„Ich hasse meine Telecaster“, singt Niels Frevert auf seinem neuen Album „Du kannst mich an der Ecke rauslassen“. Eine Zeile mit Symbolgehalt. Schließlich war es genau jene Stromgitarre, die dem Hamburger Ausnahmekünstler, der einst als Kopf der Nationalgalerie von sich reden machte, in den rund fünf Jahren seit der Veröffentlichung seiner letzten Platte „Seltsam öffne mich“ als einziger Begleiter bei seinen famosen Soloauftritten diente. Auf der wundervollen neuen Platte wird sie dagegen, mit einer Ausnahme, komplett aus dem Klangbild verbannt.
„Nach den ersten zwei, drei Liedern, die ich geschrieben hatte und mit denen ich zufrieden war, wurde mir klar, dass dieses Album anders klingen würde“, erklärt Frevert die musikalische Neuausrichtung bei unserem Gespräch. „Ich habe gemerkt, dass mir das Herz aufgeht, wenn ich gezupfte akustische Gitarren höre, und ich stellte fest, dass ich in der Lage war, Lieder zu schreiben, die mich in der Hinsicht auch selbst berühren.“Natürlich schrieb er auch (Rock-)Songs, die musikalisch eher auf den großartigen Vorgänger „Seltsam öffne mich“ gepasst hätten, aber die verwarf er. Deshalb ist sein neues Album – nach Probeaufnahmen in England letzten Endes mit den gleichen Mitstreitern wie die beiden Vorgängeralben in Hamburg entstanden – ein sehr kurzes, aber ungemein fokussiertes Werk geworden, der klaren Vision Freverts folgend.
„Mir war sehr schnell klar, dass es ein akustisches, ein sehr ruhiges Album wird, ich wollte aber auch, dass es ein leichtes Album wird“, erläutert er. „Ich wollte vermeiden, dass die Leute die Platte hören und anschließend denken: Oh Gott, was hat er denn jetzt schon wieder?“
Musikalisch ist ihm das ganz ohne Frage gelungen, textlich dagegen glaubt man des Öfteren zu meinen, Frevert gäbe sich auf „Du kannst mich an der Ecke rauslassen“ grüblerischer, zweiflerischer als zuvor, auf der Suche nach Sinn, auf der Suche nach sich selbst. Er persönlich glaubt zwar nicht, in der letzten Zeit depressiver geworden zu sein („Ich habe es jedenfalls nicht bemerkt“, sagt er mit einem Lachen), kann aber verstehen, warum der Hörer diesen Eindruck gewinnen könnte.
„Gesang und Gitarre stehen nun im Vordergrund, deshalb hört man sie vielleicht jetzt ein bisschen anders“, sinniert er. „Alles, was drum herum passiert, ist Begleitung.“
Wie hingetupft klingen viele der neuen Songs, um ein schönes Bild aus dem Waschzettel des Labels zu bemühen, doch diese Leichtigkeit und – im positivsten Sinne – Beiläufigkeit zu erzeugen, war ein langwieriger Prozess für Frevert und seine Musiker. „Wir haben gemeinsam sehr ge
nau darauf geschaut, ob wir gerade zu viel machen und den Song erschlagen oder ob da noch Platz ist. Deshalb mussten wir auch immer mal wieder zurückschrauben und neu ansetzen. Wir haben zum Beispiel im Studio auch mit Bass und Schlagzeug geprobt, dann aber gemerkt: Je weniger die beiden machen, je mehr sie sich zurücknehmen, desto besser ist es für den Song.“
Dennoch sind die Arrangements der Songs keineswegs karg. Dafür zeichnete nicht zuletzt Altmeister Werner Becker verantwortlich, in den 70ern als Antony Ventura eine Easy-Listening-Größe und seitdem als Arrangeur mit besonderer Note bekannt.
„Als ich dachte: ‚Streicher!’, war sofort klar, dass es am allerschönsten wäre, wenn Werner Becker das machen würde. Ich hab mich dann irgendwann getraut, ihn anzurufen, und er konnte sich auch noch ein bisschen an mich erinnern, denn wir hatten früher schon einmal kurz miteinander zu tun. Wir haben uns länger unterhalten, ich habe ihm ein wenig von meiner Sache erzählt und ihm gesagt: ‚Ich würde dir das gerne mal vorspielen, aber ich muss dir auch gleich sagen, dass ich nur sehr wenig Geld habe. Das Ganze funktioniert nur, wenn es bei dir klick macht, wenn du das hörst.’ Darauf antwortete er mir am Telefon: ‚Du, das hat bei mir schon klick gemacht!’“
So ist ein Album aus einem Guss entstanden. Keineswegs gleichförmig, aber in sich ungemein stimmig. Ein kleines Meisterwerk, fürwahr!
Aktuelles Album: Du kannst mich an der Ecke rauslassen (Tapete Records/Indigo)
Weitere Infos: www.nielsfrevert.net Foto: Tobias Stachelhaus