwas Neues hin, das etwas Altes vortäuschen und dabei zu gleich modern wirken möchte, ein Haus, bei dem man sich erst kurz vor seiner Fertigstellung überhaupt darüber klar und einig wurde, womit man es denn füllen könnte (und genauso bemüht wirken die hilflosen DauerPräsentationen darin auch). Der reflektierte Umgang, den die in die Stiftung Humboldt Forum integrierte Arbeitsgruppe zur Ortsgeschichte durchaus anerkennenswert betreibt, könnte aber vielleicht doch der "starting point" für ein Anfreunden mit den neuen Tatsächlichkeiten sein. Dennoch gehört meine Sympathie eher der (latent situationistischen) Initiative "Schlosssprengung 2025" (und da zählen bei weitem nicht nur ästhetische Argumente).
Weitere Infos: www.seemann-henschel.de/produkt/hin-und-weg-der-palast-der-republik-ist-gegenwart/


September 2024
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