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Es mag an den steigenden Außentemperaturen liegen, aber mit Sommerbeginn wächst auch die Anzahl von Veröffentlichungen, die sicher nicht schlecht sind, aber mein Verständnis überstrapazieren. Nicht nur weil das Label als sehr geschmackssicher gelten darf, haben ich mich lange an "Deixis" (Bureau B) abgearbeitet. Leider aber ohne einen wirklichen Zugang zu den vertrackten SprachSynthSound-Experimenten der seltsamerweise als BAAL & MORTIMER firmierenden Düsseldorferin Alexandra Grübler zu finden. Da ist was von Jenny Hval drin, vielleicht auch AGF oder Tellavision, u.U. sogar Laurie Anderson – alles von mir sehr verehrte Musikerinnen. Und doch will die nach einem linguistischen Fachbegriff titulierte Platte nicht zu mir sprechen. Rätselhaft und ohne Wertung.Kommen wir zu Dingen, die (mir) klarer sind. "Tranceportation Vol.2" (RareNoise) etwa, die neue Folge der KrautMotorikPsychTech-Zusammenarbeit von ECM-GitarrenMeister DAVID TORN mit den Schweizern von SONAR. 4 jeweils um die 10 Minuten lange Tauchgänge in die Tiefen von trance-induzierten GitarrenFiguren, komplex-vorwärtsdrängenden Drums und straff-federnden Bassläufen, für mich fast noch besser als Vol.1. 4
Nicht ohne Trance(An)Teil, aber deutlicher zum Tanzboden schielend kommt die "Autobahn"-EP (Machette) des Straßburger Synth-Drums-Duos ENCORE. Das Info lügt nicht, wenn es LCD Soundsystem und Kraftwerk als denkbare Einflüsse benennt. 3
Auch HERMETIC DELIGHT kommen aus der Elsass-Metropole, doch ihr female-fronted "F.A. Cult" (October Tone) kommt dunkel flirrend und leicht verzweifelt daher. Manchmal etwas arg pathetisch, manchmal mit betörenden, auch an 80er-4AD-Bands erinnernden Momenten. 3
PRINCESS THAILAND ist eine französische DarkNoisePop-Band, deren "And We Shine" (À Tant Rêver du Roi/Luik) ebenfalls im Wave der 80er wurzelt. The Cure und Siouxsie Sioux haben hier jedenfalls sehr tiefe Spuren hinterlassen. 3
Der Drummer SEB(astien) BRUN hat eine sympathische Schwäche für Elektronik. Sein "Ar Ker" (Carton)-Album verbindet Rhythmus und Noise in Struktur und beginnt mit einem kryptischen "prelude", auf das dann ein von filigranen PerkussionSounds und stehenden SynthWellen durchsetztes Gesangsstück folgt, das sich übergangslos in das folgende "ker" ergießt. Die Schläge werden heftiger, die Sounds schriller, Übergänge bleiben fließend. Die Dramaturgie begeistert, die Balance aus scheuem Tasten und kraftvollem Biss (das letzte Stück ist beinahe sowas wie AcidTechno in SloMo) genauso. Und "everything is played live"! 4
Danach könnte man sich mit einem anderen Franzosen an "Une Plage Sur La Lune" (X-Ray) entspannen, denn der Beatverdreher THE ARCHITEKT bevorzugt eine sehr relaxte Grundhaltung, selbst beigelegentlichen BreakBeat-Ausflügen. Einige wirklich feine Trompetenlinien finden sich zwischen all den DownBeats auf dieser schicken Platte, exotische Samples und WorldMusicReste wie auch Rap-Einlagen diverser Gäste (Reverie, Chip Fu, Fliptrix, Killa P,... – ich kenne da sowieso niemanden), die mein momentan schwer HipHop/Rap-infizierter Sohn als "nicht übel" qualifizierte. 5
"The World Above" (La Suisse Primitive) betrachtet das Schweizer ElektroDuo BITTER MOON. Stilvoll und zurückhaltend, dabei doch energiegeladen und durchaus für bizarre Tanzeinlagen geeignet. Könnte neben der feinen Tarierung von Synthsounds, Loops und honigfarbenem Gesang auch an den SchlagzeugKünsten des hier gastierenden holländischen PsychHeads Jacco Gardner liegen. 4
Prince und Arto Lindsay haben ein PopFunk-Album voller brasilianischem NoWave aufgenommen. Nur dass der vor Jahren Verstorbene als THIAGO NASSIF reinkarnierte (GitarrenGott Lindsay ist hingegen leibhaftig dabei). "Mente" (Gearbox) strotzt in hochmodernem KlangKleid vor funky Grooves, zarten BrasilVibes und ausgefallenen JazzElektronikaPop-Sprengseln. Sehr schönes package-design auch! 4
BYENOW sind zwei Italiener, die auf ihrem "s/t" (OutStack)-Debut gemeinsam mit einigen Gästen versuchen, aus 2 Gitarren, etwas Schlagzeug und einigen Keys-Beilagen etwas Spannendes zwischen WeirdFolk und softem Experiment zu formen. Gelingt manchmal. Manchmal aber auch nicht. 3
COSSE traktieren ihre Gitarren auf "Nothing Belongs to Anything" (A Tant Rêver Du Roi/Grabuge) deutlich heftiger, kein Wunder, wenn man Sonic Youth zu seinen Einflüssen zählt. Zur Post schielender MathRock. 3
Traditioneller wird’s mit BRADER MUSIKI, einem kurdischen Barden, der schon vor 30 Jahren mit The Ex auftrat. Er singt, sich mit Tembur (Laute) und Def (Rahmentrommel) begleitend, in Syrien, der Türkei oder im Irak schon mal vor 100.000 Leuten und ist im Westen doch komplett unbekannt. "Herim Kuda" (Terp) ist Hommage und Dokument zugleich, neben 47 Minuten strenger Nahost-Folklore gibt es ein dickes booklet voller Fotos, Hintergrundtexte und Liederläuterungen. 3
Auch "La Niña y el Lobo" (Mamita), das neue Album von AMPARO SÁNCHEZ, gibt sich vergleichsweise konventionell. Die Amparanoia-Frontfrau verbindet akustische Interpretationen für sie prägender Songs (ua. von Mano Negra, Los Lobos und der Victor-Jara-Entdeckerin Violeta Parra) mit der Aufarbeitung ihrer von früher Mutterschaft und häuslicher Gewalt geprägten Jugendjahre. Klassische spanische GitarrenKunst und die energisch-raue, aufregende Stimme einer beeindruckend aufrechten Frau. 4
Und dann ist da noch die aktuelle Lese-2CD eines Herrn namens MAX GOLDT. "Die Toilette bleibt weiß" (HörbuchHamburg) heißt das diesjährige HörWerk, das wieder live vor Publikum oder in Frieder Butzmanns Studio gelesene Texte aus Vergangenheit und Gegenwart umfasst. Mir scheint, dass sowohl die Covergestaltung (bis auf ein aus Goldts Privatarchiv stammendes FotoArrangement dreier schokoladener "Antwerpsche Handjes" und eines Gummi(?)Hasen wirkt das ziemlich lustlos und durch die Corona-bedingt hinfälligen bzw. sehr unsicheren 20er Tourdaten unfreiwillig verzweifelt) als auch die Textauswahl (natürlich gibt es grandiose Schachtelsätze, turbulente Sinn(ver)drehungen und furiose Bilder wie "arbeitgeberhaft zulächeln", aber an einigen Stellen verdecken subtile Ironie und feingeistiger Humor eine hoffentlich nur scheinbar aufkommende Biederkeit lediglich unzureichend) unter ernstlichem Termindruck geschahen. Denn das glänzendste Stück Goldt ist das hier sicher nicht. 3
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