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JERRY LEGER

The real deal

JERRY LEGER

Fragt man Jerry Leger, was er unter guter Musik versteht, muss der sympathische Singer/Songwriter aus Kanada nicht lange nachdenken. „Gute Musik ist die, die einen wirklich etwas spüren lässt, und ist nicht nur etwas, das an einem vorbeizieht oder im Hintergrund ist. Sie ist etwas, das einem in Erinnerung bleibt. Man weiß immer, ob jemand es ernst meint oder nicht! Deshalb denke ich, dass gute Musik einfach die ist, die Überzeugungskraft hat“, sagt er bei unserem spätabendlichen Interview nach seinem feinen Auftritt im Essener JuBB Ende Oktober. Dass er mit seiner Einordnung auch sein eigenes Tun und sein just erschienenes neues Album ´Donlands´ perfekt beschreibt, versteht sich praktisch von selbst.

Jerry Leger, das wird schnell klar, wenn man sich mit seinem Schaffen seit 2005 beschäftigt, ist der Inbegriff eines Kultstars, ein stiller Held der alten Schule. Mehr als ein Dutzend praktisch durchweg großartige Platten im Dunstkreis von Rock, Folk und Country hat der in Toronto heimische 38-Jährige inzwischen veröffentlicht, findet in der Presse immer wieder ein begeistertes Echo und fliegt trotzdem weiterhin unter dem Radar. Sein Credo bei der Arbeit mit seiner Band The Situation ist ebenso simpel wie effektiv:

„Unser Hauptanliegen war schon immer, uns nie wirklich um den Plattenverkauf oder das Verfolgen von Trends zu kümmern“, sagt er bestimmt. „Wir wollten einfach großartige Platten machen!"

Auf seinem neuesten Werk ´Donlands´ begibt er sich mit Gitarre, Bass, Schlagzeug und Hammond-Orgel auf einen nostalgischen Trip durch klassische Americana-Gefilde und streift dabei die ganz Großen der Zunft wie The Band, Gram Parsons oder aber auch deren britischen Gegenpart Nick Lowe. Gefühlvolles Songwriting trifft dabei auf eine poetische Note bei den mitten aus dem Leben gegriffenen Texten.

Tatkräftig unterstützt wurde er dabei von Mark Howard, der die Platte mit angenehmem Vintage-Touch produziert hat.

„In der Vergangenheit wusste ich bei meinen Platten stets vorab, was ich machen wollte, und die Aufgabe des Produzenten bestand allein darin, das so gut wie möglich einzufangen“, erklärt Leger. „Dieses Mal war ich bereit zu sagen: Ich werde darauf vertrauen, dass Mark weiß, wo die Band mit diesen Songs hingehen könnte, und wir haben eine Menge Dinge ausprobiert. Manchmal dachte ich: Oh, das funktioniert nicht, lass uns etwas anderes versuchen, aber manchmal wurde beim Ausprobieren etwas im Song freigeschaltet. Ein Beispiel dafür ist ´Out There Like The Rain´. Ich hatte den Song als akustisches Fingerpicking-Lied geschrieben und es war etwas schneller, alle Liedzeilen kamen nacheinander. Es war Marks Verdienst, dass er mir einen neuen Zugang zu diesem Song eröffnet hat, und es war auch sein Vorschlag, dass ich ihn in der höchsten mir möglichen Tonlage singe. Daran hätte ich selbst nie gedacht, weil ich nicht wusste, ob ich das schaffen würde. Aber als ich es dann ausprobierte, war ich total überrascht, und nun ist es mein Lieblingsgesangspart auf dem Album! Ich habe bei dieser Platte mehr denn je auf den Gesamtsound geschaut und dabei viel Kontrolle abgegeben, denn ich liebe die Platten, die Mark gemacht hat, ich liebe ihren Klang. Das ist es, was ich wollte – deshalb wollte ich mit ihm zusammenarbeiten."

Kein Wunder, immerhin hatte Howard in der Vergangenheit bei Großtaten wie Tom Waits' "Real Gone" oder Courtney Marie Andrews' "May Your Kindness Remain" die Finger im Spiel und war auch an Bob Dylans 1997er-Meisterwerk ´Time Out Of Mind` beteiligt.

„Bei der Platte war Mark gewissermaßen die unsichtbare Figur im Hintergrund, denn er hat sie aufgenommen, abgemischt und auch das Studio eingerichtet”, sagt Leger. „Vieles wurde damals live im Studio gemischt, und das war bei ´Donlands´ ganz ähnlich. Die Hälfte der LP wurde bereits während der Aufnahmen abgemischt, das ist die ganz altmodische Art, eine Platte zu machen!”

Besonders angetan hatte es Leger aber auch das ebenfalls von Howard in Szene gesetzte Lucinda-Williams-Album ´World Without Tears´ von 2003.

„Ich liebe diese Platte, sie war ein Grund dafür, warum ich mit Mark zusammenarbeiten wollte“, erklärt er. „´Overtime´, ´Fruits Of My Labor´, ´Ventura´ – ich wollte auch eine Platte, die so klingt, und bei ´Donlands´ hatte ich einfach die passenden Songs dafür."

Ein glücklicher Zufall war auch noch mit im Spiel, wie er abschließend verrät. „

Mark und ich haben jeder unabhängig voneinander zehn aus 20 möglichen Liedern für die Aufnahmen ausgewählt, und das Tolle war, dass wir beide die exakt gleichen zehn ausgewählt haben!“, erinnert er sich. „Da wusste ich: Das wird gut!"

Aktuelles Album: Donlands (Latent Recordings / Bertus)


Weitere Infos: www.jerryleger.com Foto: Laura Proctor


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