"Bessere Zeiten klingt gut”, brüllte Kristof Schreuf vor fünfzehn Jahren ins verbeulte Mikrofon. Als wolle er die Zukunft schönschreien. Als hätte die soziale Wirklichkeit und der Glaubwürdigkeitsverlust linker Gesellschaftsutopien nicht alle gelähmt, die mit Nonkonformismus und rebellischem Gestus dem Alltag die Stirn boten. Doch mit dieser Hymne der Kolossalen Jugend war sie plötzlich wieder da, die zeitgenössische Untergrundmusik mit politischem Anspruch.
Schließlich war 89 ja irgendwie auch 68. Nur auf den Kopf gestellt. Und durch "Heile heile boches”, jenes legendäre Debütalbum der Hamburger Band, konnte man wieder Musik aus dem eigenen, alternativen Lebenszusammenhang heraus machen und diese sogar bei einem Indie-Label veröffentlichen. Was dann kam ist Geschichte, aber für viele der heutigen Bands eine wichtige. Denn die Kolossale Jugend und das von Pascal Fuhlbrügge und Carol von Rautenkranz gegründete Label "L’age D’or” haben viele Dinge und Experimente ermöglicht, die im Hier und Jetzt selbstverständlich erscheinen.Der Plattenindustrie ist Vorsicht anzuraten, will sie heute nicht den gleichen Fehler begehen wie seinerzeit mit dem totalen Ausverkauf der Neuen Deutschen Welle. Ein Desaster auf das glücklicherweise eine Kolossale Jugend folgte, die wieder aus dem Untergrund agierte und ihre Parolen dennoch unters Volk zu bringen verstand. "Halt’s Maul Deutschland” war vielleicht das beste Band-T-Shirt, das je in den Waschmaschinen der wiedervereinigten Republik auf Umdrehungen gekommen ist. Es verdampfte all die Umstände, Impressionen, Befindlichkeiten nach dem Zerbröseln der Berliner Mauer zu einem simplen, radikalen Slogan, der damals für reichlich Diskussionsstoff sorgte. Es griff den seltsamen Patriotismus jener Zeit an. So wie es die Band mit ihrem deutschsprachigen Lärmpop ebenfalls versuchte. Oder war es zu guter letzt doch Rock? Immerhin sang Kristof Schreuf zuvor in einer AC/DC-Revivalband namens "Bon Scott". Egal, denn entscheidend war, dass sich die Kolossale Jugend mit den Verhältnissen um sie herum nicht einverstanden zeigte. Schreuf erschuf deshalb einen lyrischen Fragmentarismus mit zerstückelten Assoziationsketten, der jenseits von allem war, was man damals so hörte. "Der Text ist meine Party”, sang er und meinte das ernst.
Nach dem zweiten Album "Leopard II" zerbrach das Kollektiv der Kolossalen Jugend an seinen eigenen Ansprüchen und Ideen. Die Einzelteile fügten sich nicht mehr zu einem Ganzen zusammen. Was bleibt ist Musik, die in ihrer Intensität bis heute nur von wenigen erreicht worden ist. Immerhin gibt es mit "Um und bei" nun eine EP, auf der sich Ted Gaier, Egoexpress, Kissogram und andere an Interpretationen einiger Stücke heranwagen. Und sogar einen neuen Song der Band. Von Reunion will aber niemand reden. Die war schließlich 89 und hat die Kolossale Jugend nachhaltig geprägt.
Kolossale Jugend
"Heile heile boches” (L’age D’or/Rough Trade)
"Leopard II” (L’age D’or/ Rough Trade)
"Um und bei” (L’age D’or/Rough Trade)