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THIS IS THE KIT

Die innere Apokalypse

THIS IS THE KIT

Ein großer Wurf: Mit dem liebenswert kauzigen Waliser Gruff Rhys von den Super Furry Animals als kongenialem Partner hebt die in Paris heimische britische Singer/Songwriterin Kate Stables auf ihrem sechsten Album als This Is The Kit ihre wunderbar subtilen Songs im Dunstkreis von Indie-Folk und Art-Pop auf die nächste Ebene. Mit traumwandlerischer Leichtigkeit findet sie auf ´Careful Of Your Keepers´ den Sweetspot zwischen grüblerisch-tiefgründigen Texten und einem klanglich herrlich transparenten, aber doch liebevoll ausstaffierten Sound, der mit warmtönenden Bläsern, flüssigen Bassläufen, filigranem Gitarren-Fingerpicking und leichtfüßigen Klavierfiguren die inhaltliche Schwere der Songs im Handumdrehen vergessen lässt.

Eines wird beim Hören des neuesten This-Is-The-Kit-Albums schnell deutlich: Die knapp drei Jahre seit der Veröffentlichung ihres letzten Albums waren für Kate Stables nicht nur wegen der Pandemie alles andere als leicht. Im Titellied der Platte fasst sie ihre Gefühle poetisch versponnen zusammen, wenn sie über die Zerbrechlichkeit von Dingen, Situationen und Beziehungen sinniert, und auch in vielen anderen Songs findet sich die Protagonistin in einem Wechselbad der Gefühl wieder, in dem es mehr offene Fragen als definitive Antworten zu geben scheint. Dennoch gibt es auch Konstanten. So lebt die ursprünglich aus der englischen Kleinstadt Winchester stammende, später in Bristol ansässige Musikerin immer noch in Paris. Die französische Hauptstadt für sie dabei nur eine halbe Heimat, allerdings auf andere Weise, als man vielleicht vermuten würde.

„Als tourende Musikerin ist für mich ‚Zuhause’ immer der Ort, an dem ich die nächsten acht Stunden verbringe“, gesteht sie im Videocall mit der Westzeit. „Ich bin jemand, der gerne einen Rucksack mit dem Nötigsten griffbereit hat: Wenn ich mein Messer, meinen Löffel, meine Essstäbchen und meine Wasserflasche habe und dann auch noch Stift und Papier, dann kann ich überall sein. Mein ‚Kate-Zuhause‘ dagegen ist bei meiner Familie, bei meiner Tochter und ihrem Dad. Wir leben nicht alle zusammen, aber wir sind hier in Paris eine Familie, und das ist mein Zuhause, an dem ich ausruhen kann."

Den Traum, die Musik zu ihrem Lebensinhalt, zu ihrer Karriere zu machen, verfolgt Stables praktisch bereits seit ihrer Kindheit. In den Schoß gefallen ist ihr der Erfolg nie, allerdings ist sie ein Paradebeispiel dafür, dass sich Qualität am Ende doch durchsetzt – solange man einen langen Atem hat, kontinuierlich an sich und der eigenen Musik arbeitet, um sie zu verbessern, und sich auch von Rückschlägen nicht entmutigen lässt.



„Schon als ich aufgewachsen bin, hatte ich immer die Hoffnung, dass ich der Musik das Hauptaugenmerk in meinem Leben würde widmen können“, verriet sie uns bereits bei unserem letzten Gespräch vor zweieinhalb Jahren. „Als ich noch in England lebte, habe ich das versucht, musste aber immer noch nebenbei andere Jobs annehmen. Erst als ich vor 15 Jahren nach Frankreich gegangen bin, wurde die Musik zu meiner einzigen Beschäftigung. Das war ein wichtiger Moment für mich, die Erkenntnis, dass es funktionieren kann, wenn ich nur all meine Energie in diese eine Sache investiere – auch wenn das Ganze nicht ohne Opfer und Kompromisse möglich war. Seitdem denke ich von Tag zu Tag, oder besser: von Jahr zu Jahr. Ich sage mir nie: Okay, das ist es jetzt für alle Zeiten! Ich sage mir lieber: So weit, so gut, es funktioniert!“

In der Tat ist ´Careful Of Your Keepers´ das inzwischen sechste This-Is-The-Kit-Album seit dem 2008 veröffentlichten Debüt ´Krülle Bol´, doch obwohl sich Stables längst eine treue Fangemeinde erspielt hat und auch mit jedem Album künstlerisch gewachsen ist, hat sich ihre Intention beim Musikmachen kaum gewandelt. Interessanterweise nennt sie aber ausgerechnet die bei vielen anderen Künstlerinnen und Künstlern wenig beliebten Begegnungen mit der Presse als Impuls für Veränderungen.

„Interviews geben mir die Gelegenheit zur Reflexion, weil ich dort mit Fragen konfrontiert werde, die ich mir selbst nicht gestellt hätte“, erklärt sie. „Meine Intentionen haben sich zwar nicht gewandelt, aber mein Verständnis dessen, was ich tue, hat sich verändert – ich verstehe es nun besser. In gewisser Weise ist das Songschreiben ein Rechercheprojekt, denn dabei lerne ich viel über die Welt, in der ich lebe, und die Menschen, die sie bevölkern."

Vielleicht auch deshalb betrachtet Stables die Dinge auf der neuen LP aus einer etwas anderen Perspektive als noch auf dem im Herbst 2020 erschienenen Vorgänger ´Off Off On´. Klang sie damals besorgt, aber letztlich doch optimistisch, ist ihre Sicht der Dinge – das unterstreicht nicht nur ein Songtitel wie ´Doomed Or More Doomed´ – auf ´Careful Of Your Keepers´ spürbar düsterer. Doch bedeutet das auch, dass sich ihr Weltbild tatsächlich gewandelt hat?

„Ja!“, antwortet sie, „aber um ehrlich zu sein: Auf der letzten Platte dachte ich mehr an die Welt da draußen, während es dieses Mal eine wilde Erkundung meines Inneren gibt. Das Lustige ist, dass ´Doomed And More Doomed´ als ein Song begann, bei dem ich an die Welt, den Planeten und die Menschen, die auf der Erde leben, dachte und was wir anrichten, aber dann wandelte sich das Lied vollkommen, und plötzlich ging es mehr um meine persönliche Apokalypse."

So echt wie die Gefühle, die uns Stables auf ihrer neuen Platte offenbart, ist auch die musikalische Umsetzung, bei der ihr einmal mehr ihre langjährigen Begleiterinnen und Begleiter Rozi Plain (Bass und Stimme), Neil Smith (Gitarre) und Jamie Whitby-Coles (Schlagzeug) zur Seite standen. Auf dem Produzentenstuhl nahm derweil der Tausendsassa Gruff Rhys Platz, der Stables half, ihr Gefühlschaos in Sounds zu übersetzen, die oft nicht so niederschmetternd klingen, wie die Texte es vermuten lassen könnten. Ohne den mit dem letzten Album eingeschlagenen Weg zu verlassen, ist der Fokus deshalb dieses Mal doch ein anderer. Während der von Josh Kaufman betreute Vorgänger noch betont produziert geklungen hatte, steht dieses Mal eine gewisse Natürlichkeit im Vordergrund, die das Gefühl vermittelt, dass Rhys die Songs keineswegs produktionstechnisch in neue Richtungen schubsen wollte, sondern vor allem daran interessiert war, den Klang des Raumes und die Dynamik des Zusammenspiels einzufangen.

„Ich denke, das kann man so sagen“, stimmt Stables zu. „Gruffs Ansatz als Produzent ist sehr integrativ, sehr beobachtend. Wenn er einen Song hört, der funktioniert, dann lässt er die Finger davon und versucht gar nicht erst, ihm seine Ideen aufzuzwingen. Damit will ich nicht sagen, dass Josh Kaufman das getan hätte, aber Gruff ist einfach ein sehr respektvoller, aufmerksamer und gedankenvoller Mitstreiter, und er ist in seiner Art zu kommunizieren ungemein taktvoll und brillant. Alles, was aus seinem Mund kommt, ist total durchdacht, und er findet immer die richtigen Worte."

Obwohl Stables schon lange Rhys-Fan ist und deshalb besonders glücklich, dass nun diese Zusammenarbeit möglich wurde, gibt es doch eine seiner Platten, die es ihr ganz besonders angetan hat.

„Von seinen Soloalben ist ´Pang´ mein Favorit“, sagt sie. „Ich war von der Platte geradezu besessen, nachdem ich ihn zur Veröffentlichung in Paris habe auftreten sehen. Ich war total in das Album verliebt und bin es noch heute. Das war der Auslöser dafür, dass ich mit ihm zusammenarbeiten wollte. Gleichzeitig liebe ich aber auch die Super Furry Animals, vor allem ihr Album ´Mwng`. Ich spreche kein Walisisch und verstehe deshalb die Texte nicht, aber die Musik und die Musikalität der Worte ist einfach wunderbar! Gruff hat unglaublich viele Songs, die mir zu Herzen gehen. Nimm nur mal ´If We Were Words (We Would Rhyme)´ – das ist ein Meisterwerk! Seine englischen Texte sind so großartig, dass ich Walisisch lernen möchte, nur um all seine Songs verstehen zu können!"

Früher hat Stables sehr sparsam instrumentierte Platten gemacht, doch auch noch heute sieht sie ihren Job als Songwriterin vor allem darin, das Fundament zu legen.

„Das mag auch daran liegen, dass die Musik, die ich selbst gerne höre, oft, aber nicht immer in instrumenteller Hinsicht eher minimalistisch ist“, erklärte sie bereits bei unserer letzten Unterhaltung. „Mir gefällt Musik, die viele Lücken hat. Als ich jünger war, begeisterten mich Musiker wie Jonathan Richman oder Billy Bragg, die allein mit der Stromgitarre auf der Bühne standen, und deshalb ist es mir bis heute wichtig, dass meine Lieder auch auf diese Art funktionieren."

Das gilt auch für die Songs auf ´Careful Of Your Keepers´, denn obwohl man sich durchaus einbilden darf, dass die Beiträge der anderen Musikerinnen und Musiker dieses Mal mehr denn je integraler Bestandteil der Lieder sind und nicht nur die kunstvolle Ausschmückung von Stables‘ Grundgerüst, hat sich die Herangehensweise doch erstaunlich wenig verändert.

„In der Tat sind die Lieder genauso entstanden wie immer“, bestätigt die Songwriterin. „Ich habe sie allein geschrieben und dann der Band vorgespielt, die dann ihre eigenen Parts hinzugefügt hat. Theoretisch sollte ich also in der Lage sein, sie alle allein zu spielen, und ob das stimmt, werde ich bald herausfinden, denn gleich nach der Veröffentlichung der Platte stehen für mich eine Menge Soloauftritte in Plattenläden an. Allerdings stimmt es auch, dass ich mich so sehr in die Bandversionen verliebt habe, dass ich all das Beiwerk bei einigen Songs sehr vermissen werde. Ich denke, ich muss einfach neue Wege finden, die Lücken zu schließen. Trotzdem gilt auch weiterhin: Ein Song ist für mich dann fertig, wenn ich ihn allein spielen kann."

Apropos allein: Auch wenn ´Careful Of Your Keepers´ von Veränderungen in Stables‘ Leben und Denken zeugt, die tiefgreifende Spuren hinterlassen haben, sieht sie der Zukunft doch positiv entgegen.

„Ich habe jetzt zum ersten Mal seit vielen Jahren ein eigenes Zimmer, und das macht mich als Musikerin sehr glücklich, weil ich mich einfach zurückziehen und die Tür schließen kann, um zu spielen“, verrät sie am Ende unseres Gesprächs. „Ich weiß noch nicht genau, wie sich das auswirken wird, aber ich hoffe, dass ich mehr zum Schreiben komme und dass es zu einer größeren Produktivität führt. Das klingt ganz simpel und nicht sehr spannend, aber diesen Rückzugsort zu haben, ist für mich eine geradezu revolutionäre Entwicklung!"

Aktuelles Album: Careful Of Your Keepers (Rough Trade / Beggars Group / Indigo) VÖ 09.06.


Weitere Infos: thisisthekit.com

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