Jenn Wasner weiß um die heilende Wirkung von Musik. Auf ´Head Of Roses´, dem zweiten Album ihres Soloprojekts Flock Of Dimes, lässt sich die Amerikanerin tief in die Karten schauen und übersetzt ihre Emotionen unmittelbarer und unverfälschter als je zuvor in experimentierfreudige, elektronisch umspielte Indie-Pop-Songs, die keine großen Gesten scheuen und trotzdem vor allem eines sind – echt.
Das vergangene Jahr war kein leichtes für Jenn Wasner. Innerhalb weniger Wochen wurde ihr ganzes Leben durcheinandergewirbelt. Auf eine schmerzhafte Trennung folgte der Ausbruch der COVID-19-Pandemie, und plötzlich stand die als Frontfrau von Wye Oak bekannt gewordene Musikerin aus Baltimore nicht nur privat, sondern auch beruflich vor einem Neuanfang. Kopfüber stürzte sie sich deshalb in die Arbeit und schrieb in den ersten Wochen des Lockdowns im Frühjahr 2020 die Songs, die nun auf ´Head Of Roses´ zu hören sind. Entstanden sind dabei aber keine simplen Herzschmerz-Lieder, vielmehr betrachtet Wasner die Situation aus einer dualistischen Perspektive und schildert so die Erfahrung, das eigene Herz gebrochen zu bekommen und gleichzeitig das Herz eines anderen zu brechen. Den eigenen Schmerz bringt sie so mit der Einsicht in Einklang, dass es unmöglich ist, durch das Leben zu gehen, ohne für jemand anders die Quelle großen Schmerzes zu sein.Dabei ist es aber genau das Gefühl des Unbehagens, das Wasner als Künstlerin antreibt und ihr in der schwierigen Zeit, die hinter ihr liegt, den Weg gewiesen hat.
„Ich bin überzeugt davon, dass etwas sehr schwierig und schmerzhaft, gleichzeitig aber auch unglaublich wichtig und bedeutsam sein kann“, sagt sie im Gespräch mit der Westzeit. „Die Balance zu finden, war die große Herausforderung für mich im zurückliegenden Jahr. So schwierig es oft auch war – die Zeit war äußerst sinnstiftend für mich. Ich bin mir selbst nun so nah wie nie je zuvor, und das wäre nie passiert, wenn ich einfach im gleichen Tempo weitergemacht hätte."
Der Schreibprozess machte Wasner bewusst, dass sie in der Vergangenheit verschiedene Bewältigungsmechanismen genutzt hatte, um sich mit ihren eigenen Emotionen, ihrem eigenen Ich auseinanderzusetzen. Zuvor hatte sie die intellektuelle Betrachtung ihrer Gefühle stets höher bewertet als ihre körperliche Reaktion auf bestimmte Ereignisse, und auch beim Songwriting hörte sie in der Vergangenheit zumeist mehr auf ihren Kopf als auf ihr Herz. Für ´Head Of Roses´ stellte Wasner ihre Prioritäten auf den Kopf, wissend, dass die Musik es möglich macht, die Bürden des bewussten Denkens hinter sich zu lassen:
„Einer der Gründe, warum Musik die Kunstform ist, die mich am meisten anzieht, ist, dass sie unsere höheren Bewusstseinsebenen und alles drumherum untergräbt und uns auf einer tieferen, stärker emotionalen Ebene packen kann – und genau dort findet der echte Heilungsprozess statt. Du kannst dir nicht einfach in den Kopf setzen, dass es dir besser geht, es muss in dein ganzes Sein integriert sein, und Musik ist außergewöhnlich hilfreich dabei, das zu erreichen.“
Ohne nach dem Schreiben der Lieder viel Zeit zu verschwenden, konstruierte Wasner ihr neues Album gemeinsam mit Produzent Nick Sanborn von Sylvan Esso wie ein genrebrechendes Mixtape, bei dem vor allem die narrative Struktur der Leitfaden ist und die Übersetzung intensiver, zutiefst persönlicher Gefühle im Mittelpunkt steht. So neu diese Erfahrung für Wasner oberflächlich betrachtet auch war, im Kern zielte sie damit auf etwas ab, das ihr Tun schon immer beeinflusst hatte.
„Es war mir immer schon wichtig, mir meine Menschlichkeit zu bewahren“, erklärt sie. „Es gibt viele Performer, die eine Rolle spielen, um mysteriöser zu wirken und sich als übermenschlich darzustellen. Das finde ich äußerst faszinierend und ich respektiere es sehr, allerdings ist es etwas komplett anderes, als mir vorschwebt. Ich finde, Menschen brauchen Kunst, die ihnen das Gefühl vermittelt, gesehen und verstanden zu werden, und genau darauf ziele ich ab.“
Deshalb möchte sich Wasner mit ihrer Musik zur eigenen Unvollkommenheit bekennen, oder wie sie es abschließend ausdrückt:
„Ich möchte eine Künstlerin sein, zu der du eine Verbindung aufbauen kannst, weil du deine eigenen Fehler in ihr erkennst, nicht jemand, der in höheren Sphären unterwegs ist.“
Aktuelles Album: Head Of Roses (Sub Pop/Cargo) VÖ 02.04.
Weitere Infos: flockofdimes.com Foto: Graham Tolbert