Die meisten Musiker sind ja ganz zufrieden, wenn es ihnen gelungen ist, im Dschungel der sich heutzutage bietenden Möglichkeiten, einen eigenen Sound und eine eigene Identität gefunden zu haben. Bis zu ihrer letzten Scheibe, dem selbst betitelten Album „The Weather Station“ schien es so, dass die Kanadische Songwriterin und Projektleiterin Tamara Lindeman auch zu dieser Spezies gehören könnte – zumal sie sich im Laufe von 10 Jahren des Suchens und Tastens eher leise, zaghaft und auf bescheidene Weise einen eigenständigen Mix aus Folk, Folkpop, Indie-Rock und klassischem Songwriting erarbeitet hatte, dabei genauso oft auf das Weglassen wie das Hinzufügen setzte und eher in der Subtilität das Maß aller Dinge sah.
Das nun vorliegende, fünfte Album ist indes ganz anders geworden, als es die bisherige Laufbahn hätte vermuten lassen. Nicht nur, dass Tamara dieses Mal alle Songs auf dem Klavier statt der Gitarre schrieb (und spielte) – sie richtete Ihre Songs auch erstmals an geradlinigen, unerbittlichen Rhythmen aus, reicherte die Arrangements mit jazzigen Akzenten an und näherte sich auf der anderen Seite auch bislang eher verpönten, eher konventionellen Pop-Song-Strukturen an. Was hat denn diese Entwicklung ausgelöst?„Weißt Du, ich habe angefangen, mich zu wiederholen, als ich wie gewohnt zur Gitarre gegriffen habe, als ich die neuen Songs schrieb“, berichtet Tamara, „ich habe als Kind Klavier gelernt – aber eine lange Zeit gar keine Gedanken an dieses Instrument verschwendet. Mich dann erneut an ein Klavier zu setzen, war für mich eine schöne Möglichkeit, mich wieder mit etwas zu verbinden, was ich ein mal sehr gemocht hatte. Musikalisch hat das zu für mich neuen Emotionen und Ideen geführt. Auch, weil sich das so natürlich anfühlte. Davon mal abgesehen habe ich ja immer die Ambition, etwas zu erschaffen, was zusammen passt. Die Musik ist da, um die Ideen zu transportieren und die Ideen sind da, die Musik zu tragen. Es hat sich also letztlich alles schlicht genau richtig angefühlt.“ In einem älteren Interview erklärte Tamara ja ein Mal, dass Instrumente ihrer Meinung nach eine Seele besitzen. Hat ein Klavier dann vielleicht eine andere Art von Seele als eine Gitarre?
„Ja – das ist ein interessanter Gedanke“, überlegt Tamara, „und zwar deshalb, weil man nicht immer das selbe Klavier spielen kann. Man muss dann versuchen, eine Verbindung mit dem Instrument aufzubauen, das halt gerade in dem Club oder dem Studio steht, wo man sich befindet. Aber tatsächlich erfühle ich grundsätzlich die Instrumente, auf denen ich spiele und versuche, eine Verbindung damit einzugehen. Ich würde aber sagen, dass meine enge Beziehung – und zuweilen gar Besessenheit - zu bestimmten Instrumenten mich zuweilen sogar eingeschränkt hatte und dass ich mich diesbezüglich etwas zurückhalten sollte – besonders auf dieser Scheibe. Ich bemühte mich hier, etwas mehr der Melodie als dem Klang von Instrumenten zu vertrauen.“
Und wie kam es dann mit der Beschäftigung mit geradlinigen Rhythmen?
„Es gibt ja so etwas Tiefgründiges in der menschlichen Natur, zu einem konstanten Rhythmus, der sich nicht verändert, zu singen – so dass ich mir dachte: 'Wenn das für mich funktioniert, dann funktioniert es vielleicht auch für andere'.“,überlegt Tamara. „Und dann noch etwas: Wenn ich nicht versuchen muss, den Rhythmus zu kontrollieren – weil er geradlinig vorgegeben ist - dann habe ich mehr Spielraum, was meine Phrasierung und meinen Gesang betrifft.“
Was übrigens dazu führte, dass sich Tamara's neue Songs letztlich gar nicht so anders anfühlen, als ihre bisherigen. Sie klingen nur anders. Inhaltlich geht es auf dem neuen Album um das Thema Ignoranz – und zwar eine universelle, gesellschaftliche Art der Ignoranz.
„Ja, denn wir als Gesellschaft tendieren in eine Richtung der vorsätzlichen Ignoranz“, erklärt Tamara, „um sich etwas Unangenehmes eingestehen zu können, braucht es eine Portion Demut. Und die Ignoranz, die ich meine, bedeutet, die Wahrheit erst gar nicht wissen zu wollen. Das Schlimme daran ist aber auch, dass viele Menschen gar nicht in der Lage sind, ihre eigene Ignoranz überhaupt erkennen zu können.“ Mit dem Album „Ignorance“ gelingt Tamara das Kunststück, sich musikalisch in weiten Teilen neu aufzustellen, zugleich ernsthafte Gedanken zu schwerwiegenden Themen zu machen – diese aber teilweise auf leichtfüßige, spielerische und zugängliche Weise zu vermitteln und sich trotz allem ihren songwriterischen und performerischen Charakteristika treu zu bleiben.
Aktuelles Album: Ignorance (Fat Possum / Membran) VÖ: 05.02.
Foto: Jeff Bierk