Zum Glück steckt der Begriff „seltsam“ ja schon drin im Namen „Odd Beholder“, den sich die Schweizer Musikerin Daniela Weinmann als Alias für ihr inzwischen zum Solo-Unternehmen ausgereiften Projekt ausgesucht hat – denn ansonsten müsste man auch bei Album #3 darauf hinweisen, dass die Gute wieder ein Mal seltsame – oder doch zumindest ungewöhnliche - Querverbindungen und Denkansätze „betrachtet“ und verfolgt; wenngleich dieses Mal nicht auf der politischen, sondern der persönlichen Ebene. Ging es auf dem Debüt „All Reality Is Virtual“ nämlich noch um Entmenschlichung durch Digitalisierung, so widmete sich Daniela Weinmann mit „Sunny Bay“ - oberflächlich betrachtet der Natur und tiefer gehend den zerstörerischen Kräften und Ängsten die am weichen Unterbauch derselben zehren. Auf „Feel Better“ - dem nunmehr dritten Odd Beholder Album – stellte Daniela fest, dass sie auf ihren bisherigen musikalischen Exkursionen sich selbst ein wenig vernachlässigt zu haben schien und schrieb ein Werk für und über sich selbst und Verhaltensmuster, denen sie sich ausgesetzt sieht.
Kurz gefragt: Hat das irgendwas mit der Pandemie zu tun? Denn bekanntlich wurde man in den Lockdowns als SongwriterIn ja auf sich selbst zurückgeworfen, da der übliche Input durch eigenes Erleben weg fiel?„Na ja ich habe zuvor ein COVID-Projekt mit Long Tall Jeffersen gemacht“, erinnert sich Daniela, „das ist ein Freund von mir, der auch ein Songwriter ist und ein eigenes Label gegründet hat. Wir haben uns in der Pandemie vereinsamt gefühlt, weil wir nicht mehr aufgetreten sind und dann haben wir entschieden, uns zusammenzutun. Eigentlich wollten wir nur eine Songwriter-Werkstatt machen, haben dann aber die Challenge angenommen, dass wir Songs zusammen geschrieben haben. Nur reden ging dann noch nicht. Das war mein COVID-Projekt. Das neue Album ist komplett nach der Pandemie entstanden.“
Wie kam es dann zu der persönlichen Thematik?
„Das ist insofern spannend, als dass es nicht um meine persönliche Biografie geht – aber um Biografien im Allgemeinen. Es geht darum, wie uns unsere Vergangenheit, unsere Kindheit und unsere Teenager-Zeit stark prägen. Es ist wie Autofiktion – also indem ich persönliche Dinge behandele, die ich aber versuche, universell zu erzählen. Ich versuche auch Themen anzusprechen, die nicht direkt aus meiner Familie kommen – aber kommen könnten."
Da gibt es dann Songs wie „Rifle Club“ - über das Aufwachsen in suburbaner Eintönigkeit – mit Schützenverein, Marschmusik und wenig kultureller Inspiration.
„Ja - ich muss das so erklären“, setzt Daniela an, „'Rifle Club' ist inspiriert von der Vorstadt von Zürich, wo ich aufgewachsen bin. Das ist eine gewisse Tristesse einer Vorstadt-Siedlung mit wenig Kulturangebot und gesellschaftlichem Zusammenhang. Geprägt durch billigen Wohnraum und Sozialbauten. In der Schweiz gibt es das ganz oft: Kleine Orte mit Bauernhöfen, die durch die Industrialisierung in den 70er Jahren zu tristen Schubladen-Vorstädten angewachsen sind. Die Stimmung war von latenter, rauer Gewalt geprägt. Das Schwierige an diesen Orten ist, dass die bodenständige Bevölkerung früher rechts geprägt war und keine Lust hatte, die sich mit Ausländern auseinanderzusetzen. Andererseits gab es aber jüngere Generationen von ArbeiterInnen aus Italien und Portugal. Dann kam noch die erste Flüchtlingswelle aus Jugoslawien hinzu. Diese Gruppen haben sich in meiner Jugend nicht sehr gut verstanden und darum geht es in dem Song – um die verhärtete Ausgangslage mit rechtem Kern.“
Auf der anderen Sache sind da Songs wie „Insecurities“, in denen Daniela ihre Unsicherheiten analysiert … vielleicht um zu einem Happy End kommen zu können?
„Ja, ich glaube schon“, meint Daniela, „das Happy End zu diesem Song gibt es insofern, als dass man diese Unsicherheiten überwindet, die Coolness-Starre rauskommt, man versucht sich zu öffnen, sich seine Gefühle eingesteht und sich auf gewisse Weise zumutet."
Ein klassisches Empowerment-Album ist dabei aber nicht herausgekommen, oder?
„Ich finde das sehr spannend, dass Du das so siehst, denn ich habe mir das noch nicht überlegt, dass es vielleicht kein Empowerment-Album sein könnte, weil es für mich ermächtigend ist, wenn ich erfahre, dass es anderen auch so geht wie mir“, überlegt Daniela, „ich habe ja das Glück, dass ich meine Erfahrungen in Songs ausdrücken kann und ich wünsche mir, dass sich andere Menschen insofern in diesen Songs wiederfinden können, als dass sie sagen: Ich fühle mich ja auch unsicher und ich fühle mich auch unwohl. Meine Erfahrung ist, dass wenn man sich ein Problem eingesteht, es schon die Hälfte seiner Kraft eingebüßt hat! Ich gehöre definitiv zu den Menschen, die Musik machen, Dinge zu verarbeiten. Das hat für mich einen sehr kathartischen Effekt. Es ist nicht zu verwechseln mit meiner Meinung. Was wirklich wahr ist, auf dieser Scheibe, ist das Gefühl. Es geht aber nicht um ein Manifest. Ich durchlebe etwas und möchte das teilen – als Angebot. Ich biete etwas an und ich möchte dann, dass die Leute nicht über mich, sondern über sich selbst nachdenken."
Ein besonders interessanter Titel ragt noch heraus: „Just Because I Regret (It Doesn't Mean That I Won't Do It Again)“. Worum geht es denn dabei?
„Das ist auch so eine Art Eingeständnis. Der Titel des Albums 'Feel Better' ist ja mehrdeutig. Er kann bedeuten, dass ich mich besser fühle – oder er kann als Befehl verstanden werden, sich besser zu fühlen. Was darunter liegt ist dieser Wunsch, es möge einem besser gehen, wenn man sich aus psychischen Gründen nicht gut fühlt. Und gleichzeitig steht man ja auch unter einem gesellschaftlichen Druck, normal sein zu müssen und sich gut zu fühlen. Diese beiden Themen werden durch den Titel gleichzeitig dargestellt. Und bei dem 'Regret'-Song habe ich mir überlegt, was die Definition von psychischen Problemen ist. Man kann man ja heutzutage nicht mehr objektiv sagen, was 'normal ist'. Wenn es einen Leidensdruck gibt, wird es da schon ein Problem geben. In dem Song geht es darum, dass ich Dinge aufgrund bestimmter Verhaltensweisen tue - und mich nachher darüber ärgere, dass ich das getan habe. Ich mache das dann aber immer wieder – und ich finde das ist meine Definition von psychischen Problemen. Das ist als würde man sich zwanghaft in zwei Personen splitten – wobei die eine genau weiß, dass es ein schlechtes Verhalten ist und die andere kann es nicht lassen. Ich glaube dann beginnt es spannend zu werden, denn dann hat man ein Problembewusstsein – aber man kann sein Verhalten noch nicht ändern.“
Mal was anderes: Wie setzt man das denn musikalisch in Szene? Mit Gegensätzen vielleicht?
„Ja“, pflichtet Daniela bei, „ich würde sagen, der Text ist traurig, aber die Musik ist eher trotzig und mitreißend im Stile 'Let's do it'. Es musikalisch geht dabei um klassisches Songwriting – also etwas, dass man auf der Gitarre spielen könnte, ohne Beats und Ästhetik. Ich schreibe dann einfach, was mich beschäftigt – aber die Produktion ist dann ein einziges Spielfeld von Freude und Spaß und Lust. Es geht dann darum, Sachen auszuprobieren, die ich vorher noch nicht gemacht habe. Was mir wichtig war, ist dass es nicht steril wirkt und darauf geachtet organisch zu arbeiten und meine alte Farfisa-Orgel genommen, denn ich finde es schlimm, wenn alles zu sauber und zu perfekt klingt. Ich habe die Sachen dann zusammen mit dem Produzenten Douglas Greed in Berlin eingespielt.“
Aktuelles Album: Feel Better (Sinnbus) VÖ: 01.12.
Weitere Infos: https://www.oddbeholder.ch/ Foto: Ella Mettler