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MARIKA HACKMAN

Zurück zur Kontrolle

MARIKA HACKMAN

Das letzte Album mit neuem Material der Londoner Songwriterin Marika Hackman hieß „Any Human Friend“ und erschien 2019 – am Vorabend der Pandemie. Damals schien Marika besonders ausgeglichen und erging sich musikalisch in erstaunlich poppiger, zugänglicher Hedonie – so sehr sogar, dass sie den Spaß am Sex zum Thema der Scheibe machte. Natürlich wurde die Gute dann wie alle ihre Kollegen in kreativer Hinsicht von den Lockdown-Szenarien der Pandemie ausgebremst. Aufgrund des Fehlens von externem Input war es ihr dann auch nicht mehr möglich, neue Songs zu schreiben, so dass sie sich mit einer Sammlung von Coverversionen über Wasser hielt um – wie sie sagte – das Problem mit der „leeren Seite“ beim Song-Schreiben zu vermeiden. Es dauerte dann eine ganze Weile, bis Marika wieder daran denken konnte, neue, eigene Song-Ideen zu entwickeln. Das nun vorliegende neue Werk „Big Sigh“ bezeichnet sie daher, als das schwierigste Album, dass sie jemals gemacht habe. Ist denn der im Titel des Albums erwähnte große Seufzer wenigstens einer der Erleichterung geworden?

„Es war halt sehr schwierig, dieses Album zu machen“, meint Marika, „es hatt sehr lange gebraucht um es fertigzustellen und es war eine einzige Plackerei für mich. Der große Seufzer ist dann eher ein Seufzer der Erleichterung nachdem ich es geschafft hatte. Es sollte sich auch musikalisch anfühlen wie ein Moment, in dem man dann loslassen kann. Ich kann Dir auch sagen, dass ich viel geseufzt habe, während ich das Album machte – und nachher dann eben auch."

Das ist dann auch der Grund dafür, warum Marika bei dem Titeltrack mit einem Orchester- und Bläser-Arrangement arbeitet – um diesem Gefühl der Erleichterung über das Erreichte Ausdruck zu verleihen. Ging es ihr auf dem Album dann vielleicht auch darum, die Kontrolle über ihre Kreativität wieder zu erlangen?

„Uhh“, meint sie überrascht, „vermutlich ja. Ich bin nämlich ein Control-Freak und hatte die Kontrolle in der Pandemie dann doch verloren, was ich als sehr unangenehm und gruselig empfand. Ich hatte die Kontrolle ja dewsegen verloren, weil ich keine Inspirationen finden konnte. Und wenn man keine Inspiration finden kann, dann gibt es nichts, was man dagegen tun kann. Man kann ja keine Inspirationen erzwingen. Es gibt ja sowieso keine echte Kontrolle beim Song-Schreiben – und auch damit wurde ich dann konfrontiert. Ich habe aber über das Thema überhaupt nicht nicht nachgedacht – bis gerade eben. Aber Du hast recht – das wird es vermutlich gewesen sein.“

Das thematisiert Marika auch in dem Song „No Caffeine“ - der praktisch eine Art Auflistung aller Maßnahmen beinhaltet, mit denen sie sich im Alltag gegen ihre Probleme, Ängste und Neurosen zu Wehr zu setzen bemüht. Und wenn man diese Probleme dann auf diese Weise adressiert, dann haben sie ja schon einen Teil ihrer Wirkung verloren – und man befindet sich auf dem besten Wege, die Kontrolle wieder zu erlangen.

„Ja, das ist hilfreich bei der Rückgewinnung der Kontrolle, denn indem ich über etwas schreibe, was mich bedrückt, dann habe ich ja schon einen positiven Aspekt zur Lösung gefunden. Es zügelt die Probleme dann ein und das ist definitiv der Weg, die Kontrolle zurückzugewinnen."

Als Musikerin muss man ja zwangsläufig gewisse Aspekte seines Tuns kontrollieren – denn ansonsten versackte ja alles im Chaos. Welche Aspekte sind das denn für Marika, wenn sie sagt, dass sie das Song-Schreiben selbst gar nicht richtig kontrollieren könne?

„Das ist eine feine Balance, auf die man achten muss“, überlegt Marika, „ich versuche mich von dem Song leiten zu lassen, wenn es um die Produktion geht und versuche nicht, den Song in einen Schuhkarton zu stecken, wo er nicht reinpasst und ihm Ideen aufzuzwingen die nicht geeignet erscheinen. Was man dann kontrollieren kann, sind Dinge wie zu wissen, wann man aufhören muss und nicht zuviel zu produzieren. Auch Streicher-Partien zu arrangieren muss man natürlich kontrollieren. Aber wenn es um das Schreiben geht, dann ist das einzige, was ich wirklich kontrollieren kann vielleicht der Text. Musikalisch ist das aber eine so organische Sache, dass ich überhaupt nicht beschreiben könnte, wie das alles passiert.“

Kann Marika denn wenigstens definieren, was sie musikalisch dann motiviert?

„Ich bin hauptsächlich vom menschlichen Erleben inspiriert und von den Dingen, die uns als Menschen verbinden. Das finde ich faszinierend. Und ich finde auch, dass das, was wir alle gemeinsam haben, ausgerechnet das ist, worüber es zu sprechen am schwierigsten ist. All die Dinge, die die Leute verdrängen möchten oder die sich peinlich anfühlen. Obwohl ich im Laufe meiner Karriere eine Menge Veränderungen die musikalischen Genres betreffend hatte, ist es der menschliche Zustand und die verschiedenen Aspekte desselben dann doch das verbindende Element, zu dem ich mich hingezogen fühle. Das ist die treibende Kraft für mich – und auch, dass ich mich heutzutage selber besser verstehe.“

Und wonach sucht Marika dann insgesamt als Songwriterin?

„Nach etwas, was eine Gefühlsregung provoziert“, meint sie sehr bestimmt, „das kann dann die Euphorie sein, die durch den Refrain eines massiven, großen Rocksong ausgelöst wird, oder aber ein Dance-Track, der Dich zum tanzen anregt, weil Du das fühlst. Aber generell fühle ich mich zu den melancholischeren Aspekten hingezogen. Kurz gesagt, liebe ich einfach traurige Songs und habe mich immer zu trauriger, emotionaler Musik hingezogen gefühlt. Das ist immer das Erste, wonach ich suche. Davon abgesehen mag ich es auch, wenn mich zum Beispiel eine Melodie überrascht und in Richtungen führt, die ich nicht erwartet hätte – oder etwas Neues, was es bis heute noch nicht gegeben hat; was heutzutage auch nicht ganz einfach ist. Ich versuche für gewöhnlich, so etwas anzustreben – aber bei der neuen Scheibe habe ich aufgehört, über so etwas nachzudenken, weil ich einfach eine gute Songsammlung haben wollte und dieser gerecht werden wollte."

Und was ist mit Songs wie dem als Folksong ausgelegten Track „The Yellow Mile“, die keine großartige Produktion benötigen?

„Nun, wenn Du weißt, dass ein Song keine großes Produktionsvolumen benötigt, dann ist das natürlich schwieriger, weil dann jeder einzelne Ton wichtig ist und zählt. Aber was ich sehr befriedigend finde, in dieser Richtung zu arbeiten, ist der Umstand, dass das dann so direkt ist, dass es fast einfacher ist, auf diese Weise Inhalte zu vermitteln, als wenn man versuchte, sie in einem großen Rocksong mit knackigen Riffs zu verarbeiten.“

Muss man sich dann nicht etwas zurückhalten – eben weil alles so bedeutungsvoll und relevant ist?

„Ich tendiere eigentlich nicht dazu, mich irgendwie zurückzuhalten“, erklärt Marika, „und ich bin bereit, auch unangenehme oder traurige Dinge aus meinem Leben oder meinem Umfeld anzusprechen – wobei es schwieriger ist, wenn es um andere geht. Was mich betrifft, so betrachte ich alles als thematisches Freiwild. Wenn man solche Songs oder ein ganzes Set in dieser Art jeden Abend aufführt, dann finde ich, dass gerade die emotionalsten Momente aus diesen Songs am schönsten sind, weil man die Verbindung zu dem was man tut so am intensivsten verspürt.“

Wie geht es nun weiter für Marika? Macht sie Pläne für die Zukunft – oder nimmt sie die Dinge, wie sie kommen?

„Beides – aber Ich denke die zweite Option ist die gesündere“, meint sie, „es bedeutet, dass man nicht so weit in die Zukunft blickt und das ist eine nachhaltigere Art des Denkens – speziell in unserer seltsamen Welt. Ich habe aber natürlich Ziele in der Art, dass ich gerne eine längere Karriere hätte. Ich möchte respektiert werden und nur solche Art von Musik machen, die ich selber auch mag und auf die ich stolz sein kann. Zumindest für die nächsten 20 Jahre, hoffe ich."

Aktuelles Album: Big Sigh (Chrysalis / Cargo) VÖ: 12.01.


Weitere Infos: http://marikahackman.com/ Foto: Steve Gullick

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