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BULLET FOR MY VALENTINE

„Ich habe die schlimmste Zeit in etwas Positives verwandelt.“

BULLET FOR MY VALENTINE

Das Telefon klingelt, eine Nummer mit britischer Vorwahl erscheint auf dem Display, Matthew Tuck ruft an. Der Sänger und Frontmann von Bullet For My Valentine, der größten Metal-Band des Vereinten Königreichs, und wohl einer der wenigen Menschen, die auch noch nach 15 Jahren Lust auf Interviews haben. Oder nach 20, ganz wie man es betrachtet. Jemand, der inzwischen fast alles erreicht hat, was man als Musiker erreichen kann – und der trotzdem noch immer nach mehr strebt. Höher, schneller, weiter.

Rückblende. Wir schreiben das Jahr 1994. Der 14-jährige Matt Tuck sitzt bei seinen Eltern vor dem Fernseher und schaut zum ersten Mal in seinem Leben MTV.

„Eine Band namens Metallica wurde gespielt“, erinnert sich der heute 38-Jährige. „Ich habe mich direkt verliebt und bin zwei Wochen später in einen Plattenladen marschiert, um mir ein Album zu kaufen.“

Es dauert nur wenige Momente und der gestandene Musiker wird wieder zum Fan; beschreibt voller Freude die Details, die ihm am besten gefallen, und betont wie wichtig ihm die Band ist.

„Metallica sind der Grund, warum ich selber Musiker geworden bin. Sie haben mich inspiriert, in einer Band zu spielen.“

1998 war es dann soweit. Zusammen mit drei Freunden gründete er Jeff Killed John, veröffentlichte mit ihnen Songs und EPs, spielte Konzerte. Fünf Jahre später dann die Umbenennung; aus Jeff Killed John wurde Bullet For My Valentine, es folgte ein Plattenvertrag bei Sony Music und eine selbstbetitelte EP, die als erster offizieller Release gehandelt wird. Soweit klingt alles normal – oder zumindest nach einem guten Start für eine junge Band. Sie probierten sich aus, suchten ihren Sound und entschieden sich, bei einem Label zu unterschreiben, wo sie die für sich besten Chancen sahen. Nur wenige Monate später erschien ihr Debütalbum ´The Poison´, mit welchem sie es nicht nur in die Charts schafften, sondern das obendrein in den USA über eine halbe Million Mal über die Ladentheke ging und Bullet For My Valentine 2006 zum Support-Act von Guns’n’Roses und Metallica machte – für Tuck ein wahrgewordener Traum.

Die Erfolgssträhne nahm kein Ende. Bis 2015 veröffentlichten sie ein Album nach dem anderen, teilten sich Bühnen mit unter anderem Slayer und Marilyn Manson, spielten vor tausenden Menschen auf den größten Festivals der Welt. Von Beginn an arbeiten die Briten hart und können nun guten Gewissens auf das schauen, was sie erreicht haben.

„Natürlich sind wir stolz auf alles, was wir geschafft haben; ganz besonders aber, dass der immerwährende Kreis, dieser Zyklus, auch durch uns weiterhin bestehen bleibt. In den letzten Jahren habe ich viele Bands und Musiker getroffen, die sagten, Bullet For My Valentine sei die erste Band gewesen, für die sie sich begeistert hätten – und teilweise sogar der Grund, warum sie selber ein Instrument lernen und in einer Band spielen wollten. Als ich mit 14 Jahren zum ersten Mal Metallica gehört habe, hatte ich auch dieses Gefühl. Ich weiß, wie wichtig und prägend diese Momente sein können.“

Inzwischen ist das Jahr 2018 in vollem Gange und wenn sie nur wollten, könnten die Herren um Matthew Tuck ihr 15-jähriges Bestehen feiern. Oder ihr 20-jähriges, ganz wie man es betrachtet. Ihre Geschichte liest sich wie ein traumhaftes Märchen ohne Bösewicht. Fantastisch, utopisch – und realitätsfern. Denn es gibt sie, die Ecken und Kanten, man muss nur den Songs auf ihrem neun und sechsten Album aufmerksam genug lauschen.

„Anfang 2017 war ich an meinem absoluten Tiefpunkt“, bestätigt Tuck im Gespräch, jedes Wort genau abwägend, um auch alles richtig und unmissverständlich wiederzugeben. „Meine Ehe ist in die Brüche gegangen, ich habe unter Depressionen und Angstzuständen gelitten. Ich war mental weder in der Lage, ein neues Album zu schreiben, noch auf Tour zu gehen.“

Letztlich habe ihn dann aber eben doch das Schreiben von neuer Musik dabei geholfen, dieser Starre zu entfliehen.

„Es sind sicherlich keine schönen Themen, aber ich sah keine andere Möglichkeit als aus ihnen Song zu machen und mit ´Gravity´ ein Album über mich zu schreiben und den Sachen, die ich in den letzten Jahren durchgemacht habe. Es gab Situationen, in denen ich daran dachte, bei Bullet For My Valentine auszusteigen“, gesteht der Sänger, „aber hin und wieder muss man auch einen Schritt zurückgehen, seine Sichtweise ändern und alles aus einer anderen Perspektive betrachten. Auf sein Leben schauen und nicht nur die schlechten Dinge sehen, sondern die guten zu schätzen wissen. Ich habe die schlimmste Zeit meines Lebens in etwas Positives verwandelt – ich bin stolz, sie durch- und überlebt zu haben!“

Mit dem Namenswechsel begann die Band Anfang der 2000er in sehr regelmäßigen Abständen und ohne tatsächliche Pausen Alben zu veröffentlichen und bis heute hat sich daran nichts verändert. Alle zwei bis drei Jahre präsentieren sie eine Palette neuer Songs, eine weitere Zeitkapsel. Und so unterschiedlich die Erfahrungen sind, die in die jeweiligen Arbeiten eingeflossen, so divers wurden auch die Alben.

„Du musst dir dafür nur ´Venom´ und ´Gravity´ anschauen, die sind vollkommen verschieden – im Stil, im Sound und auch lyrisch. Wir haben seit jeher Songs geschrieben, die sich für die jeweilige Zeit richtig angefühlt und auf dem entsprechenden emotionalen Level waren, und bei ´Gravity´ ist das nicht anders. Selbstverständlich ist es sehr persönlich geworden.“

Ein lautes Knacken in der Leitung, die Verbindung wird schlechter. Ausgerechnet jetzt, wo es interessant wird. Doch Matthew Tuck lässt sich davon nicht aus dem Konzept bringen. Mit einem hörbaren Lächeln im Gesicht erklärt er, wie wichtig emotionale, persönliche und ehrliche Songs seien, um eine Verbindung zum Publikum aufzubauen. Themen wie Mental Health Issues würden zwar nicht so viel Spaß machen, allerdings hätten viele damit zu kämpfen und gerade deswegen sei es überaus wichtig, offen darüber zu reden.

„Als Songschreiber möchtest du immer, dass die Leute etwas beim Hören fühlen und verbinden können. Gleichzeitig ist aber das Schlimmste, wenn du deine Lieder lediglich auf solche Gedanken aufbaust. Du kannst nicht kontrollieren, ob andere seine Songs lieben werden – aber du kannst dafür sorgen, dass du sie selber liebst.“

Sicher, es ist unwahrscheinlich, dass die gesamte Bullet For My Valentine-Hörerschaft ´Gravity´ als ihr bislang bestes Album bezeichnen wird. Vor allem aufgrund des musikalischen Bruchs zu jedem anderen Output liegt es viel näher, dass es etliche nicht mögen werden. Doch betrachtet man die Angelegenheit nüchtern und objektiv, ist ´Gravity´ mit Sicherheit der interessanteste Longplayer. Die Instrumentierung ist noch immer hart und mächtig, doch dafür weniger aggressiv.

„Der Sinn hinter ´Gravity´ war, ein Album zu machen, welches wir so noch nie geschrieben haben. Wir haben uns dabei nicht auf super technische Gitarren und Drums konzentriert, sondern wollten riesengroße, dunkle, epische Songs schreiben. Die Band sollte nicht mehr in der Vergangenheit feststecken, wir wollten sie in die Zukunft tragen – auch wegen des neuen Line-Ups, weil Jason nun offiziell Teil der Band ist.“

Das Gründungsmitglied spricht von Jason Bowld. Bereits 2016 hat dieser am Schlagzeug ausgeholfen, als Michael Thomas mehr Zeit mit seiner Familie verbringen wollte. Vor wenigen Monaten gaben sie schließlich bekannt, er würde keine Aushilfe bleiben, sondern offizielles Mitglied werden. Nun, da sich ihr erstes Album nach seinem Eintritt so sehr von den fünf vorherigen abhebt, liegt es natürlich nahe, den Grund auch bei „dem Neuen“ zu suchen.

„Jason hat schon gefühlt jeden Stil gespielt – klassisch, Metal, Funk, Jazz. Er ist unglaublich, hat Geschmack, einen tollen Stil und war im Studio hilfreich und inspirierend. Er weiß, was er macht, und bringt viel mehr Abwechslung und Farbe in die Band.“

Man muss nur einmal Jasons Namen in den Raum werfen und schon folgt seitens Tuck eine ausführliche Lobeshymne.

„Ich habe nun einen Partner, den ich beim Songwriting so bisher nicht hatte.“ Er hat merklich lange darauf gewartet.

Bei Bullet For My Valentine ginge es schon immer – und daran habe sich in all der Zeit nichts geändert – um die Weiterentwicklung, betont Matthew Tuck noch ein letztes Mal. Die Band trotz aller bisherigen Erfolge immer weiterzubringen. Dann ist das Gespräch zuende. Er bedankt sich und legt auf, die Leitung wird still. Besonders seine erste Aussage bleibt dafür noch eine ganze Zeit im Ohr:

„Als ich zum ersten Mal MTV geschaut habe, wurde eine Band namens Metallica gespielt.“

Aktuelles Album: Gravity (Spinefarm / Caroline)

Foto: Ville Juurikkala

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