Bereits an der Uni begann die australische Songwriterin Jen Cloher erste eigene Songs zu schreiben. 2001 erschien dann ihre erste EP „Movement Involves Danger“ und als sie 2006 zusammen mit ihrer Band The Endless Sea ihr Debüt-Album „Dead Wood Falls“ veröffentlichte, hatte sie sich bereits als Leitfigur der australischen Fraktion der Queerfolk-Bewegung etabliert. Lange Zeit schien es, als lege es Jen Cloher darauf an, gemeinsam mit anderen Musiker(inne)n ihr Glück zu suchen: In ihrer Band The Endless Sea versammelte sie Songwriter-Kolleg(inne)n wie Michael Hubbard, Tom Healy (Tiny Hands) oder Laura Jean und als sie auf ihre spätere Partnerin Courtney Barnett traf, auf deren gerade gegründetem Label Milk!-Records sie ihr drittes Album „In Blood Memory“ veröffentlichte, machte sie diese auch zur Gitarristin in dieser Band. Danach gründete Jen zusammen mit Mia Dyson und Liz Stringer ein neues Projekt namens „Dyson Stringer Cloher“ und veröffentlichte eine selbst betitelte EP. Erst 2017 enstand - in enger Zusammenarbeit mit Barnett – schließlich Jen's erste, selbst betitelte „Solo-LP“ auf der sie sich von ihren Folk-Roots gelöst zu haben schien und sich dem Indie-Sound Barnett's angenähert hatte, die sich inzwischen als maßgebliche Größe der australischen Indie-Rock-Szene etabliert hatte. 2019 tat sich Jen erneut mit Dyson und Stringer zusammen, veröffentlichte ein selbst betiteltes Album und tourte mit dem Ensemble bis kurz vor der Pandemie. Erst danach fand Jen Zeit und Muße, um sich um ihr zweites Album unter eigenem Namen zu kümmern, das nun unter dem Titel „I Am The River, The River Is Me“ vorliegt. Mit diesem Longplayer widmet sich Jen Cloher nun erstmals ihrer Herkunft als Tochter einer Maori.
Ist das vielleicht auch mit der Grund, warum Jen sich für dieses Album auf Neuseeland bezieht?„Ja, ich meine ich habe früher schon mal in Neuseeland gelebt – denn beide meine Eltern kommen dorther“, führt Jen aus, „bevor ich nach Australien zurückkehrte, habe ich einige Zeit dort gelebt, um sie zu versorgen, als es ihnen schlecht ging. Nachdem sie aber vor 11 Jahren verstorben sind, ist diese Scheibe das erste Mal, dass ich mich alleine mit meiner Kultur auseinandergesetzt habe – ohne mich mit meiner Maori-Mutter abstimmen zu können."
Naben der Maori-Sprache scheint die Natur eine größere Rolle als Inspirationsquelle für Jen zu spielen. Teilweise wird beides auch miteinander verwoben. Der Titel „Harakeke“ beispielsweise bedeutet übersetzt „Leinsamen“. Da vermutet man dann auch noch gleich einen spirituellen Bezug – etwa im Sinne von eine Samen als Quelle des Lebens.
„Diese Interpretation gefällt mir“, schmunzelt Jen, „als ich das erste Demo für diesen Song auf meinem I-Phone aufnahm, hatte ich noch keinen Text. Ich nannte den Song damals 'Wild Grass' – ohne einen Grund dafür zu haben. Ich stand gar nicht vor einer Gras-Wiese – ich saß in eine Raum. Letztlich handelt dieser Traum jetzt von einer Serie von Träumen, die ich hatte, in denen meine Mutter zu mir gesprochen hatte. Als ich diesen Song schrieb, tippte ich 'Wild Grass' in das Übersetzungsprogramm und 'Harakeke' war das Ergebnis auf Maori. Interessanterweise haben die Maori dieses 'Harakeke' seit Generationen dazu verwandt, Tragetaschen zu weben, um Nahrungsmittel zu transportieren. Es gibt aber auch Motivbilder für die Wand aus Flachs. Im übertragenen Sinne ist das das Bild, das ich verwende, um die Frauen aus meinem mütterlichen Erbe – meine Mutter, meine Großmutter, meine Urgroßmutter – die alle Maori-Frauen waren - miteinander zu verweben. Das Album-Cover ist ein Abbild jenes Flusses in dem auch meine Mutter und meine Großmutter geschwommen sind und wo sie ihre Nahrung und ihr Wasser herbekamen. Es gibt also ein Gewühl, in dieser Linie miteinander verwoben zu sein. Und daher rührt auch der Titel des Albums 'I Am The River, The River Is Me."
Interessanterweise hat Leinsamen – um mal bei der deutschen Übersetzung von 'Harakeke' zu bleiben – ja auch eine medizinische Wirkung. Ist das vielleicht auch ein Aspekt – beispielsweise in spiritueller Hinsicht?
„Oh – das ist eine schöne Erkenntnis“, meint Jen, „da ist definitiv eine spirituelle Konnotation. Wenn Du mal über spirituelle Medizin nachdenkst: Ist die Musik nicht genau das? Es gibt etwas in der Musik, das sich über Wörter und Sprache hinaus vermittelt. Am Ende des Tages ist die Musik die Sprache des Herzens. Musik bewegt uns und deswegen fühlte es sich richtig für mich an, ein Album zu schreiben, dass sich für mich sehr heilsam anfühlte – und sich der Kultur zuwendet, die in Neuseeland noch während der Lebzeiten meiner Mutter verboten war und unterdrückt wurde. Es gab ja sogar mal Gesetze, die die Maori-Sprache schon in der Schule verboten war. Mich dieser Kultur wieder zuzuwenden, hatte für mich die spirituelle, medizinische Heilung ausgemacht."
Die Beschäftigung mit der Maori-Kultur ist das eine – aber fokussiert sich Jen in ihren Songs nicht dennoch eher auf sich selbst?
„Ja, doch – ich fokussiere mich immer auf mich selbst“, räumt sie ein, „es geht immer um meine Weltsicht und meine Erfahrungen – und die Schlüsse, die ich daraus ziehe."
Welche Art von Schlüssen können das denn sein? „In dem Song 'The Wilds' sage ich zum Beispiel: 'Knowing that you are lost, doesen't mean that you are found'. Damit meine ich, dass mich das Wissen dessen, was passiert ist nicht davor bewahrt, Fehler zu machen. Mir wurde das klar, als ich ein Museum besuchte und dort all die Dinge sah, die nicht mehr existieren – all diese ausgestorbenen Spezies, all die Kulturen die zerstört sind. Wenn ich also weiß, dass es mal ein Massensterben gegeben hat, macht mich das nicht selbstsicher – zumal wir gerade selbst wieder in einer Phase des Massensterbens sind. Ich meine: Hört auf, alles zu dokumentieren, was ein Mal verloren ging - während wir gleichzeitig weitere Dinge verlieren, denn das hilft niemandem. Geht stattdessen raus und macht irgend etwas dagegen. Was machst Du selbst, um Dinge zu verändern? Willst Du damit leben, wie es ist? Und was machst Du, um diese wertvolle Erde zu bewahren. Das ist ein sehr großes Thema. Nun ja – die Pandemie hat uns wohl dazu gebracht, so tief zu schürfen ..."
Gibt es eigentlich auch musikalische Bezüge zur Maori-Kultur?
„Ich habe nicht versucht, traditionelle Maori-Songs zu schreiben“, schränkt Jen ein, „aber es gibt traditionelle Maori-Instrumente, die ich auf dem Album verwende und ich wollte diese Elemente einbringen. Es spielen auch einige Neuseeländische Musiker mit, die sich mit traditioneller Maori-Musik auskennen und ich denke, dass sich das auch auf ihr Spiel und ihre Denkweise auswirkt. Ich mache ja schon seit 20 Jahren Musik und ich bin dabei auch zur Produzentin für mich und andere geworden. Ich hatte immer schon eine große Vision und ich höre Dinge. Ich habe dann immer meiner Intuition vertraut. Beispielweise gibt es ein Vokal-Solo in der Mitte des Songs 'In The Wild'. Ich hatte dabei den großen Pink Floyd-Sound im Ohr, der mich dazu inspiriert hatte, so etwas auch mal zu versuchen."
Dabei spielt Jen doch gewiss auf „Great Gig In The Sky“ an, oder?
„Ja, absolut“, bestätigt Jen, „wie Du weißt, lege ich meine Einflüsse offen. Ich versuche nicht, zu imitieren, aber ich liebe es, sie durchschimmern zu lassen. Du weißt, dass es dabei um 'Great Gig In The Sky' geht, weil wir dieses gewisse Alter haben. Aber für Leute, die heute 20 sind, ist das keine Landmarke. Es gilt dabei immer zu bedenken, wenn man Musik macht - dass nicht alle dieselben Referenzen haben. Und es macht Spaß, damit zu spielen und so unterschiedliche Reaktionen hervorzurufen. Junge Leute sagen vielleicht: 'Wow – das ist eine coole Idee' und für Dich ist klar, dass es um 'Great Gig In The Sky' geht."
Das bedeutet letztlich, dass Jen Cloher mit ihrer Musik denn auch verschiedene Schichten von Musikliebhabern ansprechen kann – und es macht ihre Musik selbst denn ja auch in gewisser Weise zeitlos.
Aktuelles Album: I Am The River, The River Is Me (Milk! Rekorde / Marathon Artists) VÖ: 03.03.
Weitere Infos: https://www.jencloher.com/jen