Von Gemütsverstimmung kann bei diesem Katzenjammer definitiv keine Rede sein! Eine Ernüchterung nach überschwänglicher Freude ist ebenfalls nahezu ausgeschlossen. Dennoch fühlt sich Sängerin Anne Marit Bergheim `angepisst´ , wenn sie an ein Konzert ihrer norwegischen Landsleute von Turbonegro denkt...
Die 2005 von Bergheim (Gesang, Klavier, Mandoline, Banjo, Akkordeon, Gitarre), Solveig Heilo (Gesang, Schlagzeug) und Turid Jørgensen (Gesang, Grinse-Bass-Balalaika, Banjo, Schlagzeug) nach dem Comicstrip ´The Katzenjammer Kids´ gegründete Formation aus Oslo startete ursprünglich mit Tuva Andersen, bevor letztere aus-, und Marianne Sveen (Gesang, Klavier, Akustikgitarre, Mandoline, Ukulele, Bass-Balalaika, Schlagzeug) eintrat. Doch letztendlich spielen alle mehr oder weniger an allen Instrumenten. Warum wechselt z.B. der Bass oft hin- und her? Die humorige Antwort von Westzeit-Gesprächs-Partnerin Bergheim lässt nicht lange auf sich warten:„Wir haben zwei Leute, die den Bass gerne halten. Erstens das Original, alt & schrullenhaft, dann die aktualisierte Variante, die erstere in die zweite Reihe zurücktreten lässt...“
Spaß hat hier Vorrang – und das hört man dem ulkigen, brechtschen Country-Folk-Cabaret-Punk der Damen ganz deutlich an. Lebensfreude steht primär im Vordergrund! Wahrscheinlich hat der katzenjammernde Bass daher auch weniger Saiten...
„Unser Bass ist eine Live-Balalaika, die eben nur 3 Saiten hat. Es ist das größte Balalaika-Instrument.“
Überhaupt scheint Entspannung groß geschrieben im Kosmos des tierischen Damen-Quartetts. So ist die Band bekannt dafür, dass sie während der Soundchecks vor Konzerten in schluffigen Baggypants herumläuft. Im Zusammenspiel mit gemütlichen Pullovern rücken sie das Erscheinungsbild stark in Richtung einer HipHop-Formation. Bergheim lacht amüsiert.
„Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht. Es ist einfach relaxt. Wir mögen es halt komfortabel, bevor die Show anfängt. Wenn das Konzert dann anfängt, tragen wir eben nicht das gemütlichste Outfit, sondern sind vollständig angemalt, aufgebrezelt. Doch so möchten wir nicht stundenlang herumlaufen, also tragen wir bis zum Countdown zur Bühne nur gemütliche Sachen.”
Eher entspannt ging es auch in der TV-Sendung zu, die (neben den diesjährigen Westzeit-Coverstars Johannes Oerding, Bosse & Co-Cover Jupiter Jones) dem Katzen(ge)jammer in Deutschland mit zum Durchbruch verhalf – „Inas Nacht“, die „Singen, sabbeln, saufen“-Show von Ina Müller.
„Das war klasse, ein völlig neues Konzept für uns. In einem engen Raum (Fassungsvermögen circa 20 Personen; Anm. d. Verf.) zu performen, in dem es ´wolkig´ ist, wobei Menschen von draußen vor dem Fenster zugucken, und im dem Leute herumhängen, die einem wie die eigenen Freunde erscheinen, brachte viel positive Energie. Den Soundcheck machten wir einige Stunden zuvor, in der Sendung spielten wir dann zwei Songs. Die Dreharbeiten dauerten für uns knapp eine Stunde. Und ich kann mich nicht erinnern, herumgesessen oder gewartet zu haben - kein bisschen Langeweile!“
Im Verlauf der Damen-Fußball-WM gab es kürzlich ein kostenloses Katzenjammer-Konzert in Leverkusen.
„Ich interessiere mich nicht sonderlich für Fußball, Marianne dagegen sehr. Leider hat Norwegen verloren!“
Keine verlorene Zeit hingegen waren die Aufnahmen zum neuen, zweiten Longplayer „ A Kiss Before You Go“. Auf dem Track „Gypsy Flee“ ist Frank Zappas Sohn Dweezil als Gastgitarrist zu hören.
„Unser Producer Mike Hartung ist mit ihm befreundet. Leider konnten wir Dweezil nicht persönlich treffen. Er spielte seinen Part in einer Nacht ein, in der wir ein Konzert in Norwegen hatten, hat uns aber eine nette Nachricht hinterlassen!“
Es bestehen Parallelen zwischen den Arbeiten von Frank Zappa und Katzenjammer. Besonders Zappas musikalisch-geistige Freiheit ist für die Damen ein wichtiger Bestandteil der Gruppenphilosophie, wenn nicht gar ein Motor der Kreativität. Deshalb möchte sich das weibliche Quartett auch nicht auf Chartkurs trimmen lassen. Dennoch gibt es Unterschiede zur Spielweise (Dweezil) Zappas.
„Ich könnte nicht so spielen wie er! Wir spielen keine Solos, können es wahrscheinlich gar nicht. Wir bedienen unsere Instrumente in einer anderen Weise, spielen einfach ´mit dem Fluss´, packen die richtigen Gefühle, die richtigen Sounds gemeinsam in unsere Musik.“
Was auf „Loathsome M“ besonders kraftvoll geschehen ist. Der Song erinnert subjektiv latent an den „Song 2“ von Blur.
„Oh, den Song erinnere ich gerade nicht, werd ihn mir gleich mal anhören.. ´Loathsome M´ ist auf jeden Fall eine Art von Punkrock!“
Nahezu das musikalische Gegenteil von Punk, eher eine direkte Inspiration vom Mainstream, dürfte die Katzenjammer-Coverversion von „Land Of Confusion“ darstellen. Komponiert in den Achtziger Jahren von Phil Collins´ Hittruppe Genesis, wurde der Track total umarrangiert.
„Viele Leute erzählten uns, dass sie keine Genesis-Fans seien, aber unsere Version mögen. Es ist ein fantastischer Song. Marianne hat die Idee dazu in die Band getragen. Und es hat prächtig funktioniert!“
Im Original ist das Lied zum „weglaufen“. Apropos: Warum handeln so viele LP-Tracks vom weglaufen? Nach „A Kiss Before You Go“ folgt „I Will Dance (When I Walk Away)“...
„Auch darüber haben wir nicht nachgedacht. Vielleicht hat es damit zu tun, dass wir jeden Tag auf´s Neue in der Lage sind, entspannt neue Verabredungen zu treffen. Aber das Rezept in ´Cherry Pie´ entspricht der Wahrheit. Ich habe es selbst einmal ausprobiert.“
Wahrscheinlich ein Erfolgsrezept. Und aus Bergheims Sicht sicher das Gegenteil des deutschen Pop-Hits „Lemon Tree“. Die Musikerin singt die Strophe mit „I wonder how, I wonder why...“ an.
„Ich persönlich bin kein großer Fan des Songs. Es ist sicher ein guter Pop-Song, aber ich kann mich da nicht hineinfühlen. Es ist halt eine Frage des Geschmacks.“
Bergheim bevorzugt, oder besser liebt, dagegen „The Black Rider“ (aus dem gleichnamigen Musiktheaterstück) von Tom Waits.
„Das ´The Black Rider´- Album reflektiert für mich all das, was schön an der Musik ist. Der Track ´Black Rider´ ist einer der coolsten Songs überhaupt. Du wirst ihn definitiv lieben. Check it out! Ich kann ihn jetzt leider nicht vorsingen, weil die tiefe Singstimme für eine Frau schwer umzusetzen ist.“
Neben der Musik von Waits schätzt Bergheim Künstler wie Nick Cave. Auch ihre Landsleute vom Kaizers Orchestra finden beim Interview positiv Erwähnung, obwohl die Musikerinnen auf Grund des ´kaizerlichen´ Akzents deren Lyrics manchmal nur schwerlich verstehen können... In Norwegen gibt es glücklicherweise eine große Auswahl an verschiedenen Künstlern, denn „... es ist ein reiches Land, dass überall viele Künstler- und Musikschulen hat.“
Jørgensen, Heilo und Bergheim selbst haben am nordischen Institut für Bühne & Studio in Oslo Musik studiert. Doch Oslo hat noch mehr zu bieten – z.B. die nicht nur in Deutschland kultisch verehrten Musiker von Turbonegro. Die haben sicherlich eher nicht studiert, sondern entsprangen der Subkultur (was hier in keiner Weise negativ dargestellt werden soll; und ebenso reizvoll wie ein Studium erscheint). Anne Marit Bergheim kennt deren Mitglieder jedoch nicht persönlich.
„Aber ich erinnere mich sehr gut daran, einmal in Dänemark beim angesagten Roskilde-Festival ein Konzert der Gruppe besucht zu haben. Es war einwandfrei und warm. Doch als die Leute das Konzert für sich entdeckt hatten, konnte ich nicht mehr weggehen. Ich kam nicht aus der Menge heraus. Und dann war da dieses Mädchen, dass so sehr dringend pinkeln musste! Sie stand direkt neben mir... Sie musste sooo dringend pinkeln, konnte der Turbonegro-Vorstellung aber ebenfalls nicht mehr entfliehen! Also setzte sie sich hin, und piite auf meine Füße! Das ist, was ich erinnere, wenn ich den Namen Turbonegro höre. Musikalisch war die Band jedoch ohne jeden Zweifel fantastisch!“
Aktuelles Album: A Kiss Before You Go (Universal) VÖ: 09.09.
Weitere Infos: www.katzenjammer.com Foto: Erik Weiss