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TIM RENNER

Der König von Berlin

TIM RENNER

Tim Renner wollte vor zehn Jahren die größte deutsche Rockband finden, und er hat sie mit Rammstein bekommen. Tim Renner wollte mit der größten Plattenfirma der Welt von Hamburg nach Berlin umziehen und er hat diesen Umzug bekommen. Tim Renner wollte nicht so lange warten, bis er als CEO von Universal Music Germany abgesägt wird und er hat seinen glamourösen Abgang zeitgleich und strategisch günstig mit dem des ungeliebten Herrn Stein von Bertelsmann bekommen. Tim Renner wollte die längste Schlange der ersten Popkomm in Berlin und er hat sie zu seiner „10 Jahre Motor Party“ auch bekommen. Tim Renner wollte eine Sendefrequenz für seinen geplanten Sender Motor FM und er hat sie bekommen. Tim Renner will der König von Berlin werden und deshalb hat er pünktlich zur Popkomm ein Buch veröffentlicht.

Vor und während der ersten Popkomm in Berlin gab es kaum ein Forum, das sich mit den Entwicklungen des deutschen Musikmarktes und der Situation der nationalen Künstler befasst, auf dem Tim Renner gefehlt hätte. Vor einem halben Jahr hatte er als Kopf von Universal Music Germany seinen Hut genommen und damit allerorts großes Wehklagen ausgelöst. Galt er doch als Musikmanager mit Herz für Inhalte. Er hatte Phillip Boa groß und Element Of Crime zu Stars gemacht, Tocotronic in die Charts gebracht, Surrogat in den Größenwahn getrieben und mit Rammstein die größte deutsche Rockband aller Zeiten aufgebaut. Design-Produkte wie die No Angels waren nie sein Fall (er hat aber trotzdem gerne und gut daran verdient). Sein Abgang galt als Verlust für die auch von Universal repräsentierte Vielfalt des deutschen Musikmarktes.TIM RENNERWenn man sich über siebzehn Jahre lang kontinuierlich an die Spitze eines solchen Musikmolochs wie Universal – damals hieß es noch Polydor – gearbeitet hat und dieser Weg dann vom einen auf den anderen Tag beendet ist, liegt eigentlich nichts näher, als ein Buch zu schreiben. Vor allem wenn man beabsichtigt, sich wieder ins Gespräch zu bringen, um Aufmerksamkeit und eventuelles Kapital zu bekommen. Für letzteres eignet sich natürlich kein reines Enthüllungsbuch über die Abgründe der Branche, denn niemand investiert gerne in einen Nestbeschmutzer. Renner musste also mit einem anderen Konzept starten. Und dieses hat er sich bei jemand anderem abgeschaut: das Bild des Messias. Hinter einen visionären und charismatischen Mann stellt man sich gerne und sonnt sich in seinen mitreißenden Ausführungen.

Tim Renners Buch „Kinder, der Tod ist gar nicht so schlimm!“ (ein Zitat von Palais Schaumburg) ist also mehr, als der ausgestreckte Zeigefinger, mit dem er auf die Konzernleitungen der Musikindustrie weist und ihnen vorhält, dass sie die Zeichen der Zeit seit Jahren nicht konsequent interpretieren und daher an ihrer eigenen Misere selbst schuld seien. Klar, dass hier und da mal einfließen muss, dass man auf ihn ja nie hören wollte, und jetzt habe man den Salat. Doch Renner wäre kein Macher, wenn sein Buch hier aufhören würde. Interessant wäre es ja trotzdem, doch für einen Neuanfang nicht zu gebrauchen. Er schaut über den Tellerrand in andere Wirtschaftsräume und andere Branchen, findet Parallelen und entwickelt Szenarien. Seine Analysen münden in einer Erkenntnis, die ihn zum Karl Albrecht des musicbiz machen soll, so sprüht sie vor Einfachheit. Die Musikwirtschaft braucht vor allem drei Dinge: Inhalt, Kapital und Verantwortung. Seine Aufgabe ist hierbei vor allem letztere. Er will der Mann sein, der den Kopf hinhält.
Ob das alles mehr als schöne Worte sind, wird die nächste Zeit zeigen. Denn in Branchenkreisen gilt es als sicher, dass Renner mit seiner Marke Motor, die seit seinem Weggang lediglich als Internetseite existiert, wieder ein Label starten will, ja eigentlich sogar muss, um den Beweis für die Richtigkeit seiner Thesen anzutreten. Ebenfalls als sicher gilt, dass er die Bands mit an Bord haben wird, die er bei Motor groß gemacht hat. Demnach wird sich Motor mit Rammstein, den Sportfreunden Stiller oder Virginia Jetzt! wohl bald wieder in den oberen Chartregionen tummeln.
Weitere Infos: www.motor.de

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