Die Besucher des Haldern-OpenAir waren nicht die ersten, die durch die unglaubliche Performance der aus dem Nichts auf der Bildfläche aufgetretenen Kaizers Orchestra aus Norwegen überrascht wurden. So etwas hat der gegenwärtige Popzirkus selten erlebt. Junge Männer hüllen sich in Gasmasken, schlagen auf Ölfässern herum und tanzen wie Derwische zu nordischen Polka-Weisen, als gäbe es kein Morgen mehr. Eine musikalische Revolution oder einfach der Sound einer neuen Generation? Frontmann Jan-Ove berichtet aus dem Herz einer Band, die unweigerlich noch wachsen wird, ob sie es will, oder nicht.
Bergen in Norwegen ist nicht gerade der Nabel der Welt, aber doch ist die Qualität der dortigen Musikszene nicht zu übersehen. Nun aber tritt eine Gruppe sechs junger Burschen auf den Plan, die mit relativ unkonventionellen Mitteln das Genre Rock das Fürchten Lehren. Es geht nämlich auch anders. Schräge Instrumentierungen mit Akkordeon, gestrichenem Baß und Saxophon, stampfende, schleppende Beats und Klänge, die bislang nur von den Neubauten in solcher Intensität erreicht wurden. Was auf Konserve festgehalten schon unnachahmlich stark resp. nur von einem Kaliber wie etwa Tom Waits machbar wirkt, ist in der Bühnenumsetzung ungleich stärker. „Als wir vor sechs Jahren anfingen, haben wir uns darauf konzentriert, einen sehr guten Live-Act darzustellen. Wir wollten nie 1.000.000 Platten absetzen, das können wir nicht kontrollieren und planen. Unsere Shows dagegen schon. Daher basiert unsere Musik auf Melodie und Rhythmik, Sachen halt, die auf der Bühne gut wirken. In Verbindung mit unserem Auftreten in Anzügen, dem Dialekt, den wir singen und den zum Teil außergewöhnlichen Instrumenten sind wir unserem Ziel, der Perfektionierung unserer Show, sehr nahe gekommen. Nach drei Jahren haben wir uns dann entschlossen, endlich einmal ein Album aufzunehmen.“ Diese in ihrer Heimat mit knapp 100.000 abgesetzten Einheiten ziemlich erfolgreiche Platte, barg einige Schwierigkeiten. „Es war natürlich nicht einfach, das Klangerlebnis von der Bühne auf Tonträger zu bannen, da wir eine visuell arbeitende Band sind. Nur die Platte anzuhören, ohne uns zu sehen, kann mitunter recht verwirrend sein.“ Aber auch umgekehrt. Warum trägt man Gasmaken und feinen Zwirn? „Wir wollten schon immer unsere Auftritte so komplett wie möglich gestalten. Sie sollen große Partys sein, dazu tragen wir halt Anzug und Krawatte. Und irgendwie passen auch Gasmasken dazu.“ Irgendwie schon. Eine weitere zwingende Frage: Warum singen Kaizers Orchestra in Landessprache bzw. einem Dialekt? „Das haben wir von Beginn an getan, und es wirkt im musikalischen Sinne am Besten. Wir haben nun schon einige Gigs in Europa gespielt und die Leute haben nicht ein Wort verstanden, aber die Energie, die Hooklines und der musikalische Audruck ist dagegen umso verständlicher.“ Der europäischen CD-Version liegt netterweise ein zusätzliches Booklet mit englischen Übersetzungen der Lyrics bei... „Leider sind aber der Rhythmus und die Reime des Gesangs so nicht mehr gegeben. Die Übersetzungen geben eine grobe Idee der Inhalte wieder, sind aber bei weitem nicht so catchy wie die Originale.“ Meist handelt es sich um düstere Themen wie Tod oder die Hölle, krude Gestalten wie Sven Korner oder Fredrik Meltzer sind Protagonisten wirrer Moritaten, die gänzlich unbekannt erscheinen. „Sie sind nicht unsere Helden, sondern reine Fiktion. Wir behandeln in unseren Texten die wichtigsten Dinge des Lebens: Tod, Religion, Verlust, Betrügereien, Krieg, etc. und machmal sind es sehr viele Gegensätze auf einmal. Wir wollen nicht lustig sein, sondern die Leute bewegen. Und das erreichst du nur, wenn du emotional starke Themen behandelst.“ Der Aufbau der Songs und die Verbildlichung durch schwere Rhythmik und dunkle Poesie erinnert zeitweise gar an eine abgespeckte Form von Doom-Metal, der auch in Skandinavien weit verbreitet ist. „Der Kontrast gefällt uns sehr. Viele Songs sind sicherlich in Moll gehalten, was aber nicht heisst, dass sie auch aus negativer Energie heraus entstanden sind. Viele Leute sind überrascht, wenn sie uns leibhaftig spielen sehen, weil sie denken, dass wir düstere und traurige Musik machen. Aber sie merken sehr schnell, dass wir unsere positiven Kräfte bündeln, auch wenn die Moll-Akkorde sehr stark und mächtig wirken.“ Was ist eigentlich dieses mysteriöse „ompa“, das die Band dem Albumtitel nach bis zum Tod durchzieht? „Ich dachte, du wüsstest das! Für uns ist das ein deutscher Musikstil, der durch Tuba, Pauken und Posaunen geprägt ist, etwas, das von marschierenden Blaskapellen und Trommlercorps gespielt wird. Das ist „ompa“, oder?“ Wahrscheinlich hat er recht. Und wahrscheinlich kann er „ufftata“ einfach nicht aussprechen.Aktuelles Album: Ompa Til Du Dør (Broiler Farm/PIAS)
Weitere Infos: www.kaizers.no Foto: Sonja Niemeier