Die Zeit ist reif für Katie Von Schleicher: Mit viel Fantasie und einem goldenen Händchen für genau die richtige Melange aus bittersüßer Melancholie und melodischer Schönheit erschafft sich die Amerikanerin auf ihrem feinen neuen Album ´Consummation´ ein beeindruckend facettenreiches Indierock-Universum und übersetzt mit beeindruckender Entschlossenheit emotionale Beklemmung in selbstbewusste Power.
In Zeiten, in denen sich viele Musiker auf der Jagd nach kommerziellem Erfolg ständig neu erfinden, setzt Katie Von Schleicher lieber auf konsequente künstlerische Weiterentwicklung. Drei Jahre nach ihrem hinreißenden LP-Erstling ´Shitty Hits´ erschließt sich die aus Maryland stammende, in Brooklyn heimische 33-Jährige mit ´Consummation´ neue Horizonte, ohne die eigene Vergangenheit und den herrlich rauen DIY-Charme ihrer frühen Tage zu verleugnen.„Ich hatte dieses Mal deutlich mehr Vertrauen in die Songs und diese Entspannung hat dazu beigetragen, dass ich viel mehr gewagt habe“, verrät sie im Westzeit-Interview. „Deshalb klingt das fertige Album bewusster und überlegter.“
Die Inspiration für ´Consummation´ fand Von Schleicher an ungewöhnlicher Stelle, im tief verborgenen Missbrauch-Subtext in Alfred Hitchcocks wegweisendem Spielfilm ´Vertigo´ aus dem Jahre 1958. Doch obwohl der schmale Grat zwischen Zuneigung und Belästigung ein wiederkehrendes Thema für Von Schleicher darstellt, ist ´Consummation´ weder ein Konzeptalbum noch eine konkrete Auseinandersetzung mit dem Leinwandklassiker. Vielmehr nutzte sie den Film als Leitschnur, um inakzeptable männliche Verhaltensmuster oder die Scham der Opfer zu thematisieren und so von eigenen traumatischen Erfahrungen zu größeren gesellschaftlich-kulturellen Problemstellungen vorzustoßen, wenn sie unverblümt Depressionen, Hingabe oder zerstörerische Liebe in den Fokus rückt oder die Unfähigkeit thematisiert, psychische Distanzen zwischen sich selbst und einem anderen Menschen zu überwinden. Ihr gesteigertes Selbstvertrauen war für Von Schleicher allerdings nicht der einzige Grund, sich an die Thematik heranzuwagen.
„Ich fühle mich tatsächlich jetzt viel selbstbewusster, gleichzeitig ist es aber auch ein Zeichen des kulturellen Fortschritts, dass heute viel mehr Frauen offener über die Dinge sprechen, die ihnen widerfahren sind“, ist sie überzeugt. „Die jungen Frauen von heute sind viel selbstbewusster, als das noch vor zehn Jahren der Fall war. Das spielte sicherlich auch eine Rolle für mich.“
Für die Hörer, die nicht mit Von Schleicher in die Abgründe der menschlichen Existenz eintauchen wollen, hält ´Consummation´ abseits der bedrückenden Texte eine faszinierend abwechslungsreiche, oft ungleich positiver gestimmte Klangwelt bereit, die Krautrock, Dream-Pop, Wave und Garagenrock streift und am Ende doch keine Genreschranken kennt.
„Mein Ziel war es, eine Platte zu machen, die um düstere, heftige Themen kreist, dabei aber fröhlich klingt“, erklärt sie. „Das Album zu hören soll nicht die traumatische Erfahrung sein, um die es textlich geht.“
Die Trennung von Inhalt und Form führt Von Schleicher auf die Dualität des Entstehungsprozesses zurück.
„Die meisten Texte entstehen, während ich die Musik schreibe, aber dieser Prozess ist vollkommen abgekoppelt von der Phase, in der ich editiere, arrangiere und den Song konstruiere. Dieser zweite Teil ist genauso wichtig, aber eine ungleich positivere Erfahrung!“
Auch in der Wahl der Mittel war Von Schleicher dieses Mal freier. Waren lange Jahre Piano und andere Keyboards ihre wichtigsten Werkzeuge, baute sie die Songs nun oft um selbstgebastelte Drumloops herum auf und ersetzte dabei die subtile Verzweiflung, die ihre Lo-Fi-Frühwerke auszeichnete, des Öfteren durch brodelnde Wut und einen geradezu grungy anmutenden Sound, bei dem raue Fuzz-Gitarren wichtiger sind als filigrane Synthesizerflächen.
„Mein Können an der Gitarre ist recht überschaubar, und das hat dazu geführt, dass ich ganz andere Harmonien schrieb“, verrät sie. „Ich habe die Erfahrung als sehr befreiend empfunden, denn eine Gitarre in Händen zu halten, gibt dir ein Gefühl von Macht.“
Nicht zuletzt deshalb fühlt sich Von Schleicher heute viel stärker selbst verwirklicht als noch vor wenigen Jahren, wenngleich sie auch dieses Mal dankbar für die Unterstützung von langjährigen Wegbegleitern wie Julian Fader oder Adam Brisbin war, mit denen sie nicht nur musikalisch auf einer Wellenlänge ist.
„Für uns alle gibt es wichtigere Dinge als Erfolg“, erklärt sie. „Viele meiner Freunde sind Ende 20, Anfang 30 und haben inzwischen eine neue Sicht der Dinge gewonnen. Heute machen wir Musik eher, weil es uns ein Bedürfnis ist und aus reiner Freude an der Zusammenarbeit und am Tun. Das ist einfach … schön!“
Aktuelles Album: ´Consummation´ (Full Time Hobby / Rough Trade)
Weitere Infos: www.k-v-s.net Foto: Shervin Lainez