Es ist allseits bekannt, dass J Mascis ein – sagen wir mal – sehr eigener und gewöhnungsbedürftiger Gesprächpartner sein soll. Wenig bis gar nichts soll man aus ihm herausquetschen können. Fischt man etwas aus diesem Kauz heraus, dann nur ganz ganz langsam. J ist eben ein gemütlicher Typ. Und ein Mensch, der keine großen Rede schwingen muss, sondern eigentlich mit einzelnen Worten allein schon seine persönliche Geschichte und die von Dinosaur Jr. erzählen kann.
Er sagt von sich selbst, dass er früher immer dieser Freak in der High School-Cafeteria war, der aus seinem Essen Figuren gebaut hat, anstatt es zu essen. Gegessen hat er in den letzten Jahren soweit ganz gut, aber kauzig wirkt er nach wie vor, keine Frage. Im Hamburger Hyatt-Hotel sitzt der Sohn eines Zahnarztes und Held vieler Gitarrenjunkies wie - mit Verlaub - ein nasser Sack auf dem Sofa. Man möchte ihn eigentlich auf die Seite hieven und zudecken, seine viel zu große bunte Brille beiseite legen, über seine langen grauen Loden streicheln und ihm dann eine gute Nacht wünschen. Vielleicht muss der Mittvierziger einfach mal ein paar Wochen schlafen. Das geht in einer knapp bemessenen Interviewsituation natürlich nicht. Stattdessen versucht man ganz behutsam seichte Fragen zu stellen. Aber auch die Worte erscheinen wie jede Bewegung bei ihm Schmerzen zu verursachen. Auf die gestellten Fragen folgen wie Sekundenschlaf wirkende Pausen, aus denen er kurz aufwacht und nicht viel mehr als ein „Yeah“, „No“ oder „Don’t know...“ hinterherschickt. Kaum ein Wort fällt aus seinem Mund, wenngleich man doch das Gefühl hat, wenn man ihn so betrachtet, dass hinter dieser behäbigen, schweigenden Schale in jedem Fall viel mehr Leben stecken muss. Denn von irgendwoher müssen doch diese Flitzefinger gesteuert und angestachelt werden, müssen seine Texte doch ihren Grund und die Tiefe der Songs ihre Wurzel haben.Aber der große Schweiger macht seinem Ruf alle Ehre, zumindest zunächst. Auch Fragen, die er mit ziemlicher Sicherheit an diesem Tag noch nicht zwanzigmal gehört hat, scheinen ihn nicht zu interessieren geschweige denn aufzulockern: Silvester vor einigen Jahren in Berlin...? Als das Feuerwerk so langsam erlosch und er im dritten Stock eines Kreuzberger Hauses die Gitarren-Amps auf den Balkon rollte und das junge Jahr mit einer Noise-Session begrüßte...?
„Ich glaube“, setzt er an, „ich erinnere mich. Aber es war nicht so gut...“
Das ist natürlich Geschmackssache und bei Augen- und Ohrenzeugen anders angekommen, aber egal. Der Ausbruch aus dem Achselzucken muss genutzt werden, um weitere Worte aus ihm herauszuquetschen, sei es auch nur ein einziges Wort zu jedem Album, das er bis dato mit Dinosaur Jr. gemacht hat.
„Das ist hart“, nuschelt J und schiebt die Brille langsam naseaufwärts. Stille. „Ich glaube, ich kann das nicht. Ich bräuchte dafür eine Auflistung der Alben, um sie vor Augen zu haben. Dann könnte ich ein Wort zu jedem Album aufschreiben.“
Er kommt in Plauderlaune, stellt aber Bedingungen. Eher zufälliger-, aber durchaus glücklicherweise ist die erwünschte Liste parat. Er schreibt, wie er sich bewegt und redet. Langsam, fast quälend, aber brav und stillschweigend setzt er hinter jeden Albumtitel ein Wort, das er mit der jeweiligen Platte verbindet: „Billig“ – „Erfolg“ – „Schmerz“ – „Konfus“ – „Stark“ – „Traurig“ – „Warum“ – „Fragend“ – „Solide“. Stille.
Eigentlich erwartet man nun natürlich nicht, dass J Mascis die Wahl jener Worte kommentieren würde. Aber man höre und staune, auf Anfrage legt er ohne zu murren los - und das nicht gerade wortkarg:
„Unser Debüt war billig. Das Ganze hat uns damals vielleicht 200 oder 300 Dollar gekostet. Wir hatten auch noch keinen richtigen Sound. Wir haben dieses Album gemacht, um an Gigs zu kommen, um Noise zu machen. Bei „You're Living All Over Me“ hatten wir dann mit dem zweiten Album bereits das erreicht, was wir immer erreichen wollten. Unser Ziel war es, auf SST Records zu landen. Und das haben wir mit diesem Album geschafft. Das Album war gut, eigentlich war damals alles gut. Wir hatten so früh unsere Ziele bereits erreicht.“
J Mascis lacht kurz auf. Schaut auf den Zettel, stöhnt und erklärt seine persönliche Dinosaur Jr.-Diskografie weiter. Auf Erfolg folgt prompt der Schmerz.
„Es war ein einziger Schmerz, dieses Album. Alles um „Bug“ herum war schmerzvoll, die Band brach hier auseinander. Bei „Green Mind“ Anfang der Neunziger war dann irgendwie alles total konfus, sowohl gefühlsmäßig als auch musikalisch. Dieses Album war einfach seltsam. Da waren eigentlich nur Murph und ich und wir wussten nicht so wirklich, was wir genau taten. Bei „Where You Been“ war dann wieder alles anders. Da war vom Gefühl her alles wieder beisammen, das fühlte sich alles gut und stark an, wir waren guter Dinge und euphorisch. Das änderte sich dann bei „Without A Sound“. Das war eine deprimierende Zeit, während der Aufnahmen und auch danach. Zu der Zeit waren wir relativ groß, wir hatten Erfolg. Aber trotzdem war ich so bedrückt und depressiv wie noch nie in meinem Leben zuvor. An diesem Punkt habe ich spätestens realisiert, dass Erfolg in solchen Momenten kein Stück weiterhilft. Eine traurige Erfahrung. Bei „Hand It Over“ frage ich mich heute noch immer warum? Denn eigentlich fühlte sich alles gut an. Ich schrieb das Album nahezu allein. Das Problem war, dass die Plattenfirma nichts für dieses Album tat, sie verschwieg es förmlich. Das war seltsam, das war sehr ermüdend für mich.“
Was danach kam, weiß jeder: Ende. Zehn Jahre flossen ohne die Dinosaurier ins Land und J ging solo. Bis 2007. Da erschien dann „Beyond“:
„Wir fragten uns damals, was wohl passieren würde, wenn wir nach all den Jahren noch einmal ein Album machen und rausbringen würden. Um die Antwort zu bekommen, machten wir es einfach. Ganz ähnlich ist es eigentlich auch mit unserem neuen Album. Auch wenn ich „Farm“ als solide oder fokussiert beschreiben würde, wusste ja niemand, was passieren würde, wenn es rauskommt.“
Aber so richtig beschreiben, wie er das neue Dinosaur-Werk selbst findet, kann er nicht.
„Der Unterschied zu dem Album davor, ist eigentlich nur der, dass wir eine Deadline hatten, also weitaus weniger Zeit. Deshalb haben wir uns etwas mehr beeilt. Freunde, denen ich vertraue, sagen, dass sie das neue Album mehr mögen, als das davor. Ich kann das nicht beurteilen, dafür ist es zu früh und das Album zu frisch. Ich brauche da immer mehr Zeit als Andere, um die nötige Distanz zu haben.“
Mit etwas Abstand von den (für J vielleicht größtenteils nur vermeintlich) guten alten Zeiten, gibt Mascis zu, dass es sich für ihn heute auf der Bühne besser anfühlt, als damals in den Neunzigern. Er genieße das Spielen mehr denn je, ist unbeschwerter beim Dudeln, Quietschen und Krachmachen. Der Erfolg ist und bleibt für ihn dabei immer eine schwierige Geschichte. Denn so, wie er es bei „You’re Living All Over Me“ andeutete, hat die Band ihr Ziel früh, vielleicht zu früh, erreicht. Sie landeten mit einem Album, das so klang, wie sie es sich wünschten, auf dem Label, auf das sie immer wollten. Was soll danach noch kommen?
„Unsere Ambition war es nie, ein Nummer 1-Album zu haben. Das einzige, was wir wollten, war auf SST Records zu sein. An diesem Punkt waren wir gleich zu Beginn unserer Geschichte. Wir waren an der Spitze unserer Vorstellungen, danach kam nur noch der Rest unserer Karriere.“
Ein glücklicher Umstand klingt hier fast wie ein ernsthaftes existenzielles Problem und macht im selben Atemzug die Wiederbelebung dieser Band so fragwürdig.
„Ganz ehrlich“, setzt J an und schiebt die Brille wieder naseaufwärts, „die meisten Reunion-Alben sind grauenvoll. Und wenn sie es nicht sind, schert sich eigentlich niemand um sie. Deshalb war es auch alles andere als selbstverständlich, dass wir eines bzw. zwei gemacht haben. Aber wir wollten einfach weitermachen, wollten schauen, was passiert, wenn wir wieder gemeinsam Musik machen.“
Und „Farm“ klingt nun so, als wäre diese Entscheidung die richtige gewesen. Denn so wie zum Beispiel AC/DC sich für den Fan der ersten Stunden um Himmelswillen bitte niemals verändern oder gar weiterentwickeln dürfen, wünscht man sich Dinosaur Jr. heute so, wie sie damals klangen, als sie so verfrüht ins Ziel trudelten. Danke für das Gespräch.
Aktuelles Album: Farm (PIAS)