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CAMILLA SPARKSSS

Der Hang zum Gesamtkunstwerk

CAMILLA SPARKSSS

Barbara Lehnoff, aka. Camilla Sparksss, veröffentlicht schon seit 2008 Musik. Zunächst als Teil eines Duos mit dem seltsamen Namen Peter Kernel (ihr dortiger künstlerischer Partner Aris Bassetti ist zugleich Mitgründer und -betreiber des bandeigenen Labels "On The Camper Records"), seit 2014 dann auch solo (s. WZ 07/14). Aber C.S. (wie wir sie hier mal der Kürze halber nennen wollen) ist auch als Filmemacherin und Bildende Künstlerin aktiv – ihre künstlerischen Interessen sind weit gestreut und kennen keine (Genre)Grenzen. Das führt, hinreichend Talent vorausgesetzt, beinahe zwangsläufig zu spannenden Resultaten, deren jüngstes mich so begeisterte, dass ein (aus vielerlei Gründen leider nur per E-Mail geführtes) Interview nur folgerichtig war.

Geboren wurde C.S. 1983 in Kanada, die Mutter Italo-Schweizerin, der Vaters Deutscher - beide beschreibt sie heute als "projektorientiert und hyperaktiv" und mit ihren "wilden, kreativen Persönlichkeiten" als Haupteinfluss für ihre Entwicklung. Das Aufwachsen inmitten der scheinbar unendlichen Weite der kanadischen Wälder (die Familie lebte in einer kleinen Stadt nahe Ontario) trug ein übriges dazu bei, dass aus Barbara Camilla wurde, aus dem Mädchen eine Künstlerin. Zum Studium (Wirtschaft und Grafikdesign) ging sie – wohl auch ein wenig auf der Suche nach ihren Wurzeln – in die Schweiz. Und blieb dort, seit langem lebt sie in der in der Nähe von Lugano.



Wie wichtig ist der deutsch-schweizerische Hintergrund? Schreibst und denkst du (nur) auf Englisch oder (manchmal) auch auf Deutsch?

Ich bin in Kanada mit Englisch aufgewachsen. Also träume und schreibe ich auf Englisch. Jetzt lebe ich seit über 15 Jahren in der Schweiz und meine zweite Sprache hier ist Italienisch, aber ich denke noch nicht auf Italienisch.



Wie so oft – zu kurz gedacht, nicht alle Schweizer sprechen automatisch (Schweizer)Deutsch. Aua! Da trauen wir uns gleich an die nächste dumme Frage: Dein Künstlername braucht viele "s" - warum das denn und wie viele sind aus welchem Grund zu wenig / gerade genug / zu viele?



Haha! In den 60ern gab es mal eine Camilla Sparks, mit einem "s". Also dachte ich, ich setze zwei, aber das war mir dann zu SS... du weißt schon. So three S did the trick.



Musikalisch begann der Weg mit rauen, beinahe Industrial-haften Elektrokulissen voller stampfender Beats und reichlich Störgeräuschen (die Debut-CD von 2014 rief bei mir seinerzeit die Assoziation "Anne Clarke auf Speed" hervor). Inzwischen sind die Stücke song-orientierter, elaborierter und voll von dunkler Melancholie und höchster gedanklicher Schärfe. Ich würde dich heute fast als eine Art verzauberte Laurie Anderson beschreiben.



Ich habe mich dieses Mal tatsächlich sehr von Laurie Anderson inspirieren lassen. Sie ist eine Künstlerin, die ich sehr bewundere, vor allem für ihren interdisziplinären Ansatz.



Die wunderbar zarten und doch nie nur illustrativen Glockenspiele, Flöten, Oboen usw. (diese Sounds kommen ja nicht aus dem Computer, oder?!) geben deinen elektronischen Klanglandschaften eine zusätzliche Dimension. Ein falscher Eindruck?



Die Klänge, die ich auf diesem Album verwende, stammen entweder von "endless groove"-Platten, auf die ich "random drum beats" gepresst habe und die dann mit verschiedenen (meist niedrigeren) Drehzahlen abgespielt wurden. Oder von einem Mellotron. Für das Album habe ich allerdings ein digitales Mellotron verwendet, denn Originalinstrumente, also die, die mit Bandschleifen arbeiten, sind heutzutage kaum noch zu finden.



Wenn das KlangKneten aber so verblüffend stimmig gerät, dass ich immer noch nicht glauben kann, dass hier nicht doch "echte" Instrumente zu hören sind, dann ist eine wirkliche Meisterin am Werk. Ist Camilla Sparksss eigentlich ein Soloprojekt oder sind noch andere Künstler beteiligt?



"Camilla Sparksss" bin tatsächlich nur ich - solo. Aber Aris Bassetti war der Produzent meiner ersten Alben und hat auch für diese Platte einige Arrangements erarbeitet. Wir arbeiten jetzt seit über 18 Jahren zusammen und die künstlerische Beziehung, die wir haben, ist faszinierend. Es wäre schwer für mich, etwas zu veröffentlichen, ohne es mit ihm vorher zu besprechen. Obwohl ich manchmal denke, dass es vielleicht auch erfrischend wäre, mal mit neuen Leuten zusammenzuarbeiten, ist es auch schwer, eine Gewohnheit zu ändern, wenn man das Ergebnis wirklich mag.



Wie nahe kommen die "Lullabies" Deiner Vorstellung einer idealen Klangidee? Würdest Du etwas anders machen, wenn Du unbegrenzte Mittel hättest?

Nun, ich hätte gerne auf einem Original-Mellotron aufgenommen, aber das bleibt wohl ein Traum. Ich habe auch darüber nachgedacht, mit einem Produzenten zusammenzuarbeiten, mich aber letztendlich dagegen entschieden, weil es ein sehr intimes Album ist und ich mir nicht sicher war, ob ich diese Arbeit wirklich mit jemand anderem teilen könnte. Aris hat wie gesagt beim Mix und einigen Arrangements geholfen. Aber dieses Album hat ja auch einen sehr wichtigen visuellen Aspekt und mir gefiel die Idee, die Musik sehr zurückhaltend und einfach zu halten, um die Erfahrung der Animation und des Objekts selbst nicht zu ersticken.



Womit wir bei der visuell-haptischen Seite von "Lullabies" wären: die Idee, einen Plattenspieler in ein SpiegelWunderland, ein mechanisches Kino, zu verwandeln, ist natürlich fantastisch. Denn im üppigen Klappcover stecken nicht nur zwei 12"-Vinylscheiben, sondern auch ein glänzendes Stück Blech, aus dem sich ein Pyramidenstumpf basteln lässt, der behutsam(!) auf die Platte gesetzt werden kann und in dem sich dann die ins bunte Vinyl gepressten Zeichnungen spiegeln. Wie bist Du denn darauf gekommen?



Die Idee stammt vom Phenakistiskop, einer frühen Form der Bildanimation. Die Schwierigkeit bestand darin, die richtige Bildrate zu finden, die zu den 45 Umdrehungen des Plattenspielers passt und mit einer 12" ein erkennbares Bild erzeugt. Ich arbeitete mit einem Freund, Giulio Parini, an der Gestaltung des Spiegels. Ich glaube, als wir in dieses Projekt eintauchten, haben wir beide unterschätzt, wie schwierig es tatsächlich sein würde. Am Ende haben wir fast aufgegeben und beide bereut, dass wir angefangen haben. Aber schließlich hat es doch geklappt.



Wikipedia kennt für das Phenakistiskop übrigens das schöne deutsche Wort "Augentäuscher". Und weil ich so was zufällig schon aus Kindeszeiten kenne und mich vor vielen Jahren auch mal ein kleines bisschen damit beschäftigt habe, würde ich klugscheißen wollen, dass das hier angewandte Prinzip eher dem eines Praxinoskops entspricht, aber das sind Feinheiten (wer will, findet im Netz übrigens viele interessante Anwendungsbeispiele und auch Anregungen für eigene Fingerübungen). Zu Beginn hat bei diesem BilderSpielzeug wahrscheinlich keiner daran gedacht, wie viel es kosten würde, diese Idee umzusetzen. Qbwohl es von "Lullabies" auch "einfache" Versionen auf CD oder als Download gibt, entsteht das Gesamtkunstwerk hier ja erst mit der Vinyl-Fassung. Hat es für Dich eine Rolle gespielt, dass diese Kunstedition auch bezahlbar sein muss?



Ich wusste von Anfang an, dass es mehr kosten wird als ein normales Album, aber ich hätte nicht erwartet, dass es so teuer wird. Ich bin an dieser Stelle ein bisschen hin- und hergerissen. Ich denke wirklich, dass es ein wichtiger Gegenstand ("an important object") ist, den jeder zu Hause haben sollte. Es stört mich, dass der Preis so hoch ist - ich wünschte wirklich, das Ganze wäre erschwinglicher. Ich hatte zunächst auch gar nicht daran gedacht, es auf CD oder digital zu veröffentlichen. Das ergab sich eher, als ich mich entschloss, das Programm auch live aufzuführen. Und ohne die Stücke über Streaming-Dienste zugänglich zu machen, ist es fast unmöglich, zu touren. Die "digitale" Version des Albums ist also letztlich nur ein Mittel zum Zweck, um das Album live auf die Bühne bringen zu können.



Ich liege also richtig, wenn ich die Platte eher als visuelles (Editions-)Kunstwerk denn als ein musikalisches "Produkt" verstehe?



Es schmeichelt mir, dass du das so siehst. Und ich stimme dir zu. Ich habe wirklich lange gezögert, ob ich es in Form eines Albums veröffentlichen sollte; physisch, in einem Klappcover. Ich hätte auch gern eine Art aufklappbares Buch mit Taschen für die Vinylscheiben gemacht. Es ist schon ein seltsames Projekt, das viele Male seine Form gewechselt hat. Angefangen hat es als eine Sammlung von Gute-Nacht-Geschichten für Erwachsene. Dann hatte ich das Gefühl, dass die Geschichten mit Bildern gefüllt sollten. So kamen die Animationen hinzu und schließlich wurden die Geschichten zu Liedern. Erst ganz zum Schluss wurde daraus tatsächlich ein Album.



Genau, wir müssen ja auch noch über die inhaltlichen Punkte der "Schlaflieder" sprechen. Die Texte sind gleichzeitig metaphysisch und weltbezogen – bist Du von Worten und Metaphern zur Musik gekommen oder umgekehrt?



In diesem Fall begannen die Lieder wie gesagt eigentlich als Geschichten. Die Musik diente also im Grunde nur als "background filler". Ich finde es gut, dass die Musik in der Atmosphäre der Geschichten bleibt.



Ich sehe dich eher als (Multimedia-)Künstlerin, nicht nur als nur als Musikerin - welche Seite deiner künstlerischen Seele ist dir denn wichtiger?



Als Künstlerin habe ich die Freiheit, morgens aufzuwachen und zu entscheiden, ob ich meine Zeit damit verbringe, einen Song zu schreiben oder ein Video zu drehen und das ist sehr wertvoll für mich. Ich fühle mich nicht wie ein Musiker, da ich nie Musik studiert habe. Ehrlich gesagt, kenne ich mich mit Musik nicht mal besonders gut aus. Und ich werde wohl nie zu denen gehören, die sich im Studio einschließen und nur an der Musik arbeiten. Alle Aspekte meiner Arbeit, insbesondere die Live-Auftritte, sind für mich sehr wichtig. Ich brauche die Abwechslung, ich glaube nicht, dass ich mich nur für eine Seite entscheiden könnte. Es ist die Multidisziplinarität des Künstlerdaseins, die mich antreibt.



Ein passenderes, schöneres Schlußwort ist da kaum denkbar. Danke, Barbara. Danke Camilla Sparksss!


Foto: Barbara Araujo

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