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COURTNEY BARNETT

Ungeschminkte Wahrheiten

COURTNEY BARNETT

Courtney Barnett hat am eigenen Leib erfahren, wie es ist, wenn man eigentlich gar nicht ins Rampenlicht will und plötzlich als Kritikerliebling und Grammy-nominierter Shootingstar zum Poster-Girl einer ganzen queeren Künstlergeneration und Inspiration für unzählige DIY-Singer/Songwriterinnen im Indierock-Universum wird. Wie sie damit umgeht, zeigt sie auf ihrer nach innen gewandten neuen LP, bei der ´Tell Me How You Really Feel´ Titel und Inhaltsangabe zugleich ist.

Mit Charme, Köpfchen und sagenhafter Slacker-Leichtigkeit hatte Courtney Barnett vor drei Jahren auf ihrem Erstling ´Sometimes I Sit And Think, And Sometimes I Just Sit´ die Profanität des Alltäglichen wie keine Zweite in poetische Worte gefasst, nun rückt die 30-jährige Australierin eine grüblerische Tiefgründigkeit in den Mittelpunkt, der man nicht nur bei ´Crippling Self-Doubt And A General Lack Of Confidence´ das Gewicht anmerkt, das in den letzten Jahren auf ihren Schultern lastete. Während sie ihre Selbstzweifel zuletzt in einigen Interviews offen eingestanden hatte, rudert sie beim kurzen Treffen mit Westzeit in Berlin ein wenig zurück.

„Ich wünschte fast, ich hätte das nie erwähnt, denn jetzt stürzen sich alle darauf“, gesteht sie lachend. „In Wirklichkeit hat das Songschreiben gar nicht so lange gedauert, wie es sich für mich angefühlt hat. Der Unterschied zur letzten Platte war lediglich, dass ich mich dieses Mal selbst verrückt gemacht habe.“

Dennoch sind die Resultate hörbar anders. Standen zuvor wortreiche Geschichten im Vordergrund, die oft nicht unmittelbar von Barnett handelten, sind es nun spürbar düsterer gefärbte Texte mit Sendungsbewusstsein, die sich mit ungeschminkten Wahrheiten allein um ihre Autorin drehen und dabei deutlich knapper ausfallen.

„Ich habe dieses Mal viel weniger Worte verwendet, um auszudrücken, wie ich mich fühle“, verrät sie. „Zuerst war ich etwas verunsichert, weil ich glaubte, dass weniger Worte gleichbedeutend mit weniger Wirkung sind, aber letztlich ergab diese Herangehensweise einfach Sinn für mich“, erklärt sie. Während sie sich mit ´Need A Little Time´ ähnlich brillant wie einst Bob Dylan bei ´Positively 4th Street´ eher zwischen den Zeilen an Fans und Presse zu richten scheint, nimmt sie bei anderen Songs kein Blatt vor den Mund und nutzt die ihr inzwischen gegebene Plattform für beißende Kommentare zum Zeitgeschehen wie im selbsterklärenden ´I´m Not Your Mother, I´m Not Your Bitch´ oder in ´Nameless Faceless´, mit dem sie Online-Trolle aufs Korn nimmt und die #metoo-Ära thematisiert.

„Die Lieder spiegeln schlichtweg das wider, was mir auf dem Herzen lag, als ich sie schrieb“, erklärt Barnett. „Vieles davon ging mir wirklich an die Nieren, und ich schrieb eine Menge über aktuelle Themen und darüber, wie wütend und traurig mich das alles machte. Letztlich habe ich allerdings das meiste davon verworfen, weil ich es nicht richtig in Worte fassen konnte.“

Obwohl Barnett fast das komplette letzte Jahr auf Tournee verbracht hat – zuerst an der Seite von Kurt Vile, um das gemeinsame Duettalbum ´Lotta Sea Lice´ vorzustellen, dann als Gitarristin ihrer Partnerin Jen Cloher –, freut sie sich nun trotz aller damit verbundenen körperlichen wie mentalen Strapazen besonders auf ihre eigene Welttournee, die sie im Juni auch zurück nach Deutschland führt.

„Es gibt so viele Musiker, die jammern, weil sie so viel unterwegs sein müssen, aber ganz ehrlich, darüber sollte man sich nicht beschweren!“, sagt sie bestimmt. „Wissen die eigentlich, was für ein Privileg es ist, das machen zu dürfen, was für ein Glück sie haben, dass Leute kommen, um sie zu sehen?“

Das wäre in etwa so, als würden wir uns darüber beschweren, dass wir extra quer durch Deutschland reisen mussten, um 15 Minuten mit dir sprechen zu können, und dabei vergessen, dass andere in der Kohlengrube schuften müssen, um ihre Brötchen zu verdienen!

„Das stimmt“, sagt sie zum Abschied und lacht. „Die Arbeit in der Kohlengrube ist aber besser bezahlt!“

Aktuelles Album: Tell Me How You Really Feel (Marathon Artists / Kobalt / RTD)


Weitere Infos: courtneybarnett.com.au Foto: Pooneh Ghana

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