1889 wurde die Künstlerkolonie Worpswede gegründet. Die dortige Stipendiatenstätte gehört zu den größten in Deutschland. In zehn Ateliers arbeiten Stipendiaten für Bildende Kunst / Klangkunst für die Dauer von 3-6 Monaten. Die fünf Mitglieder von Karpatenhund zelebrierten ihre Klangkunst im Ort lediglich für eine Stunde. Und doch war es für die Band der Aufbruch in eine neue Epoche ihrer Karriere...
DDas Worpsweder Open-Air-Festival beinhaltete das erste Karpatenhund-Konzert nach einer langen Pause. Gleichzeitig war es das Live-Debut von Jennifer-Jasmin Kessler, die den Original-Gitarristen Jan Niklas Jansen ersetzte. Jansen pausiert derzeit aus gesundheitlichen Beweggründen. Sorgen müsse man sich jedoch nicht um ihn, betonte Björn Sonnenberg (Gesang, Gitarre) einige Wochen später im Interview.„Ganz raus ist er ja so auch nicht. Jan feilt mit an der Produktion, am Mix, bei der Tour-Organisation.“
Pläne für eine Rückkehr auf die Bühne, verbunden mit dem Ausscheiden von Jasmin, gibt es noch nicht.
Sonnenberg: „Mir würde es gefallen, mit beiden weiterzuarbeiten. Wir gucken einfach, wie sich alles entwickelt.“
Ähnlich war es beim Wechsel an den Drums. Mauri Arca trennte sich in Freundschaft von der größtenteils in Köln ansässigen Formation. Bassistin Stefanie Schrank hatte derweil bei einem gemeinsamen Projekt Saskia v. Klitzing (auch: Fehlfarben, FM Einheit) kennengelernt, die mit ihrem Stil genau zu dem kommenden Vorhaben passte.
“Ihre Arbeit mit den Fehlfarben, ...der Düsseldorfer Entwurf von New Wave, ist denn auch nicht so weit weg von den Dingen, die wir machen, wie z.B. von einem Song wie ´Wald´...“ - dem Titelstück der „Wald / Mondo Cane“-EP. ‘Mondo Cane’ (ital. Mondo – Welt, Cane – Hund, auch ein milder italienischer Fluch) ist ein 1962 veröffentlichter Dokumentarfilm, mit dem „...die Mondo-Filme ihren Anfang haben. Dazu gibt es ein tschechisches Verleihposter, das sehr gut aussieht. Es zeigt, dunkel ausgeleuchtet, eine Frau, auf deren Backe ´Mondo Cane´ steht. Diese Idee wollten wir mit unserem EP-Cover adaptieren, sie uns unterwerfen, einfach damit spielen. Immer in der Annahme, Popmusik ist tot, lass´ uns mit der Leiche noch ein bisschen Spaß haben.“
Isolation & Wahnsinn finden sich in variierenden Formen auch auf dem gesamten, neuen „Der Name dieser Band ist Karpatenhund“-Album.
„Es geht um Erschöpfung, Langeweile. Darum, dass wir nicht mitmachen wollen, oder können, beim Wettbewerb der Selbstbehauptung. Anstelle von jammern kommt bei uns ´Ich bin so leer wie die Straßen einer Kleinstadt nachts um halb drei´. Es geht um eine Form von Elend, die nichts mit Liebeskummer oder Selbstmitleid zu tun hat und trifft auf unseren Entwurf von Popmusik - so schlechtgelaunt der auch sein mag.“
Popmusik, obwohl Sonnenberg ein J-Mascis-Signature-Modell von Fender spielt, das der Dinosaur Jr-Kopf selbst co-entwickelt hat.
„Wir sind riesige Dinosaur Jr-Fans, sind es immer gewesen!“ Diese geliebten „Schrabbel-Sounds“ hört man im Karpatenhund-Sound jedoch eher spärlich. Stefanie Schrank: „Nur weil wir gerne Dinosaur Jr hören, müssen wir nicht alles gleich mit Fuzzgitarren volldudeln.“ Prägender waren da die Basslinien, die The Cure oder New Order in den 80ern umzusetzen vermochten. Schrank: „Für unsere Songs passte es, dass weiter auszubauen, was wir davor bereits gemacht haben. Den Bass nicht nur als Fundament, sondern auch als Melodieinstrument einzusetzen. Songs über stoische Beats und Bassläufe aufzubauen, fanden wir spannender als ein Gerüst aus Rhythmusgitarren.“
Die besondere Faszination der 80er Jahre erklärt sie wie folgt:
„Bands wie The Cure oder New Order waren ein Gegenentwurf zu der furchtbaren Spielart von Rock, die es in den 70ern gab. Wo alles voller Soli, Machismo und stupider Texte war. Power-Balladen, Cockrock, Schlockrock. Bei unserem neuen Album war das Motto `once more without a feeling´. Wir wollten ein nüchternes, unterkühltes Album machen, wunderschön, erhaben. Ohne das, was der Popmusikhörer als ´Emotion´ vorgemacht bekommt. Es ging uns um eine Umsetzung von innerer Leere, Ausgebranntheit, Ernüchterung, die frei von Selbstmitleid ist. Die beobachtend, scharf, treffend und eben kühl ist. Je künstlicher, plastikmäßiger, magerer ein Sound klang, desto besser konnten wir ihn gebrauchen, um einen Ausdruck zu finden.“
Die Linie des Debutalbums „#3“ (2006) wurde konsequent weitergeführt, wie Karpatenhund-Sängerin (& MTV-Moderatorin) Claire Oelkers erklärt.
„Die Texte hatten da schon ein hohes Maß an Bitterkeit, Verzweiflung, Wahnsinn. Das stand oft entgegengesetzt zu der sehr umarmenden Musik, den Pop-Harmonien und den großen Refrains. Wir wollten zu einer radikalen Vereinfachung kommen, die stark in den Texten stattfindet. Wenn wir auf dem ersten Album über Verzweiflung gesungen haben, war das immer gebrochen, z.B., in dem wir schlimmen Texten fröhliche Melodien entgegengesetzt haben. Diesmal musste das Böse / Abgründige sich nicht durchs Hintertürchen schleichen, sondern durfte normal durch den Haupteingang kommen.“
Durch eben jenes Portal strömen derzeit mit Gossip, La Roux, Amanda Blank und in Oelkers´ Wohnort Hamburg mit Naima Husseini primär weibliche Stimmen. Hilft man sich (in HH) untereinander?
Oelkers: „Nur weil Frauen Musik machen, müssen sie nicht automatisch vernetzt sein und eine Initiative gründen. Und nein: Man muss sich nicht untereinander ´helfen´. Wir sind nicht behindert und total verloren, weil wir nur dumme Mädchen sind; oder auf die Hilfe der Jungs angewiesen, die uns dann helfen, unsere schweren Sachen zu schleppen. Aufgrund des Geschlechts von Leuten anzunehmen, dass sie riesige Gemeinsamkeiten hätten, ist rückwärtsgewandt und überkommen. Frauen haben anderes im Sinn als Pina Bausch-Tanztheater, Gebärszenen und einem trotzigen ´das können wir auch´ der Welt der Männer gegenüber. Keine der genannten Künstlerinnen wird sich in erster Linie über ihr Geschlecht definieren, sondern über ihre Kunst.“
Und weil das eben so ist, es aber noch niemand so deutlich sagen durfte, wollten wir mit dieser Frage eine Plattform dafür schaffen. Punkt!
Aktuelles Album: Der Name dieser Band ist Karpatenhund (Wanderlust / BMG)
Foto: Georg Roske