QUICKSILVER
Zunächst muß auch hier des Todes von Hans Werner Henze gedacht werden. Der vielbeschimpfte "Orpheus der APO" starb nicht in seiner italienischen Wahlheimat (wohin er schon 1953 aus der geistigen Enge des Adenauerlandes floh), sondern am 27. Oktober auf Reisen in Dresden. Als Homosexueller, Kommunist und Nicht-Dogmatiker polarisierte er Publikum und Presse, doch der (späte) Erfolg v.a. seiner Opern gab dieser aufrechten (aber zugegeben manchmal etwas divenhaften) Lebens- und Schaffensweise schließlich recht.Ebenfalls mit dezent akademischem, keineswegs aber elitären Hintergrund nähern sich die Schweden AHLBERG, EK & ROSWALL auf "Vintern" mit Geige, Gitarre und Nyckelharpa dem klassischen nordischen Folksongs und Volkstänzen. Und das konzentriert, doch mit Leidenschaft! 4
Ohne Nyckelharpa, dafür mit Bratsche und Mandoline neben der offenkundig obligatorischen Geige/Gitarre-Besetzung und v.a. unter Einsatz der schönen Stimme von Sofia Sandén spielen SANDÉN-NYGÅRDS-CARR auf "Tänk om - Imagine if" ebenfalls schwedische Volkslieder und davon inspirierte Eigenkompositionen. Manchmal vielleicht etwas zu poliert, dieser Halbedelstein. 3
Jetzt will ich nicht nochmal klassisches Nordic-Folk-Instrumentarium aufzählen, aber das STOCKHOLM LISBOA PROJECT setzt für "Aurora"(alle Westpark/Indigo) natürlich auch darauf. Und auf die Macht der Saudade, die von Fado-Sängerin Micaela Vaz fein zwischen die schwedischen Pol(s)kas gestreut wird. 4
Das bulgarische PERUNIKA TRIO frönt auf "A Bright Star Has Risen"(ARC Music) den traditionellen Liedern seiner Heimat. Anders als die wunderbaren Astara verzichten diese 3 Damen aber auf jedwedes moderne Beatgebastel und vertrauen einzig auf die Macht ihres herrlichen Satzgesanges. 4
Auf eine ganz andere Weise lotet SCOTT WALKER die Möglichkeiten menschlichen Gesangs aus. "Bish Bosh"(4AD/Beggars/Indigo) hält sich nicht mit croonender Schönheit auf, sondern taucht tief ein in die Verfremdungsmöglichkeiten von Sound, Stimme und Konzept. 3
Ähnliches versuchen THE SOMNABULIST auf "Sophia verloren"(Solaris Empire/Broken Silence) mit ihrer Deutung des alten Art-Punk-Gedankens. Destruktion und Schönheit (danke, liebes Info) - genau. 3
Schält man die ganzen technoiden Hüllen von FAKE BLOODs "Cells"(Different/PIAS/RTD), bleibt im Grunde auch Art-Punk über. "Another World" zitiert und zerreist z.B. diverse Weltmusikverweise, immer aber unter dem Regime des straighten Beats und gern mit viel Vocoder- und Sequenzereinsatz . 3
Fred Lanier, in (Elektro)Jazzkreisen als RUBIN STEINER unterwegs, fordert "Discipline In Anarchy"(Platinum/Cargo) ein. Dafür hat er an seinem Synthie die preset-Taste "Spacesound" entdeckt und exzessiv benutzt. Wenn dann noch etwas stoischer Gesang hinzukommt, wächst das Teil mit jedem Ton. 4
Auch Noah Sow aka. NOISEAUX hat ein Händchen für solide Elektroloops und verbindet diese auf "Spectrum"(Jeanne Dark Records/Soulfood) in einem schon in der ungemasterten Promoversion sehr ordentlichen Sound fest mit ihrer respektablen Beat-Anordnung. Dazu dann ein kleine Prise AfroRaps und etwas Bundeszentralpunk (lach!) - schick! 4
PRINCE RAMA klaut für seine "Top Ten Hits Of The End Of The World"(Paw Tracks/Indigo) mehrfach schamlos bei olle Boa und seiner Pia. Oder ist das die Voodooclubinkarnation des Animal Collectives? Ich weiß es nicht. 3
Mit LUCA SAPIOs "Who Knows"(Ali Bu Maye Records/Grooveattack) wird's schmusiger, denn hier regiert der alte König Soul. 3
Und BERGEN wollen auf "Bärenmann"(K&F Records/Broken Silence) auch nicht kratzen, sondern setzen sich zwischen späte Blumfeld und Element Of Crime, ohne peinlich zu werden. Fragile FolkPopLieder mit ambitionierter deutscher Lyrik und schmeichlerischen Melodien mit nettem weiblichen Beigesang. 4
Etwas frecher sind SDP, "Die bekannteste unbekannte Band der Welt"(Berliner Plattenbau/H'art). Der hier praktizierte Mix aus Beatgefühl, Pop & Poesie bzw. Reggae, HipHopPunk & Sido-Feature ist gar nicht übel. Einige Skits und ein apokalyptisches Zombie-Hörspiel runden den Spaß ab. 4
Die buchgewordenen Ox-Kolumnen von ALEX GRÄBELDINGER haben wir in WZ 03/12 angepriesen. Dank OLIVER KORITTKE kann man das nun auch 140 Minuten lang hören: "Die Hölle ist hoffentlich ein warmes Plätzchen, um sich zu erholen"(Kidnap Music/Cargo). Ich mag Korittkes Labberigkeit nicht besonders, aber sie passt durchaus zu diesen PunkBerichten aus Las Vegas und anderen deutschen Provinzstätten oder eben direkt aus dem Irrenhaus. 3
Immer noch besser jedenfalls als "Willkommen im Café Elend"(Morgana Films/Motor/RTD) von DER REST, denn hier gewinnt die Tristesse. Ein unverstandener Weltverbesserer mehr, der vor knapp 2 Jahren noch viel besser war (vgl. Quicksilver 02/11). 2
Dann noch lieber den NINO AUS WIEN und "Bulbureal"(Problembär Records/Broken Silence), der eine lange CD-Rezension gleich im booklet mitliefert und nicht nur damit Humor beweist. Songwritertum zwischen Indiepop und Kneipenrock. 3
Zum Schluß ein Weihnachtsgeschenketip für eigene oder fremde Blagen: Für "Giraffenaffen"(Starwatch Entertainment/Universal) spielten deutsche Popmusikanten von Thomas D (groovy) bis Lena (gar nicht mal schlecht) und von Roger Cicero (naja) bis Ulla Meinecke (wirklich gut!) alte KiTa-Smasher von der Hühnerstall-Oma, dem Kokosnuss-Dieb und Pipi Langstrumpfs Seeräuber-Opa sowie auch einige neue Stücke in endlich mal auch halbwegs elternkompatiblem (MainstreamPop)Sound ein. 3
Rock & Pop
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