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HARMFUL

Fett wegschneiden

HARMFUL

Im ersten Vierteljahr des letzten Jahres wusste man nicht so genau, ob sich die Band Harmful in einer Kreativpause befindet oder ob es sie vielleicht schon gar nicht mehr gibt. Sänger und Gitarrist Aren Emirze hatte sich in seinem Soloprojekt Emirsian eingerichtet. Faith-No-More-Bassist Billy Gould, der das siebte und bis dato letzte Harmful-Album produziert hatte und auf der anschließenden Tournee als Gitarrist mir Harmful spielte, war längst wieder nach San Francisco entschwunden. Still und starr ruhte also der Harmful-See.

Der Anruf

Billy Gould war es auch der dem Harmful-Ding eine neue Wendung geben sollte. Faith-No-More hatten ihre Nicht-Mehr-Existenz gründlich satt und kündigten im Februar 2009 ihre Wiedervereinigung und ein Konzert in Frankfurt an.

„Kurz danach klingelte bei mir das Telefon“, bestätigt Aren Emirze, „am anderen Ende der Leitung war tatsächlich Billy Gould, der wollte, dass wir ihr Frankfurt-Konzert eröffnen. Es gibt diese Angebote, die man nicht ablehnen kann. Das war so eins.“

Und danach? Nach der Show war urplötzlich vor einer neuen Harmful-Platte.

„Wir standen auf der Bühne und haben uns schon während des Konzertes angeschaut und uns grinsend zugenickt“, erzählt Aren Emirze, „gleich in den nächsten Tagen haben wir Studiotermine gebucht und den Proberaum aus dem Dornröschenschlaf geweckt.“



Der Proberaum

Eine kreative Pause ändert häufig Blickwinkel. So auch bei Harmful.

„Bei den letzten CDs hatte Harmful doch ein wenig Fett angesetzt“, blickt Aren Emirze ein zurück in die Bandgeschichte, „da gab s für neue Kompositionen nur eine Parole, wegschneiden. Harmful zeichnete sich immer durch atemlose, intensive Musik ohne ein Fünkchen Langeweile aus. Dahin musste die neue wieder Reise gehen. Darüber herrschte sofort Einigkeit.“

Dazu wurde eine nicht unwesentliche Veränderung vorgenommen. Aren Emirze, der in der Vergangenheit als dominierender Stückeschreiber hervortrat, der trat jetzt einen Schritt zurück.

„Schnell merkten wir, dass sich nicht nur bei mir Material angestaut hatte. Alle drei waren wir gleichermaßen so unglaublich heiß darauf, zusammen loszulegen. Ein neues kollektives Verständnis fürs Komponieren entwickelte sich schnell. Aufgrund der unglaublichen Höhen und Tiefen, die Harmful bereits durchschritten und durchlitten haben, ist unser vertrauen zueinander so groß, dass sich jeder Musiker kreativ öffnen konnte.“

Die Basis der Weiterentwicklung der Band sind zwei ganz wesentliche Dinge: Talent und Erfahrung.



Die andere Zeit

Wenn Harmful heute komponieren oder musizieren, dann fühlen sie sich, wie aus einer anderen Zeit. Übriggebliebende. Sie schielen weder nach Hitparadennotierungen oder formen ihre Stücke stromlinienförmig.

„Warum muss ich denn bei künstlerischer Arbeit, und das ist Musizieren ja wohl auch, andauernd darüber nachdenken, was ich noch wie ändern könnte, damit es gefälliger wird und ganz sicher Aufmerksamkeit erregt?“, ärgert sich Aren Emirze, „wir können diesen Bands nur sagen, so wird das nichts. Gefallen wollen mit aller Gewalt ist zum Scheitern verurteilt. Die Wirkung von Musik lässt sich nicht planen. Deshalb können wir auch nur so arbeiten, wie wir es tun. Machen. Sich was trauen. Einfach, dass was einem in den Sinn kommt. Rauslassen, was sich hinter dem Damm der Zeit angestaut hat. Fertig.“

Wenn solche kreative Dämme brechen, dann kann Großes entstehen. Als dann noch so ein Zauberfinger, wie Dave Sardy für den Mix des Albums gewonnen wird, ist klar, dass das Harmful-Material in besten Händen ist. Schließlich hat er dies Oasis, Bush, Johnny Cash, Nine Inch Nails oder Red Hot Chili Peppers ohrenfällig unter Beweis gestellt.



Die Platte

Die aktuell vorgelegte Platte von Harmful heißt „Cause“ und beweist, dass nicht nur bei Aren Emirze dieser Damm gebrochen ist, sondern auch bei Chris Aidonopoulos, dem Bassisten und bei Schlagzeuger Nico Heimann das musikalische Herzblut wieder in Strömen fließt. Die angestrebte Reduktion auf den explosiven Kern der frühen Harmful-Alben ist nicht nur gelungen. Es ist sogar noch etwas hinzugekommen. Harmful kommen deutlich schneller auf den Punkt. Der Hörer kommt schneller bei der Melodie an und hat keine Chance, zwischendurch den Faden zu verlieren. Zu klar strukturiert, zu engmaschig gewebt ist das druckvolle Tonnetz der Truppe, dass nach wie vor rhythmisch sehr treibende Metal-Anleihen, kompakte und dichte Geräuschfetzen sowie gitarrenorientierte Alternative-Noten als Ausgangsmaterialien verwendet. „Cause“ strahlt eine Energie und Spielfreude aus, die oft nur Debütalben eigen ist.

„Es war für uns, wie eine Wiedergeburt“, beteuert Aren Emirze, „wir haben nicht anderes getan, als auf unser Bauchgefühl zu hören und das gemacht, was wir am besten können, Trends und Moden zu ignorieren und unsere ganze Kraft in Spannung und Entspannung zu investieren.“

Als Konsequenz daraus hat der Dreier die neue Magie des Miteinanders genutzt und „Cause“ im Studio ohne technischen Firlefanz live eingespielt.

„Es ist der pure Wahnsinn, die Liveatmosphäre eines Konzertes sich beim Aufnehmen zunutze zu machen. Sich gegenseitig in die Augen zu schauen und sich auf die kreative Neugier der anderen einzulassen. Das ist es doch, was kreative Kommunikation ausmacht“, freut sich Aren Emirze immer noch, „deshalb haben es die meisten Stücke auch mit ihrer allerersten Einspielung aufs Album geschafft.“

Eine gute Entscheidung. So legt die CD Zeugnis darüber ab, wie Melodien, rau und roh gefasst, weitaus mehr Strahlkraft entwickeln, als sie ihnen jegliche filigrane, aufwendige Fassung verleihen könnte.

Aktuelles Album: Cause (PIAS / Rough Trade)

Foto: Ingmar Kurth

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