Vor neun Jahren veröffentlichte eine junge Band aus Boston ein Album, das in der Szene einschlug wie eine Bombe. Was The Pogues Anfang der 80er begonnen hatten, wurde von den Dropkick Murphys mit „Do Or Die“ 1998 vollendet: die Fusion von Irish Folk und Punk. Sänger Al Barr stieß erst kurz nach „Do Or Die“ zu den Dropkicks und war zu dieser Zeit noch mit seiner Streetpunkkapelle Bruisers unterwegs. Bei unserem Treffen am Berliner Flughafen Tegel kann er sich noch gut an ein Konzert mit den Bruisers in Lübeck erinnern. Aber nicht wegen der Stimmung (es dürften nicht mehr als 50 Leute gewesen sein). In nahezu akzentfreiem Deutsch verkündet er: „Lübeck? Ich liebe Marzipan!“
Das Eis war spätestens hier gebrochen, doch Al, dessen Mutter aus Deutschland stammt, setzt noch einen drauf. „Ich bin nicht der einzige Dropkick mit Verbindung nach Deutschland. Unser Drummer Matt Kelly ist ein Cousin der Kelly Family.“Der wollte seine Verwandten 1993 auf ihrem Hausboot besuchen. Doch seine Cousins und Cousinen ließen ihm über die Security ausrichten, dass sie ihn nicht sehen wollen. „Hast Du noch Worte?“, fragt Al wiederum auf Deutsch.
Nach ein paar Gedanken zum Kaufverhalten deutscher Musikkonsumenten (Stichwort David Hasselhoff) kommt das Gespräch auf die irische Musikszene. Für „Sing Loud Sing Proud“ konnte die Band bereits Shane McGowan verpflichten, auf ihrem aktuellen Album „The Meanest Of Times“ ist den Bostonern ein neuer Coup geglückt. Und der ist nicht weniger spektakulär: „Wir sind im Juni nach Dublin geflogen und haben mit Ronnie Drew von den legendären Dubliners einen Song aufgenommen“, erzählt Al mit sichtlichem Stolz.
Haben die Dropkick Murphys ähnliche Weltstarambitionen wie ihre irischen Kollegen von den Dubliners oder gar U2?
„Bono hat total die Bodenhaftung verloren. Das kommt davon, wenn man anfängt zu glauben, was die Leute über einen schreiben. Man verliebt sich in sich selbst. Das würde uns niemals passieren. Da würden unsere Familien uns sofort in den Arsch treten.“
Grund genug zur Selbstverliebtheit hätten Dropkick Murphys allerdings: „I’m Shipping Up To Boston“ vom letzten Album taucht im oscarprämierten Film „The Departed“ von Martin Scorsese auf. Wie kam es dazu?
„Robbie Robertson von The Band ist totaler Dropkick Murphys Fan, was wir überhaupt nicht wussten. Und er ist schon lange mit Martin Scorsese befreundet. Das war unser Glück. Während der Dreharbeiten zu „The Departed“ hat Robbie Martin Scorsese den Song vorgespielt. Und der mochte das Lied offensichtlich.“
Als Al und Konsorten bei der Filmfirma anfragten, ob sie für einen Videodreh Szenen aus „The Departed“ verwenden dürften, wurde ihnen eine Mail des Regisseurs weitergeleitet: „Sag den Jungs, dass sie alles haben können, was sie wollen. Ich liebe ihre Band. Marty.“
Geadelt von Scorsese – wäre das nicht ein wunderbarer Grund, um ein bisschen abzuheben und sich als Stars zu fühlen?
„Auch wenn wir bekannt sind, ist das nichts, woran ich mich gewöhnen würde. Es wird für mich nie etwas alltägliches sein, vor tausenden von Leuten zu singen, die sich darauf freuen, uns zu sehen. Und auch wenn mich in Boston mal jemand auf der Straße erkennt, dann sieht der mich immer als den Typen von nebenan. Und das sind wir. Wer uns mag, der mag uns wegen unserer Musik. Der Rest ist sowieso egal.“
Leeres Gerede? Eher nicht. Denn entgegen den Erwartungen der meisten Fans und Kritiker ist ein Wechsel von Hellcat/Epitaph zu einem Majorlabel auch zum neuen Album nicht erfolgt. Im Gegenteil: Die Band gründete ihre eigene Plattenfirma und produzierte „The Meanest Of Times“ selbst.
„Wir waren eigentlich immer eine D.I.Y. Band und fühlen uns so auch am wohlsten. Außerdem wird man nach einer so langen Zeit bei einer Plattenfirma nicht mehr ganz so gut unterstützt, wie als neu aufgehender Stern am Musikhimmel. Das sage ich ohne Vorwurf an Hellcat/ Epitaph, das ist ganz normal.“
Szene-Polizisten können also beruhigt sein, dem vermeintlichen Ausverkauf an ein Majorlabel werden sich Dropkick Murphys nicht hingeben. Vorerst zumindest.
„Wir sind nicht so verlogen, wie andere Punkbands, die einen Majordeal nur so lange kategorisch ausschließen, bis ihnen mal einer angeboten wird. Vielleicht werden auch wir mal bei einer großen Plattenfirma landen. Wichtig ist, dass wir unser eigenes Ding machen können, und mit unserem Label haben wir jetzt die volle Kontrolle. Wer weiß, was in ein paar Jahren ist. Wenn Du Deinen Lebensunterhalt mit einer Band wie den Dropkicks verdienst, lernst Du ganz schnell, nur von Woche zu Woche zu denken.“
Aktuelles Album: The Meanest Of Times (Cooking Vinyl / Indigo)