„Lass den mal, geht gleich wieder.“ So klingt es, wenn die Jungs von Massendefekt streiten. Und das sagt viel aus über die Freunde, die im Jahr 2001 zunächst nur eine Übergangsband für ein Benefizkonzert planten. 17 Jahre später bringen die Düsseldorfer Lokallieblinge mit ´Pazifik´ ihr siebtes Album heraus. Und das ist wesentlich aggressiver und diesmal auch politisch konkreter, als die ursprünglich noch so unpolitische Agenda der Band. In ihrer Heimat bringen ihre melodischen Punkrock-Songs die Fans auch in den ganz großen Hallen zum Tanzen. Und nach dem Konzert haben sie immer ein offenes Ohr und Bier für ihre Gäste. Diese Runde geht jetzt aber mal auf uns: Viel Spaß mit Sänger Sebastian Beyer.
Was hattet ihr euch für das neue Album vorgenommen?“Unsere Alben sind immer Momentaufnahmen davon, wie wir zu dem jeweiligen Zeitpunkt drauf sind. Ich hatte nur eine Vorgabe im Hinterkopf: Die Platte sollte vom Sound her mal wieder etwas breiter, offener, ehrlicher und dreckiger werden als die letzten Alben. Ich finde, es ist auch unser ehrlichstes Album geworden und wirkt nicht gekünstelt. Den Moment haben wir damit gut eingefangen, auch den Zeitdruck, den wir bei der Arbeit hatten. Genau das macht die etwas raue Art der Platte aus.”
Terminstress setzt ganz andere Kräfte frei, oder?
“Das stimmt. Ich glaube, anders können wir auch gar nicht arbeiten. Wir wollen immer pünktlich abliefern und am Ende kommt alles auf den letzten Drücker. Das ist manchmal schwierig, denn auch wenn das musikalische Grundgerüst für einen Song steht, muss es zu den Texten passen. Ich könnte ja zum Beispiel nicht mit einer Metal-Vertonung über Liebe singen. Das Umbasteln wäre im Grunde auch ein schöner Prozess, hätten wir nur mal genug Zeit dafür (lacht).”
Inwieweit plant ihr die neuen Stücke so, dass sie auch live gut funktionieren?
“Wenn wir eine Platte machen, machen wir eine Platte. Wir versuchen gute Songs zu schreiben und im Nachhinein fragen wir uns erst: „Ach, kriegen wir den Titel live überhaupt umgesetzt? Der ist doch so gut! Den müssen wir doch live hinkriegen. Aber den können wir gar nicht so spielen...“ (lacht). So läuft das ab. Aber wir machen einfach das, was wir zu dem Zeitpunkt umsetzen können und am Ende funktioniert es live meistens auch.”
Was inspiriert euch sonst?
“Das Leben als solches. Man hält die Augen offen, Es geht um persönliche Beobachtungen, Erfahrungen, Erlebnisse von Freunden und Bekannten. Auf diesem Album sind allerdings auch ein paar Songs, in denen wir ein bisschen politischer geworden sind.”
Inwieweit war das eine bewusste Entscheidung, so etwas auch mal anzusprechen?
“Früher haben wir es immer so gehalten: Politik machen andere, wir machen Musik! Mittlerweile haben wir uns aber gedreht. Wir denken einfach, es läuft gerade so viel schief. Da müssen wir auch mal das Maul aufmachen. Das haben wir jetzt seit zwei, drei Jahren so gehalten. Wenn man eine Hörerschaft hat, die man erreichen kann, muss man schon mal sagen, was man denkt. Ich finde, das sollte drin und normal sein. „Hört mir zu und denkt mal drüber nach!“ Das ist die richtige Herangehensweise. Doch den Leuten dabei etwas vorzuschreiben, wäre natürlich das Gegenteil von Punkrock (lacht).”
Wie reagiert ihr, wenn Konzertbesucher zum Beispiel Fan-Shirts von für euch politisch fragwürdigen Bands tragen?
“Wir lassen auf keinen Fall irgendwelche rechten Geschichten zu. Laufen Leute in Thor Steinar Klamotten rum, von denen jeder weiß, das es so eine rechte Marke ist, setze ich diese Gäste eigenhändig vor die Tür. Über Fans in fragwürdigen Band-Shirts würde ich sagen: Ich bin ja nicht die Musikpolizei. Solange Leute wegen uns da sind und nicht irgendwelche Parolen rufen oder rechten Kram von sich geben, will ich die Leute auch nicht über einen Kamm scheren. Die Hörer sind wegen uns da und sollen alle miteinander feiern. Wenn einer das Falsche sagt, unterhalte ich mich gern mit ihm und erkläre, dass diese Ansichten nicht richtig sind. Davon bin ich dann überzeugt. Danach ist das Thema gegessen. Es gab in dieser Hinsicht auch noch nie Probleme. Wir haben tolle Fans! Und prinzipiell weiß jeder, der zu unseren Konzerten kommt, natürlich auch, wofür wir stehen.”
Ist euer Enthusiasmus mit den Jahren abgeschwächt?
“Nachgelassen hat nichts! Aber es gibt schon Phasen, wenn ich denke: Jetzt brauche ich mal eine Pause! Wir arbeiten immer in dem gleichen Zweijahresrhythmus: Neues Album, dann geht es auf Tour und dann haben wir irgendwann mal Zeit, ein bisschen runterzukommen. Aber es motiviert uns, zu sehen, dass die Konzerthallen voller werden. Es ist schön, dass da Leute stehen, die feiern, was du denkst und schreibst.”
Inwieweit hat sich euer Musikerleben nach und nach verändert?
“Es ist alles intensiver geworden. Ansonsten haben wir noch immer die Crew, die schon von Anfang an dabei ist. Ein, zwei Leute sind noch dazugekommen. Die Familie wächst kontinuierlich ein bisschen. Wir sind gern unterwegs, machen gern Musik. Das ist es, was wir immer wollten.”
Was ist euer beruflicher Ehrgeiz?
“Unser Traum war es, irgendwann einmal davon leben zu können. Man will nicht reich werden. Es geht darum, etwas gern zu machen. An diesem Ziel halten wir immer schon fest. Und wir kommen ihm stetig ein kleines Stück näher. Manche von uns arbeiten gar nicht mehr nebenbei, andere arbeiten nur in Teilzeit. Außerdem sind unsere Highlights die Düsseldorf-Heimspiele, die wir alle zwei Jahre veranstalten. Dieses Mal spielen wir in der Mitsubishi Electric Halle. Ansonsten freuen wir uns über jeden neuen Hörer. Nach unseren Konzerten sind wir auch immer am Merch-Stand, quatschen und trinken mit den Leuten, holen Meinungen ein. Das sind tolle Gespräche.”
Wie nehmt ihr Kritik auf?
“Konstruktive Kritik ist immer in Ordnung. Wenn es sachlich und trotzdem wertschätzend gemacht ist, kann ich gut damit umgehen. Aber ich rege mich schon auf, wenn einer schreibt: „Das ist ja totale Scheiße, was die da machen!“ (lacht). Andererseits: Ich mag ja auch nicht alles. Es gibt viele Kunstwerke, die mir nicht gefallen und viele Bands, die ich nicht leiden kann. Doch manche Art von Kritik ist eben auch verletzend. Zum letzten Album gab es ein paar Rezensionen, die waren unter aller Sau und zwar weil man herauslesen konnte, dass sich die Schreiber überhaupt nicht mit der Musik befasst hatten. Was soll zum Beispiel ein Jazz-Musiker über ein Punkrockalbum schreiben?! Dass der das nicht gut findet, ist von vornherein klar.”
Ihr bekommt mit eurer offenen Art sicher auch viel Feedback direkt von den Fans?
“Ich finde es immer so schön, wenn Leute nach dem Konzert zu mir kommen und sagen: „Der Song hat mir viel gebracht. Toll, dass ihr das und das damit ausgedrückt habt...“ Und ich denke dann oft: „So haben wir es ja gar nicht gemeint.“ Dann frage ich: „Erzähl mal, worum geht es für dich in dem Song.“ Und dann erklärt er mir etwas ganz anderes, als ich bewusst geschrieben hatte. Und das ist genau richtig. Jeder soll ja für sich etwas hineindeuten und seinen eigenen Song daraus machen. An solchen Reaktionen merke ich, dass das Ergebnis gut ist.”
Was ist das schönste am Tourleben? Was ist das größte Übel?
“Das größte Übel ist die Fahrerei. Die geht mir so auf den Sack. Auf der anderen Seite lernt man schöne Städte und nette Leute kennen. Und bekommt immer viel zu trinken (lacht).”
Was müsste man dir anbieten, dass du von heute auf morgen in ein neues Leben aufbrichst?
“(Überlegt länger) Wenn ich nicht mehr arbeiten müsste und nur durch die Welt reisen könnte, würde ich vielleicht überlegen. Ich bräuchte einfach nur eine Karre, genügend Kohle und würde reisen. Ich bin gern unterwegs. Wenn ich dann keine anderen Sorgen hätte und wüsste, meinen Freunden und meiner Familie geht es gut, würde ich das eventuell noch machen. Nur dann.”
Aktuelles Album: Pazifik (MD Records / Rough Trade) VÖ: 16.02.