(C.H. Beck, 222 S., 20,00 Euro)
Haarmann ist ein Historiker, der das allgemein anerkannte Bild (insbesondere) der Ur- und Frühgeschichte gern hinterfragt; ein Mann, der seine Thesen mit großer Bestimmtheit vorträgt und dabei die einschlägige Literatur oder auch archäologische Funde nicht immer vollkommen objektiv auswertet und selektiert. Hauptthese des in Finnland lebenden Professors ist die von der "Donauzivilisation", einer jungsteinzeitlich/kupferzeitlichen Hochkultur am Nordufer des Schwarzen Meeres, die Haarmann als frühesten zivilisatorischen Kristallisationskern "Alteuropas" versteht, als Wiege von Sesshaftigkeit, Töpferrad, Schrift, Kupfer-/Goldbearbeitung und einigem mehr. Er folgt darin den Gedanken der ebenfalls nicht unumstrittenen Litauerin Marija Gimbutas (wer tiefer bohren möchte, kann das mit Gimbutas’ Mitte der 90er bei Zweitausendeins erschienenen Büchern "Die Sprache der Göttin" und "Die Zivilisation der Göttin" probieren), konzentriert sich aber zumeist auf ein Gebiet, auf dem er seine unbestreitbar umfassenden sprachwissenschaftlichen Kenntnisse einbringen kann, nämlich auf die Verwandtschaftsverhältnisse von Sprachen und Schriftsystemen. Als "Köder" fungiert auch bei dieser stark überarbeiteten Neuauflage seines zuerst 2003 erschienenen Buchs die 1998 von den amerikanischen Geologen Ryan und Pitman veröffentlichte und durch die Ergebnisse ihres "langjährigen marinen Forschungsprojekts" auch recht gut untersetzte Erkenntnis, dass um 6700 v.u.Z. (oder doch um 6800, wie es auf der Einbandrückseite heißt?) der Landriegel, der bis dahin Mittel- und Schwarzes Meer trennte, relativ plötzlich aufbrach und sich das Salzwasser des Mittelmeers in das etwas 70 m (!) tiefer gelegene Ex-Binnenmeer ergoss: "Wochenlang, monatelang, vermutlich sogar jahrelang". Die besonders im Norden recht flachen Küstenstreifen werden von "meterhohen Wellen" überflutet – diese erdgeschichtliche Tatsache wird bei Haarmann zum Auslöser nicht nur eines tief in das kollektive Gedächtnis der Menschen eingebrannten Traumas, sondern auch für eine Wanderungsbewegung der an eben diesen Küsten siedelnden "Alteuropäer". Stark verkürzt heißt das, dass so Schrift und Städtebau ihren Weg nach Mesopotamien, Ägypten und die griechischen Inseln fanden. Wobei die meisten Wissenschaftler z.B. Haarmanns Deutung von Ritzungen in "alteuropäischen" Keramikscherben als frühe(ste) Schriftzeichen nicht anerkennen – es ist kompliziert. Stilistisch ist Haarmann leider kein großer Erzähler (anders als z.B. sein (Vor)Namensvetter Meller), die recht trocken dargelegten Überlegungen sind oft sprunghaft (eben ging’s noch um "Matrifokale Strukturen", einen Absatz weiter um "Masken in religiösen Zeremonien" und im nächsten schon um "Die Doppelflöte") – selbst der wirklich interessierte (und vielleicht sogar etwas vorgebildete) Leser vermag da nicht immer zu folgen. Unabhängig davon ist das Buch aber ein schöner Quell für Small-talk-Wissen und auch ein guter Startpunkt für weitere (vergleichende) Lektüren.Weitere Infos: www.chbeck.de/haarmann-geschichte-sintflut/product/35513655
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