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SKULLCRUSHER

Wohlüberlegt, aber echt

SKULLCRUSHER

Gerade einmal vier Songs benötigte Helen Ballentine im vergangenen Sommer, um sich mit den dahingehauchten, ungemein intimen Songs ihrer selbstbetitelten Debüt als Skullcrusher aus dem Nichts ins Bewusstsein der Indie-Folk-Welt zu katapultieren. Mit ihrer neuen EP ´Storm In Summer´ hebt sie ihre musikalische Sinnsuche nun mit größerem Instrumentarium und breiter gefächerten Einflüssen beeindruckend organisch auf die nächste Stufe.

Helen Ballentine mag das Spiel mit den Gegensätzen. Stets darauf bedacht, der natürlichen Entwicklung ihrer Lieder nicht im Wege zu stehen, findet die in Los Angeles heimische Singer/Songwriterin auf ´Storm In Summer´ in atmosphärischen Ambient-Electronica-Sounds genauso Inspiration wie in und folkiger Natürlichkeit. Doch nicht nur in ihren Liedern ergänzen sich Subtilität und Intensität, Licht und Schatten ganz selbstverständlich. Auch ihren ungewöhnlich martialisch klingenden Künstlernamen hat die zierliche, im ersten Moment schüchtern wirkende Mittzwanzigerin mit Bedacht gewählt. „Der Name gibt mir die Gelegenheit, eine Art von Kraft und Stärke zu demonstrieren, die zu mir und meiner Musik gehört, aber oft ein wenig versteckt ist“, erklärt sie im Video-Interview mit der Westzeit. „Ich denke dabei immer daran, dass es im Metal oft umgekehrt ist. An der Oberfläche ist Metalmusik hart, energiegeladen und kraftstrotzend, aber textlich geht es oft um Dinge, die sehr lieblich, sanft und rein sind. Es steckt immer Verletzlichkeit in etwas, das sich beängstigend anfühlt, und genauso kann etwas Zaghaftes auch sehr kraftvoll sein. Diese Stärke wollte ich in den Vordergrund rücken. Vielleicht sehen manche in meiner Musik nur die Sanftheit und Traurigkeit, aber in gewisser Weise ist dies mein Metal!“



Aufgewachsen in einer Kleinstadt vor den Toren von New York City, war Musik für Ballentine ob ihrer kunstbegeisterten Eltern schon früh wegweisend. Ihr Vater brachte ihr Klassiker wie Joni Mitchell, Bob Dylan oder The Beatles näher, während es ihre Mutter eher mit Beck oder Madonna hielt. Schon im Kindergartenalter erlernte Ballentine das Klavierspielen, doch 13 Jahre auf einer betont erfolgsorientierten Privatschule sorgten anschließend dafür, dass ihr vor allem eingetrichtert wurde, dass alles besser sei als eine Künstlerlaufbahn. Trotzdem entschied sie sich nach ihrem Schulabschluss für ein Kunststudium am anderen Ende von Amerika. Die angestrebte Karriere in der bildenden Kunst stellte sich nach einer frustrierenden Tätigkeit in einer Galerie schon bald als Sackgasse heraus, trotzdem ist Ballentine rückblickend froh über ihr Studium an der University of Southern California. „Im College meine ersten Kunsttheoriekurse zu besuchen, hat mir vollkommen neue Sichtweisen eröffnet“, gesteht sie. „Kunsttheorie ist unglaublich umfassend, fast ein wenig wie Philosophie. Man lernt, wie Menschen denken und kreativ sind. Diese Prinzipien zu verinnerlichen und zu hören, zu erfahren, wie verschiedene Künstler ihre Arbeit, ihren Prozess, die Ideen hinter ihrem Tun sehen und wie sie in der Lage sind, darüber zu sprechen oder darüber zu schreiben – all das beeinflusst die Art und Weise, wie ich Musik mache.“



Überhaupt zeichnet es Ballentine aus, dass sie sich oft mit akademischer Präzision über ihr Selbstverständnis als Künstlerin Gedanken macht, obwohl oder gerade weil ihre eigenen Songs bisher eher ungezwungen, ja, geradezu beiläufig entstanden sind. ´Places/Plans´, das Lied, das im vergangenen Jahr alles ins Rollen brachte, ist nur ein Beispiel von vielen. „Ich wusste nicht, was ich wollte, und fühlte mich deshalb sehr unsicher – und genau das habe ich in den Song einfließen lassen“, erinnert sie sich. „So entstehen die meisten meiner Lieder. Am Anfang ist es ein wenig wie das Führen eines Tagebuchs. Du schreibst etwas nieder und weißt anfangs noch nicht, ob das nur für dich bestimmt ist oder ob vielleicht mehr daraus werden könnte. Erst später, wenn die Gedanken ausformuliert sind und du beginnst, über sie zu sprechen und sie zu erklären, bekommen sie echte Bedeutung.“



Dabei spielt Vertrauen für Ballentine eine wichtige Rolle: Vertrauen in die eigenen Instinkte, aber auch Vertrauen in die Menschen aus ihrem engsten persönlichen Umfeld, die sie auf ihrem Weg als Künstlerin begleiten. So unterstützt sie ihr Partner Noah Weinman (alias Runnner) als Co-Produzent, ihre liebe Freundin Silken Weinberg hilft bei der Gestaltung von Fotos und Videos. Natürlich hat die gewaltige positive Resonanz auf das letztjährige Debüt dafür gesorgt, dass sich die Rahmenbedingungen seitdem ein wenig verändert haben, an ihrer ursprünglichen Herangehensweise möchte Ballentine aber dennoch weiter festhalten. Das gilt besonders für ihr Songwriting. „Ich denke, wenn ich etwas kommunizieren kann, was sich ehrlich anfühlt, dann habe ich das erreicht, was ich anstrebe“, erklärt sie. „Letztlich geht es mir darum, eine wie auch immer geartete Beziehung zu anderen Menschen herzustellen, die sich echt anfühlt. Genau darauf ziele ich mit meiner Musik ab.“



Ein Musiker, der dies zeit seines tragisch kurzen Lebens stets getan hat, ist Nick Drake. Mit der schmerzvoll-schönen Hommage ´Song For Nick Drake´ lässt Ballentine auf ihrer neuen EP Momente aus ihrem eigenen Leben Revue passieren, die untrennbar mit dem Schaffen der bis heute unerreichten englischen Folk-Ikone verbunden sind. „Nick Drake war der Grund, warum ich auf dem College das Gitarrespielen erlernt habe“, verrät sie. „Gleichzeitig war ich auch sehr interessiert an seinem Songwriting, denn er schreibt auf sehr freie Art. Er schrieb das, was ihm am Herzen lag und hat nie den Drang verspürt, seine Songs einem Publikum schmackhaft machen zu wollen, auch wenn die Art von spartanischen Liedern, die er auf ´Pink Moon´ machte, damals, ganz anders als heute, überhaupt nicht beliebt waren. Wie es ihm gelungen ist, allein durch seine simplen, persönlichen Songs zu kommunizieren – das ist eine riesengroße Inspiration für mich.“



Aktuelle Veröffentlichung: Storm In Summer EP (Secretly Canadian/Cargo) VÖ 9.4.


Weitere Infos: www.skullcrusher.online Foto: Silken Weinberg

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