Ryley Walker hat sich berappelt. Nach einem absoluten Katastrophenjahr liefert der Liebling der US-amerikanischen Indie-Jam-Szene mit seinem fünften Solowerk ´Course In Fable´ eine farbenfrohe Hommage an seine langjährige Heimatstadt Chicago ab, mit der er dem genreschmelzenden 90er-Jahre-Sound von Bands wie Tortoise, The Sea And Cake oder Gastr Del Sol den eigenen Stempel aufdrückt.
Es liegen schwere Zeiten hinter Ryley Walker und nein, damit sind nicht die pandemiebedingten Probleme gemeint, die zuletzt viele Musiker plagten. Seinen persönlichen Tiefpunkt erreichte der 32-jährige Ausnahmegitarrist und Freigeist bereits im Frühjahr 2019. Mental am Ende, geriet sein Drogenkonsum so außer Kontrolle, dass er sich auf einer Tournee als Support für Richard Thompson in einem Motel 6 in New Mexico in einem finalen selbstzerstörerischen Akt das Leben nehmen wollte. Zum Glück war er so neben der Spur, dass er selbst dazu nicht mehr in der Lage war. Mit Unterstützung seines langjährigen Labels gelang ihm der Entzug, und kurz bevor COVID-19 die Musikwelt zum Stillstand brachte, war er sogar wieder auf Tour – natürlich ohne die Exzesse, die früher die meisten seiner Konzerte begleitet hatten.Inzwischen, das unterstreicht auch sein neues, auf seinem eigenen Label Husky Pants veröffentlichtes Album eindrucksvoll, hat Walker nicht nur seine körperliche Gesundheit, sondern auch die überbordende Spielfreude wiedergefunden, die seit jeher eines seiner Markenzeichen ist. Trotzdem war er keinesfalls böse, dass ihn die Pandemie zu einer zweiten Auszeit innerhalb nur eines Jahres zwang.
„Ich bin sehr glücklich darüber, daheim sein zu können“, verrät er im Westzeit-Interview. „Nicht auf Tournee zu sein, tut mir gut. Ich schätze mich glücklich, dass ich mein eigenes Label und einige andere Nebenjobs habe, mit dem ich mich beschäftigen kann. Natürlich mache ich mir um die Musikindustrie im Ganzen sorgen, aber ich komme schon klar. Ich bin geduldig und nicht in Eile, wieder auf Tournee zu gehen.“
In einem Interview vor 18 Monaten erzählte Walker, dass er inzwischen sein Netzwerk von Kokaindealern gegen ein Netzwerk von Sponsoren im Rahmen des Zwölf-Schritte-Programms eingetauscht hat. Doch wie genau hat sich sein veränderter Lebenswandel auf seine Kreativität ausgewirkt?
„Körperlich fühle ich mich viel gesünder“, antwortet er. „Ich bewege mich mehr und kann klarer denken. Jeder Tag ist gefüllt mit Dankbarkeit und ich fühle mich derzeit sehr inspiriert. Dennoch steht die Musik hinter der Abstinenz zurück. Nichts ist für mich wichtiger als clean zu bleiben. Musik und Moneten reichen da nicht ran.“
Obwohl Walker inzwischen an der Ostküste heimisch ist, schlägt er mit ´Course In Fable´ klanglich einen Bogen zurück zu seiner Zeit in Chicago, zumal er Tortoise-Großmeister John McEntire als Produzent, Tontechniker und Mixer an seiner Seite hatte. Nicht zuletzt deshalb wich er dieses Mal von seiner üblichen Arbeitsweise ab und setzte weniger als sonst auf glückliche Unfälle.
„Diese neue Platte war anders, weil sie vollkommen durchgeplant war“, erklärt er. „Für gewöhnlich setze ich auf Improvisationen mit der Band, bis sich die Songs herausschälen. Dieses Mal haben wir die Songs oft geprobt und Demos aufgenommen. Es gab einen Plan für alles.“
McEntire war allerdings längst nicht Walkers einziger Mitstreiter. Mit Bassist Andrew Scott Young, Gitarrist Bill MacKay und Schlagzeuger Ryan Jewell konnte er sich bei den Sessions auf langjährige Weggefährten verlassen, denn obwohl er selbst ein begnadeter Solist ist, fühlt er sich doch im Team am wohlsten. „Kollaborationen erlauben es mir, einen objektiven Blick auf meine Musik zu werfen“, ist er überzeugt. „Ich kann die Reaktionen hören und fühlen und kann mit anderen Musikern interagieren. Es ist ein Geschenk, dass ich mit so vielen talentierten Menschen zusammenarbeiten durfte. Es war nie mein Ziel, Musik nur für mich selbst zu machen, ich möchte sie mit anderen teilen und dabei kollaborieren. Das bringt das Beste in mir zum Vorschein.”
Auch sonst ist der Wille, seine neue Chance nicht zu vertun, allgegenwärtig in Walkers Leben. Gefragt, was ihn derzeit besonders glücklich macht, muss er nicht lange überlegen:
„Zu Hause aufzuwachen, mit der Chance, es besser zu machen als gestern!“
Aktuelles Album: Course In Fable (Husky Pants / Cargo) VÖ. 02.04.
Weitere Infos: ryleywalker.com Foto: Emma Smith