Der schwierige Start liegt längst hinter ihnen. Vor gut 20 Jahren als Nebenprojekt zweier Musiker im Keller eines Friseursalons gegründet, gelten Dropkick Murphys inzwischen als feste Instanz im Alternative Bereich. Dank schweißtreibender Shows, energetischen Songs und einer Fanbase, wie sie loyaler kaum sein könnte. Die für solche Anlässe obligatorisch gewordene Jubiläums Best-Of kommt für die Mannen um Frontmann Al Barr allerdings nicht in Frage. Vielmehr wollen sie mit dem neuen Studioalbum ´11 Short Stories Of Pain And Glory´ alle Qualitäten präsentieren, für die sie in den vergangenen zwei Dekaden gefeiert wurden. „Anders hätten wir uns das gar nicht vorstellen können“, begründet die Boston Connection ihre Entscheidung und will am liebsten sofort mit den Songs auf Tour. Doch manchmal Wunsch und Wirklichkeit gehen getrennte Wege.
Über Dropkick Murphys zu schreiben, fällt schwer. Für ihre Fans sind sie längst zu einer Quasi-Religion abseits des Alltags geworden und trotzdem gab es noch nie einen kommerziellen Hit. Worüber Sänger Al Barr und Gitarrist Tim Brennan gleich nach der Begrüßung schmunzeln müssen:„In Deutschland haben wir einen Status wie sonst nur in unserer Heimatstadt Boston. Die Leute sind verrückt, in einer sehr liebenswerten Art – darum gehen wir hier so gerne auf Tour und schätzen den Support in höchstem Maße“, erklären die beiden und scheinen bereit für den heutigen Interviewtag anlässlich der neuen Platte ´11 Short Stories Of Pain And Glory´.
Die ein paar Monate zu spät veröffentlicht wird, um punktgenau das 20-jährige Bestehen der Band zu feiern. In deren Karriere mindestens genau so viele Shirts und Hoodies wie Alben über den sprichwörtlichen Ladentisch gingen.
Schließlich gilt es gemeinhin als Statement, Fan der Dropkick Murphys zu sein. Womit Ken Casey und der inzwischen ausgestiegene Rick Barton kaum rechnen konnten, als sie das Spaßprojekt 1996 in Quincy/Massachusetts nahe Boston gründeten, um ihren Idolen von The Clash Tribut zu zollen. Als Coverband ging es anfänglich durch Kneipen und Bars.
Ganz ohne Verpflichtungen und mit Proberaum unterhalb eines Friseurladens. Schnell entwickelte sich jedoch eine Dynamik zwischen den beiden, die sich herumsprach und neue Mitglieder anlockte.
„Plötzlich wurde aus dem Freizeitvertreib eine ernstzunehmende Beschäftigung“, erinnert sich Al Barr, der 1998 als Nachfolger für den damaligen Sänger Mike McColgan hinzukam. In einer Zeit, in der irischer Folkpunk Marke The Pogues für die Dropkick Murphys immer wichtiger wurde. Nicht ohne Grund, wie Tim Brennan hinzufügt:
„Bevor ich 2003 Teil der Band wurde, war ich Fan und fand es irre gut, wie die Leute neben, hinter und vor mir bei bei den Konzerten abgingen und auf die Songs reagierten! Jeder sang jeden einzelnen Chorus mit und wenn Al anfingt laut zu werden, grölten alle anderen auch.“
Was im Umkehrschluss bedeutet: Wer Teil dieser Formation sein möchte, muss sich zwangsläufig auf ein Leben auf Tour einstellen, allabendlichen Gigs und jede Menge Alkohol konsumieren – oder trügt der Eindruck? Gleichzeitig müssen die zwei lachen, ehe eine Antwort auf die Frage folgt.
„Niemand von uns wird mit den Jahren jünger“, bekräftigt Barr und zeigt auf seine leicht ergrauten Haare, „lässt man sich da jeden Abend volllaufen, fehlt dir irgendwann die Energie und so loyal unsere Fans sind – die bekommen mit, wenn uns die Motivation flöten geht. Dann gebe es vollkommen zu recht Ärger.“
Erstaunlich locker sah die Community indes den Umzug ihrer Schützlinge von Boston nach El Paso/Texas – freilich nur für die Aufnahmen zu ´11 Short Stories Of Pain And Glory´ und doch geschah es erstmals, dass Dropkick Murphys die Heimat für Albumsessions verließen. Keine leichte Entscheidung:
„Es war anfänglich nur Plan B“, blickt Brennan zurück, „doch plötzlich packten wir ohne große Diskussionen unsere Koffer und zogen um. Die Entscheidung fiel weniger aufgrund längerer Überlegungen – sie wurde aus einem Gefühl herausgetroffen, sich neuen Herausforderungen zu stellen und die Komfort Zone zu verlassen.“
Mit Erfolg: Fast pünktlich zum Jubiläum präsentieren sich Dropkick Murphys deutlich energetischer als zuletzt. Vermischen in gewohnter Manier keltisch-traditionelle Klänge mit der Wucht des Punkrocks und präsentieren ihren musikalischen Ausnahmestatus dank einer Platte, die alles mitdenkt und doch kein Best Of ist.
„Als wir zuletzt zwei Mal hintereinander auf Tour gingen, wurde uns von einigen Seiten nahegelegt, das nächste Mal bitte neue Sachen dabeizuhaben – sonst denken die Leute, wir mutieren zur Greatest Hits Band und das will ich natürlich ebenso wenig wie die anderen.“
Amüsiert sich Barr und betont, wie aufgeregt er jedes Mal sei, wenn erste Reaktionen auf neue Songs eintrudeln und man mitbekäme, ob die eigene Einschätzung mit der von außen übereinstimmt. Um Journalisten ginge es ihm nicht, eher um die Meinung des Publikums und allen anderen, die Dropkick Murphys seit Jahren unterstützen.
Zu großem Unverständnis kam es dabei bislang nie und selbst Mitgliederwechsel führten selten zu Diskussionen – worüber gerade Tim Brennan glücklich sein dürfte: „Unser Umfeld ist trotz aller Euphorie realistisch genug und weiß, dass solche Dinge passieren können. Wir sind da keine Ausnahme.“
Einen Vorteil haben personelle Veränderungen bekanntlich: Oft bringen sie frischen Wind mit sich und bestenfalls neue Impulse fürs Songwriting. Wovon mit den Jahren ein jedes Album der Dropkick Murphys profitierte und man trotz des markanten Bandstils immer wieder Experimente heraushören konnte.
„Wenn ich über eins glücklich bin, dann, dass wir es mit ´11 Short Stories Of Pain And Glory’´ wieder geschafft haben uns weiterzuentwickeln. Das ist nicht immer einfach, wenn du deine Fans begeistern willst – nur Midtempo-Tracks gehen live nicht und alles auf Anschlag langweilt dich aber auch irgendwann.“
Den Mittelweg fanden Dropkick Murphys dieses Mal ganz von allein. Fast ohne irgendwelche Debatten prüften die Beteiligten das Material und hatten vielleicht auch deswegen keine Schwierigkeiten bei der finalen Auswahl, weil dies mit der Erfahrung immer leichter wird.
Barr: „Wenn du als Newcomer dein erstes Album aufnimmst, gibt es nichts wichtigeres im Leben. Nachvollziehbar, aber gleichzeitig bringt dir eine gewisse Gelassenheit viel mehr als diese strikte Fokussierung. Wir folgen da lieber unserem Gefühl und entscheiden gemeinsam, was passt und was nicht.“
Obwohl fast zu simpel um wahr zu sein, glaubt man ihnen solche Aussagen sofort: Egal worum es im Interview geht – keine einzige Antwort klingt einstudiert oder irgendwie gelangweilt.
Dropkick Murphys wissen halt um ihren Status und das gefühlt hunderttausende Bands von dem träumen, was sie erreicht haben: Die weite Welt mit einem ganz eigenen Stil zu erobern, der keinesfalls von irgendwelchen A&R Managern empfohlen wird - hier zeigt sich am besten, warum ihre Fans so loyal sind:
Auch gut 20 Jahre nach dem Karrierebeginn geht das neue, neunte Album ´11 Short Stories Of Pain And Glory´ nicht auf Nummer sicher oder begnügt sich ein verkapptes Best Of zu sein – ganz im Gegenteil, die Ambitionen im Songwriting überraschen mindestens genauso wie die spürbare Energie, mit der im Studio das Ganze eingespielt wurde.
Zum Jubiläum alles bestens – oder fast zumindest: „Wie die Songs wirklich ankommen, wissen wir jetzt noch nicht“, merkt Al Barr bei der Verabschiedung an und reibt sich erwartungsfroh die Hände.
Kein Grund nervös zu sein.
Aktuelles Album: 11 Short Stories of Pain and Glory (Born and Bred / PIAS / Cooperative / RTD) VÖ: 06.01.2017