Der gemeine Max Mustermann ist exzellent darin, an seinen Ansprüchen festzuhalten – gerne auch an solchen, die er nie an sich selbst stellen würde. Vollkommene Ehrlichkeit ohne Verschönerungen wird so zwar gerne von Musikern in ihren Texten verlangt, doch auch selber offen und brutal ehrlich sein? Lieber nicht.
Ob man es glaubt oder nicht, aber dies musste auch Tom Weaver lernen, seines Zeichens Texter bei Casey.„Bis in meine frühen Zwanziger war ich sehr verschlossen, habe mit kaum jemandem über meine Gefühle gesprochen und meine Emotionen für mich behalten“, erinnert er sich. Der Sinneswandel kam erst mit der Entstehung ihres erstes Longplayers.
„Als ich angefangen habe, unser erstes Album ´Love Is Not Enough´ zu schreiben, wollte ich es richtig machen“, so der Frontmann. „Wenn ich diese Dinge schon thematisiere, dann sollte es auch zu 100 Prozent ehrlich sein – entweder so oder ich suche mir etwas Anderes, über das ich schreiben kann. Bei ´Where I Go When I Am Sleeping´ war es nun genauso: Ich wollte nichts zurückhalten, ich möchte nichts halbherzig machen.“
Genau das ist es, was nun nicht nur das erste Album der Briten ausmacht, sondern auch das zweite: Ehrlichkeit und den Mut auch über die Dinge zu sprechen, an die man nicht so gerne denkt. ´Love Is Not Enough´ handelt dabei von persönlichen Beziehungen, ´Where I Go When I Am Sleeping´ von körperlichen und mentalen Leiden wie einer chronischen Darmerkrankung und Depression. Zwei vollkommen unterschiedliche Themen, doch für Weaver ein durchaus logischer Übergang.
„Alles, was ich zu diesem Thema und zu diesem Punkt in meinem Leben sagen wollte, habe ich bereits gesagt. Würde ich weitere Songs darüber schreiben, würde ich mich einfach nur immer wiederholen und dieselben Geschichten nur mit anderen Worten erzählen. Das wäre Zeitverschwendung und würde auch mich als Künstler nicht reizen. Also habe ich mich einem anderen Kapitel meines Lebens gewidmet.“
Ein anderes Kapitel, welches erneut nicht hochaktuell ist. Er schreibe nie über Dinge, die er zum gegenwärtigen Zeitpunkt erlebe, so der Texter. Ebendies sei es, was sein Songwriting ausmache. Die Retrospektive ergreife bei ihm stets die Oberhand; allerdings:
„Ein- oder zweimal habe ich versucht, Songs über etwas zu schreiben, das ich genau zur selben Zeit erfahren habe“, sagt Weaver rückblickend, „doch innerhalb von nur wenigen Wochen habe ich bereits ganz anders darüber gedacht, wodurch das bisher Geschriebene für mich wertlos wurde. Ich fühle mich wohler damit, wenn ich eine Erfahrung komplett verarbeitet habe und erst dann darüber schreibe, wenn ich genau weiß, wie ich mich ausdrücken möchte und das volle Potenzial herausholen kann.“
Für das Ausschöpfen aller Möglichkeiten spiele auch die Musik eine wichtige Rolle, auf welche die Texte und Gesangsmelodien schlussendlich abgestimmt werden. Sie ist ebenfalls der Beweis, dass Casey gewiss kein Einzelprojekt Tom Weavers ist, sondern eine tatsächliche Band.
„Die Texte handeln alle von mir und meinem Leben, weil ich nie gut darin war, über andere zu schreiben oder mir Dinge auszudenken“, erklärt der Sänger. „Doch ohne die anderen Jungs wären wir als Band niemals so talentiert und würden nicht so viel Anerkennung bekommen.“
Noch vor wenigen Jahren war der Casey-Frontmann so verschlossen, dass er sich niemandem geöffnet hat. Inzwischen spricht er voller Selbstbewusstsein über seine Band und gewährt einen tiefen Einblick in seine Psyche. Ein Seelen-Striptease, zu dem man erstmal in der Lage sein muss.
Aktuelles Album: Where I Go When I Am Sleeping (Hassle Records / Rough Trade) Vö: 16.03.
Foto: Martyna Wisniewska